Eine NGO hatte 2015 fünf asiatische Länder für den Grossteil des weltweiten Plastikmülls verantwortlich gemacht. Etliche Umweltschützer:innen prangerten dies als "Müll-Kolonialismus" an. Nun gesteht die NGO ihre Fehler ein.
Jährlich landet Schätzungen zufolge so viel Plastikmüll in den Ozeanen, als würde man jede Minute eine ganze Lastwagenladung davon in das Wasser kippen. Mittlerweile sollen auf jedem Quadratkilometer Meeresoberfläche 18.000 Plastikteile schwimmen, während sich etwa 80 Millionen Tonnen bereits am Meeresgrund angesammelt haben.
Im Jahr 2015 versuchte die Nichtregierungsorganisation Ocean Conservancy die Frage zu beantworten, woher diese Massen an Plastik in der Umwelt angeblich stammen. In einem Bericht namens "Stemming the Tide" machte die NGO fünf asiatische Länder – die Philippinen, China, Indonesien, Vietnam und Thailand – für den Grossteil der weltweiten Plastikverschmutzung in den Ozeanen verantwortlich. Sie stützen sich dabei nach eigenen Angaben auf eine im Wissenschaftsjournal Science veröffentlichten Studie desselben Jahres.
Eine Anschuldigung, die von Hunderten von Umwelt-, Gesundheits- und Sozialrechtsgruppen in Asien und der ganzen Welt kritisiert wurde. Sie prangerten dies als "Müllkolonialismus" an. Wie der Guardian berichtet, hat Ocean Conservancy den Bericht nun, sieben Jahre nach seiner Veröffentlichung, zurückgezogen und sich für die "falsche Darstellung" der vermeintlich für den Plastikmüll Verantwortlichen entschuldigt.
NGO beschuldigte fünf Länder fälschlicherweise
Der Bericht "Stemming the Tide" der US-amerikanischen Umweltschutzorganisation sah die Schuld für den Grossteil der ozeanischen Plastikverschmutzung bei fünf asiatischen Ländern. China, Indonesien, die Philippinen, Thailand und Vietnam (in dieser Reihenfolge) sollen mehr Plastikmüll in die Meere kippen als der Rest der Welt zusammen, nämlich ganze 60 Prozent des gesamten Kunststoffabfalls.
Kritiker:innen zufolge handelt es sich bei dieser Anschuldigung um ein "falsches Narrativ". Gegenüber dem Guardian sagte Christie Keith, die internationale Koordinatorin von Gaia, einem Bündnis aus Hunderten von Umweltschutzorganisationen, dass nicht diese fünf asiatischen Länder verantwortlich für den Plastikmüll seien. Vielmehr läge die Schuld "bei den Unternehmen, die immer grössere Mengen an Plastik herstellen und in Umlauf bringen".
Die Massen an Plastik, welches über die Flussmündungen und Strände der fünf Länder in das Meer gelangen, stammen nämlich nicht allein aus diesen Ländern. Es handelt sich auch um Kunststoffabfall, den die Industrienationen des Globalen Nordens zu ihnen exportieren. Meist soll das Plastik in Asien eigentlich recycelt werden, doch dazu kommt es nur teilweise. Unter der importierten Ware befindet sich viel Kunststoff schlechter Qualität, der nicht recycelt werden kann. Die lokalen Infrastrukturen sind für dessen Beseitigung oft nicht ausgestattet, sodass er in illegalen Deponien landet – oder im Meer.
Die Rolle Deutschlands im (Plastik-)Müllexport
Auch Deutschland exportiert seinen Plastikmüll. Laut dem NABU sollen es jährlich elf Prozent des gesamten hierzulande angefallenen Kunststoffabfalls sein, was 720.000 Tonnen entspricht. Vor einigen Jahren nahm China noch ein Grossteil dieser Exporte ab. Doch nachdem das Land den Import ausländischen Mülls 2018 stoppte, exportiert Deutschland nun unter anderem nach Malaysia, Indien, Vietnam, Indonesien und in die Türkei.
Ein aktuelleres Paper, das im Oktober 2020 in Science publiziert wurde, zeigt, dass zwar insgesamt Indien und China den meisten Plastikmüll produzieren, die EU-Staaten jedoch zusammengenommen mehr als jedes der beiden Länder – und das, obwohl in der EU weniger als halb so viele Menschen leben. Pro Kopf generieren die EU-Bürger:innen wiederum nur halb so viel Müll wie US-Amerikaner:innen.
Deutschland selbst tut sich aus dieser Statistik jedoch negativ hervor: Mit 81 Kilo Plastikmüll pro Kopf und pro Jahr belegen wir hinter den USA, dem Vereinigten Königreich und Korea Platz 4 der 21 ausgewerteten Einheiten.
Bericht von Ocean Conservancy ignorierte wahre Ursachen des Plastikproblems
Doch die Rolle, die die Länder des Globalen Nordens bei der Plastikverschmutzung spielen, habe der Bericht von Ocean Conservancy laut Kritiker:innen unter den Teppich gekehrt. Verschiedene Umweltgruppen prangerten an, dass unter dem Deckmantel des Welthandels die wahren Ursachen, nämlich die Überproduktion von Plastik durch die westlichen Industrienationen und der Export ihres Plastikmülls in Länder des Globalen Südens, ignoriert wurden.
Sonia Mendoza, Vorsitzende der Mother Earth Foundation auf den Philippinen, sagte dazu: "Jedes Land sollte für den von ihm erzeugten Abfall verantwortlich sein und ihn nicht unter dem Deckmantel des ‚Handels‘ exportieren." Dieser Meinung ist auch Manfred Santen, Plastikmüllexperte der Umweltorganisation Greenpeace. Es sei nicht richtig, "unseren Dreck" in Entwicklungsländer zu schicken und zu sagen: "Macht was daraus".
Seit seiner Veröffentlichung vor sieben Jahren habe der Bericht, so Christie Keith von Gaia, jahrelang Schaden angerichtet, indem er die tatsächlichen Ursachen der Plastikverschmutzung nicht anerkannte. Statt zu berücksichtigen, wie sich Gemeinden in den am meisten betroffenen Ländern für abfallfreie Lösungen einsetzen, seien diese durch Ocean Conservancy angegriffen worden.
Verbrennung von Plastikmüll: Keine Lösung für das Müllproblem
Der Bericht selbst schlug zudem eine problematische Lösung für die Plastikverschmutzung vor. Laut Froilan Grate habe er "jahrelang Regierungen und die Öffentlichkeit zu der Annahme verleitet, dass die Verbrennung von Plastikmüll eine Lösung für das Problem sei".
Die Verbrennung von Plastikmüll in hochentwickelten Anlagen kann laut National Geographic genug Wärme und Dampf erzeugen, um Turbinen anzutreiben und Strom zu gewinnen. John Hocevar von Greenpeace zufolge wird die Plastikverbrennung daher "zunehmend als einfache Alternative angepriesen", die einerseits die Recyclingindustrie entlasten und andererseits effizienter Energie gewinnen kann als Kohle.
Doch Plastik zu verbrennen geht mit einigen Problemen einher. Unter anderem können die Ersatzbrennstoffkraftwerke geringe Mengen an Giftstoffen abgeben – neben beträchtlichen Mengen an Treibhausgasen.
Gelegenheit, den Müll-Kolonialismus abzubrechen
Ocean Conservancy entschuldigte sich in einem Statement nun sowohl dafür, die fünf Länder fälschlicherweise angeschuldigt zu haben, als auch für den Vorschlag der Plastikverbrennung als mögliche Lösung des Problems.
In der Erklärung heisst es, man habe versäumt, sich mit den eigentlichen Ursachen des Plastikmülls auseinanderzusetzen oder die Auswirkungen auf die Gemeinden und Nichtregierungsorganisationen zu berücksichtigen, die vor Ort an den am stärksten von der Plastikverschmutzung betroffenen Orten arbeiten. Die Einbeziehung von Verbrennung als akzeptable Lösungen für die Plastikkrise sei falsch, so die Organisation.

Den Bericht aus dem Jahr 2015 zog die NGO zurück, was Kritiker:innen als überfällig kommentierten, aber begrüssten. Für Froilan Grate ist "dieser beispiellose Berichtswiderruf eine Gelegenheit, den jahrzehntelangen Müll-Kolonialismus zu unterbrechen".
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