Julian Nagelsmann hat nach dem 2:3 in Gladbach die Nerven verloren und das Schiedsrichtergespann "weichgespültes Pack" genannt. Das darf nicht passieren und passiert dann doch. Emotionen halt. Der Bayern-Trainer hat sich öffentlich entschuldigt - und gut ist. Was danach kommt, ist dann Fussball pur: heissblütige Diskussionen, ausufernde Forderungen, moralische wie alberne Belehrungen und vor allem Besserwisserei made in Germany. Ich liebe das.

Eine Kolumne
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Denn wenn der Bundesliga etwas fehlt, dann genau das: das Spontane, das Unplanbare, das Anti-Marketing. Die DFB-Schiedsrichter im Allgemeinen und der betroffene Schiri Tobias Welz im Besonderen werden den bajuwarischen Wutausbruch überstehen. Weiter geht's. Vorher sage ich noch: Danke, Julian Nagelsmann, fürs Grobe! Was aber keinesfalls so stehen bleiben darf: dass die Bayern permanent und systematisch benachteiligt werden - weil es nicht so ist.

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Bayern profitieren häufig von Entscheidungen

Sie haben selbst in der Vergangenheit so häufig von 50:50-Entscheidungen profitiert, die zu ihren Gunsten ausgefallen sind, dass eine wacklige Rote Karte keinen Anlass für Verschwörungstheorien liefert. Schiedsrichter Tobias Welz hat öffentlich im Doppelpass zugegeben, dass man den Platzverweis gegen Upamecano auch anders werten kann. Der Schiri hat's eben so gesehen, wie er entschieden hat. Auch das ist Fussball. Mit den Bayern muss jedenfalls niemand Mitleid haben.

Die Website "Wahre Tabelle" fischt jede Woche aufs Neue Schiri-Fehler aus den Ergebnissen und bereinigt die Bundesliga-Tabelle, wie wir sie kennen. Und siehe da: Die Bayern hätten, wäre alles fehlerfrei verlaufen, einen Punkt weniger nach 21 Spieltagen, nämlich 42 statt 43 Punkte. Erster Bayern-Jäger wäre demnach jetzt Eintracht Frankfurt - mit 40 statt 38 Punkten. Wenn sich also jemand beschweren kann, dann die Frankfurter: Sie wären Zweiter statt Sechster.

Die Bundesliga ist so spannend wie lange nicht mehr

Die Spielerei mit den Konjunktiven ist aber lediglich eine Argumentationshilfe für Stammtische. Bleiben wir bei den Fakten: Die Bundesliga-Spitze ist so spannend wie seit langem nicht mehr. Bayern München, Borussia Dortmund und Union Berlin - alle drei haben 43 Punkte. Noch sind 39 Punkte in der Saison 2022/23 zu vergeben, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der Rekordmeister nicht noch öfter wie in Gladbach verliert, so wie er gerade auftritt.

Die Blitzableitung Richtung Schiedsrichter ist eigentliche das übliche Manöver, um von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Nur funktioniert das nicht mehr. Nagelsmann hat keine gezielte Attacke gestartet, sondern sich "Luft verschafft", wie er selbst sagt. Sein Ausraster lässt tief blicken: Druck und Versagensangst sind wohl grösser, als man ahnt. Für die Bundesliga ist das eine schöne Botschaft: Die Bayern zeigen endlich Nerven. Auch dafür muss man sagen: Danke, Julian Nagelsmann!

Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fussball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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