Märchen haben - gelernt ist gelernt - einen ziemlich simplen Aufbau: Einleitung, Hauptteil, Schluss. Die Website Sofatutor geht tiefer in die Details und setzt am Anfang “einen ungerechten Zustand, Armut, Unglück oder eine Notsituation” voraus. Die Handlung sehe vor: “Hindernisse, schwierige Aufgabe, Prüfung, Rätsel, Abenteuer”.

Eine Kolumne
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Man darf beim Auftritt der deutschen Fussballfrauen guten Gewissens von einem Sommermärchen schreiben. 2:1 gewannen die DFB-Frauen gestern Abend ihr EM-Halbfinale gegen Frankreich und stehen am Sonntag im Endspiel der Europameisterschaft. Der Gegner ist Gastgeber England. Das vielleicht letzte Kapitel ihres Märchens? Ich bin mir nicht sicher.

Was wir wissen: Die Deutschen sind begeistert von den Auftritten der - ja, wie sagt man nun? … von den Auftritten der Frauschaft von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. 70,8 Prozent der deutschen Fussballfans sagen in einer aktuellen repräsentativen Umfrage von Bundesligabarometer.de, dass sie die EM-Spiele der DFB-Frauen im Fernsehen verfolgen.

Das Ergebnis ist bemerkenswert, denn vor der Europameisterschaft war der Wert niedriger: Da hatten nur 60,9 Prozent angekündigt, dass sie EM-Spiele der Frauen ansehen wollten. Offenbar haben sich Fans begeistern lassen. Und die Zahlen haben Aussagekraft: Bundesligabarometer.de ist Deutschlands grösstes repräsentatives Sport-Umfrageportal.

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Über 50 Prozent der Befragten wollen keine Länderspiele der Frauen mehr gucken

Aber genauso verneinen 64,4 Prozent in derselben Umfrage, dass sich ihr Interesse am Frauenfussball generell durch die Frauen-EM erhöhen wird. Wie ist das bei künftigen Länderspielen? Mehr als die Hälfte, genau 54,8 Prozent, will in Zukunft eben nicht wieder zusehen. Spiele in der Frauen-Bundesliga anschauen? Da sagen sogar 68,3 Prozent: Nein.

Die Ablehnung passt nicht zu den Attributen, die Fans den EM-Auftritten in der Umfrage zuschreiben. Die sind: Kampfgeist, Leidenschaft, Teamgeist, Attraktivität und Fairplay - allesamt positiv besetzt. Wenn das noch immer nicht reicht, um über das EM-Finale hinaus Frauenfussball in Deutschland massenwirksam zu etablieren, ist man wieder am Textanfang oben.

In der Handlung eines Märchens, zur Erinnerung, sind Hindernisse zu überwinden oder schwierige Aufgaben zu lösen. Womöglich besteht das Sommermärchen gar nicht im Gewinn des EM-Titels am Sonntag, sondern beginnt erst am Morgen danach: dass Frauenfussball in Deutschland endlich die Akzeptanz erfährt, die EM-Heldinnen verdienen.

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