Karl-Heinz Rummenigge äussert sich nach seiner Aufnahme in den Aufsichtsrat des FC Bayern zu seiner künftigen Rolle bei den Münchnern. Er spricht auch über Kahn, Dreesen, Tuchel, Team und Transfers.
Karl-Heinz Rummenigge mischt wieder aktiv mit beim FC Bayern München. Zwei Jahre nach seinem Rückzug als Vorstandsvorsitzender wurde der 67-Jährige als neuntes Mitglied in den Aufsichtsrat des deutschen Fussball-Rekordmeisters berufen. Er will seinem Herzensklub in unruhigen Zeiten mit seiner "Fussball-Expertise" helfen. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur sagte er am Mittwoch aber auch: "Was ich nicht tun werde, ist, dass ich operativ eingreife."
Zwei Jahre nach Ihrem Rückzug als Vorstandsvorsitzender kehren Sie als Aufsichtsratsmitglied zum FC Bayern zurück. Warum?
Ihr Comeback hat sofort Erwartungen geweckt. Auch der neue Vorstandschef Jan-Christian Dreesen sprach davon, dass Sie jetzt wieder "mit im Team" seien. Wie definieren Sie selbst Ihre Rolle?
Ich bin auf der Aufsichtsratssitzung formal zum Mitglied dieses Gremiums ernannt worden. Darin besteht schon ein erster grosser Unterschied zu dem, was ich früher gemacht habe. Der Aufsichtsrat ist das höchste Gremium, aber das operative ist der Vorstand. Den führt jetzt Jan-Christian Dreesen als Vorsitzender an. Und wir hoffen, dass wir auch beim Sportdirektor/Sportvorstand zügig eine Lösung präsentieren können. Ich werde versuchen, als Aufsichtsrat den Verein zu beraten und auch im entsprechenden Sinn zu beaufsichtigen.
Rummenigge: Man wird sicherlich "speziell Uli Hoeness und mich um Rat fragen"
Was heisst das in der Praxis?
Wenn in Zukunft Dinge im Sport anstehen, wird man sicherlich im Aufsichtsrat speziell
Sie sehen sich also in einer Beraterrolle. Welche dringenden Ratschläge geben Sie dem FC Bayern nach dieser unruhigen Saison?
Ich war einige Zeit kein Insider. Aber es fällt auf, dass mit dem Trainerwechsel im März eine ziemlich grosse Unruhe in den Klub gekommen ist. Dazu kam, dass man ziemlich zügig aus dem DFB-Pokal und der Champions League leider ausgeschieden ist. Damit kam Unzufriedenheit auf. Wichtig ist, dass im Klub wieder gewisse Werte gelebt werden, die für den FC Bayern immer sehr wichtig waren. Ich war immer ein Freund davon, miteinander statt übereinander zu reden. Der FC Bayern ist immer eine grosse Familie gewesen. Werte wie Harmonie, Loyalität, Atmosphäre, die müssen wir zurückbringen. Die Spieler müssen Spass haben an ihrem Job. Der Trainer auch. Und die Fans müssen auch Spass am FC Bayern haben. Wir müssen wieder zu einer Einheit werden. Damit war der FC Bayern immer erfolgreich. Bei Vereinen wie Paris Saint-Germain oder Manchester City ist unglaublich viel Geld vorhanden. Aber wir müssen unsere Stärke aus dem Mannschaftsgeist, aus dem Spirit holen - und daraus, dass der Klub gemeinsam mit den Fans wieder wie eine Wand zusammensteht.
Über Oliver Kahn möchte ich nichts Negatives sagen. Ich spüre seit 2001 eine grosse Dankbarkeit ihm gegenüber. Das Finale in Mailand gegen Valencia, das uns zum Champions-League-Sieger gemacht hat, hätten wir ohne Oliver Kahn nicht gewonnen. Er hat drei Elfmeter im Elfmeterschiessen gehalten. Darum sind wir ihm alle dankbar und werden es auch immer sein. Jan-Christian Dreesen steht jetzt für einen Paradigmenwechsel. Der Klub ist seit Jahrzehnten von ehemaligen Spielern gemanagt oder geführt worden, Franz Beckenbauer, Uli Hoeness, meine Person. Jan-Christian ist ursprünglich Finanzexperte, war früher schon im Banken-Vorstand. Aber ich habe acht Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Und ich kann nur sagen: Die zwei Finanzvorstände, mit denen ich in meinen 20 Jahren als Chef den Klub geleitet habe, waren beide top. Sie waren ganz wichtig für das Wohlergehen des FC Bayern. In Zeiten wie diesen, in denen hunderte Millionen Euro im Fussball verbrannt werden, hat es der FC Bayern trotz der grossen Coronakrise geschafft, keine Verluste zu machen. Ich halte Jan-Christian für einhundert Prozent qualifiziert. Und ich halte ihn auch für den absolut richtigen Mann, um das grosse Schiff Bayern München wieder auf Kurs zu bringen.
Laut Rummenigge fehlt derzeit eine Hierarchie in der Mannschaft
Der FC Bayern geht nach der Trennung von Hasan Salihamidzic ohne Sportvorstand in den Transfersommer. Wie gross ist das Handicap? Und wie schnell muss man diese Leerstelle füllen?
Ich bitte um Verständnis, wir werden uns erst einmal einen Überblick verschaffen. Erste Transfer-Planungen und Gespräche hatte es bereits gegeben. Wir werden uns mit
Wie macht man das?
Als wir 2012 Mario Mandzukic vom VfL Wolfsburg gekauft haben, haben wir dafür keinen Beifall bekommen, sondern Erstaunen. Aber er war in seiner gesamten Zeit ein unglaublich wichtiger Spieler, weil er für die Mannschaft wie ein Berserker gearbeitet hat. Er hat glücklicherweise auch noch wichtige Tore geschossen wie beim Finalsieg 2013 gegen Borussia Dortmund in London. Man muss nicht immer nur in das oberste Regal greifen. Wir hatten 2020 eine tolle Mannschaft. Aber hatten wir auch die beste? Wir haben deshalb die Champions League gewonnen, weil wir beim Finalturnier in Lissabon einen unglaublichen Teamgeist und Willen hatten. Beim 8:2 gegen Barcelona hat man gemerkt, hier entsteht gerade etwas Grosses.
Stichwort Mandzukic. Er war Mittelstürmer. Ist ein echter Neuner, also ein neuer Lewandowski, die Lücke, die nach den Erkenntnissen dieser Saison unbedingt geschlossen werden muss?
Man darf nicht vergessen, wir hatten den Weltfussballer auf dieser Position! Acht Jahre war Robert bei uns. Uli Hoeness, Matthias Sammer und ich haben damals enorm darum gekämpft, dass Robert von Dortmund zu uns kam. Er hat uns acht Jahre lang eine Torquote beschert, die uns befähigt hat, Titel in dieser Quantität und Qualität zu holen. Es war sein Wunsch, vor einem Jahr zu gehen. Und man hat vielleicht zu sehr darauf gehofft, dass man mit den anderen Angreifern vorne variabler spielen kann. Aber es fehlen halt 50 Wettbewerbstore, die erzielt werden müssen, um auf dem gleichen Niveau zu sein. Die Nummer neun wird sicherlich eine Position sein, auf der sich der FC Bayern umschauen wird.
Rummenige ist überzeugt von Bayern-Trainer Tuchel
Ihre Wertschätzung für Thomas Tuchel ist bekannt. Sie wollten ihn schon vor Jahren als Trainer nach München holen. Er hatte einen schwierigen und wenig erfolgreichen Start. Trauen Sie ihm zu, einen Bayern-Fussball zu schaffen, der an die Erfolge unter Hansi Flick anknüpft?
Ich glaube, man kann Trainer nicht miteinander vergleichen. Ich hatte in meiner Amtszeit das grosse Glück, viele tolle Trainer wie Louis van Gaal, Jupp Heynckes, Hansi Flick, Pep Guardiola oder auch Carlo Ancelotti erlebt zu haben. Ich bin überzeugt, dass Thomas Tuchel ein sehr erfolgreicher Trainer beim FC Bayern wird. Er hat ohne Frage keinen leichten Start gehabt. Aber der ist ihm auch erschwert worden durch die Unruhe, die der Trainerwechsel von Julian Nagelsmann zu ihm mit sich gebracht hat. Das ist in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert worden. Und damit hat es auch Unruhe in der Mannschaft gegeben.
Was schlussfolgern Sie daraus?
Wir müssen dafür sorgen, dass in den Klub schnell wieder Ruhe einkehrt. Ich war selbst Spieler, ich weiss, wie das ist. Unter Unruhe im Klub leidet die Mannschaft. Die Mannschaft muss das Vertrauen in den Klub haben - und der Klub in die Mannschaft. © dpa

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