- Mit ihrer Gegenoffensive haben die ukrainischen Streitkräfte die russischen Besatzer im Gebiet Charkiw unter Druck gesetzt.
- Nun ziehen die Russen dort aus strategisch wichtigen Orten ab.
- Derweil besucht Aussenministerin Baerbock erneut das Kriegsland.
Die ukrainischen Truppen haben offensichtlich mit ihrer Gegenoffensive die russischen Truppen zum Rückzug aus der ukrainischen Region Charkiw gedrängt. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sagte am Samstag in Moskau, Soldaten sollten etwa aus der strategisch wichtigen Stadt Isjum abgezogen werden. Auch aus der Stadt Balaklija, die die Ukrainer in der vergangenen Woche als befreit gemeldet hatten, sollen die russischen Truppen abrücken. Die von Russland in Charkiw eingesetzte Militärverwaltung rief die Menschen auf, die Region zu verlassen.
Offiziell begründet wurde der Abzug damit, dass durch die Umgruppierung die Einheiten im angrenzenden Gebiet Donezk verstärkt werden sollen. Viele Militärexperten gehen jedoch davon aus, dass die Russen mehr als ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn angesichts des massiven ukrainischen Vorstosses im Charkiwer Gebiet so stark unter Druck geraten sind, dass sie sich zur Flucht entschieden haben. Der ukrainische Generalstab wollte zum Schutz der eigenen Soldaten zunächst noch keine Informationen rausgeben.
Ukraine: Strategisch wichtige Stadt im Osten zurückerobert
Unterdessen reiste Bundesaussenministerin
Mehr als ein halbes Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs eroberte die Ukraine nach eigenen Angaben die strategisch wichtige Stadt Kupjansk im östlichen Gebiet Charkiw zurück. Der Inlandsgeheimdienst SBU veröffentlichte Fotos, die Einheiten in der bislang von Russland besetzten Kleinstadt zeigen sollen. Kupjansk ist wegen des direkten Bahnanschlusses an Russland als Verkehrsknotenpunkt wichtig für die Versorgung des russischen Truppenverbands um das südwestlich gelegene Isjum. Durch den Vorstoss der Ukrainer hätte dort mehr als 10 000 russischen Soldaten die Einkesselung gedroht.
London: Ukrainische Truppen haben Russen mit Offensive überrumpelt
Später berichtete der Militärgouverneur des ebenfalls ostukrainischen Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, die eigenen Truppen seien auch dort auf dem Vormarsch und bereits an den Stadtrand von Lyssytschansk vorgestossen. Lyssytschansk war im Juli als letzte grössere Stadt des Gebietes Luhansk von der russischen Armee erobert worden. Der Vertreter der selbst ernannten "Volksrepublik Luhansk", Rodion Miroschnik, wies diese Angaben später zurück. "Die Ukraine versucht, Panik zu säen", schrieb er in sozialen Netzwerken. Unabhängig konnten die Angaben beider Seiten zunächst nicht überprüft werden.
Auch mit Hilfe westlicher Waffen hat die ukrainische Armee im August mit einer gross angelegten Gegenoffensive begonnen. Im Charkiwer Gebiet wurden dadurch zuletzt Dutzende Dörfer und mehrere Städte von den russischen Besatzern befreit.
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Mit ihrer Gegenoffensive überrumpelten die ukrainischen Truppen im Nordosten des Landes nach britischen Informationen die russischen Kräfte. Die ukrainischen Speerspitzen seien auf enger Front bis zu 50 Kilometer weit in bisher russisch besetztes Gebiet vorgestossen, teilte das Verteidigungsministerium am Samstagmorgen in London unter Berufung auf Geheimdienste mit. In dem Gebiet seien nur wenige russische Truppen versammelt gewesen, hiess es. "Die russischen Kräfte wurden offenbar überrascht."
Ukraine drängt Deutschland zu Lieferung von Kampfpanzern
Der ukrainische Aussenminister Kuleba sagte, er sehe keine Hindernisse für eine Lieferung von Kampfpanzern aus Deutschland. Bis sich Berlin dazu entschliesse, solle Deutschland weiter Artilleriemunition liefern. "Das erhöht spürbar unsere Offensivmöglichkeiten und das hilft uns bei der Befreiung neuer Gebiete", sagte der Chefdiplomat bei einem gemeinsamen Auftritt mit Baerbock.
Die deutsche Aussenministerin reagierte zurückhaltend auf die ukrainische Forderung. "Wir liefern ja seit längerem bereits schwere Waffen. Und wir sehen, dass diese schweren Waffen auch einen Unterschied mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine machen", betonte sie. Konkret nannte Baerbock Mehrfachraketenwerfer, Panzerhaubitzen und Flakpanzer vom Typ Gepard. Von letzteren werde Deutschland schnellstmöglich zehn weitere liefern.
Baerbock wollte mit ihrem Besuch nach eigenen Worten ein Zeichen gegen drohende Kriegsmüdigkeit in Deutschland setzen. "Für mich ist klar, (Wladimir) Putin setzt darauf, dass wir der Anteilnahme am Leid der Ukraine müde werden", sagte sie. Der Kremlchef wolle den Westen mit Lügen spalten und mit Energielieferungen erpressen. Die Rechnung dürfe aber nicht aufgehen. "Denn ganz Europa weiss, dass die Ukraine unsere Friedensordnung verteidigt." Baerbock warf der russischen Armee vor, die Vororte Kiews "mit Minen verseucht" und gezielt Anti-Personen-Minen eingesetzt zu haben, um Zivilisten zu töten. (mt/dpa)