Als man Fredi Bobic vor zwei Wochen die Verpflichtung von Tayfun Korkut ankreidete, verteidigte der Hertha-Sportchef seinen Trainer aus voller Überzeugung. Endlich sei da jemand auf dem Platz, der (a) der Mannschaft Inhalte wie Umschaltspiel vermitteln könnte und (b) rund um die Uhr für den Verein brenne. Nicht zu überhören: die unverhohlene Kritik an Korkut-Vorgänger Pal Dardai, der sein Berufsbild eher gemütlich interpretierte.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Seit Sonntagmorgen ist Tayfun Korkut entlassen. Die Zahlen liessen keine Ausrede mehr zu. Im Schnitt holte Korkut nur 0,64 Punkte in den 14 Spielen bei Hertha BSC. Vorgänger Pal Dardai kam in 31 Spielen auf 1,23 Punkte im Schnitt - das sind fast doppelt so viele. Auch deshalb rutschte Hertha auf einen Abstiegsplatz. Bobic weiss zu genau: Der Trainerwechsel war falsch. Und jetzt soll Felix Magath als Trainer alles retten? Man darf Schlimmes befürchten.

Ja, manchmal muss ein Trainer zu den Grundbegriffen des Fussballs zurückkehren und seinen Spielern Kompliziertes mit einfachen Worten in die Birne drücken. Dann fallen Schlagwörter wie "Mentalität" und "Kampf annehmen", Phrasen wie "Gras fressen" und "Bock umschmeissen", man will dadurch "die Kabine hinter sich bringen" und "die Köpfe freikriegen". Einer holt im Zweifelsfall Medizinbälle aus dem Requisitenschrank.

Das ist Felix "Quälix" Magath, der neue Cheftrainer von Hertha BSC

Natürlich stimmt dieses Klischee, dass Magath seine Profispieler ohne Sinn und Verstand die Hügel hoch hetzt, bis sie kotzen, nicht. Für die jüngeren Leser die kleine Erinnerung: Magath war der erste Trainer der Bundesliga-Geschichte, der ein Double aus Meisterschaft und DFB-Pokalsieg verteidigen konnte. Mitte der Nuller Jahre machte das auch beim FC Bayern kein Trainer, der sein Handwerk nicht perfekt beherrschte.

Die Rückkehr ins Bundesliga-Geschäft, die Hertha BSC am Sonntag verkündete, überrascht aus einem ganz anderen Grund: Magath, inzwischen 68 Jahre alt, ist seit gut einem Jahrzehnt raus aus der Liga-Bubble. Zwischendurch versemmelte er die Rettungsmission beim FC Fulham und kehrte 2017 desillusioniert von einem China-Abenteuer zurück. Seitdem erinnerte er in TV-Shows an seine besseren Zeiten.

Bei den Auftritten im "Sportstudio" oder "Doppelpass" sprach er, zugegeben, viel Wahres aus, wenn er die aktuelle Spielergeneration aufs Korn nahm. Tatsächlich ist die Begleitmusik lauter geworden, die ein Spieler heute hören will. Magath kommt eher von der Marschmusik: Er gibt den Takt vor, und keiner sollte bei ihm aus dem Gleichschritt kommen. Magath sieht alles. Vielleicht brauchen die Hertha-Spieler genau das. Und wenn nicht?

"Die Vita von Felix Magath spricht für sich. Mit ihm haben wir jemanden für uns gewinnen können, der schon vielfach bewiesen hat, dass er mit seiner immensen Erfahrung als Trainer in jeglicher sportlichen Situation, seiner Art und seiner Ausstrahlung an den richtigen Stellschrauben drehen kann, um uns aus unserer sportlich herausfordernden Lage herauszuführen." - Fredi Bobic

Fredi Bobic, als Sportvorstand verantwortlich für den grössten Trainer-Hammer der Saison, geht volles Risiko. Acht Spieltage bleiben noch, um den vorletzten Tabellenplatz zu verlassen und den Klassenerhalt in der ersten Liga zu schaffen. Der Rückstand auf Platz 15 beträgt zwei Punkte nur. Das klingt wenig und ist doch viel. Die nächsten drei Gegner heissen: Hoffenheim, Leverkusen, Union - zwei Siege wären ein Wunder.

Wie soll ausgerechnet jemand die Aufholjagd schaffen, der seit Jahren raus ist und die Bundesliga allein vom TV-Gerät kennt? Jemand, der wohl unüberhörbar mit der neuen Spielergeneration fremdelt? Niemand in der Liga hatte den Namen Magath auf dem Zettel - aus gutem Grund. Misslingt das Abenteuer, gerät Fredi Bobic nicht nur in Erklärungsnot. Auf einer Schlüsselposition zwei Fehlgriffe in einer Saison: Das übersteht keiner.

Man hat's ja vorige Saison auf Schalke gesehen: Vorstand Jochen Schneider, obwohl sehr geschätzt, musste vorzeitig gehen, weil sein Trainer Christian Gross, damals 66, mit tattrigen Anweisungen Unfug anstellte. Auch Hertha scheiterte schon einmal mit dem Motto "Zurück in die Zukunft", als Otto Rehhagel vor zehn Jahren seine ganze Erfahrung in den Abstiegskampf reinwarf. Alter schiesst halt keine Tore.

Nun also Felix Magath, das Trainer-Comeback des Jahres

Ist das der Umbruch, den Hertha-Investor Lars Windhorst wollte? Sicher nicht. Die Losung kann nur lauten: Hauptsache, kein Totalschaden - kein Abstieg. Man muss kein Prophet sein, um jetzt vorherzusagen, was mit Fredi Bobic geschieht, wenn Magath patzt.

Dann muss er als Geschäftsführer gehen. Solange aber Hoffnung besteht, liefert Hertha schönes Schlagzeilenfutter, das jeder Big City Klub dringend braucht.

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Pit Gottschalk, ist Journalist, Buchautor und Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fussball-Newsletter Fever Pit’ch erhalten Sie hier.
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