Man wartet nur darauf, dass Manuel Neuer, der Kapitän des FC Bayern, heute Abend die Angriffe seines Torwartkollegen Marc-André ter Stegen kontert und nach dem Belgrad-Spiel in der Champions League ausfällig wird. Er hat alle Argumente auf seiner Seite.
Manuel Neuers Leistungen seit der WM-Blamage 2018 sind tadellos, er gewann hernach Meisterschaft und DFB-Pokal und steht seinem Bundestrainer
Manuel Neuers einziges Problem: Die öffentliche Meinung
Das Problem, das
Es mag Marc-André ter Stegen helfen, dass ihm sein Arbeitgeber FC Barcelona einen Glamour verleiht, der ungenaue Betrachter über Details im Torwartspiel hinwegsehen lässt. Was weiss man schon von seinen Leistungen in Spanien? Wenn Fernsehbilder gezeigt werden, dann sicherlich Paraden und andere guten Szenen; eine überdurchschnittliche Fehlerquote wird man ihm nicht nachsagen können. Aber wie steht es um seine Raumverteidigung? Seine Spieleröffnungen? Seinen Einfluss auf die Mentalität im Messi-Team?
Zugegeben, Superstar
Marc-André ter Stegen muss auf die Tube drücken
Und die fühlt sich bestätigt, wenn ter Stegen wie gestern Abend in Dortmund einen Strafstoss gegen Marco Reus pariert und das 0:0 im Auftaktspiel der Champions League hält. Die Bild-Zeitung zählte fünf Paraden. "Grüsse gehen raus an Neuer", titelte die Fan-App "One Football". Eine schöne Bestätigung für seine vollmundigen Worte. Manuel Neuer muss heute gegen Roter Stern Belgrad ebenfalls Weltklasse halten, um dieses verbale Fernduell bei den Wohnzimmer-Experten nicht zu verlieren.
Marc-André ter Stegen drückt aufs Tempo, weil er die Nummer 1 werden will. Ihm läuft so langsam die Zeit davon. Er ist auch schon 27, nur sechs Jahre jünger als Neuer. Vielleicht kann er noch eine Weltmeisterschaft spielen (dann wäre er 30), aber vermutlich keine zweite. Bevor die Nübel- Generation nachrückt, muss er jetzt und nicht irgendwann den Druck auf Neuer erhöhen. Das erklärt seine unvernebelte Kritik am Bundestrainer und dessen Torwart-Entscheidung. Ter Stegen spielt Alles oder Nichts.
Neuer spürt das und macht auch als Kapitän keine Zugeständnisse. Er lässt Bundestrainer Löw keine Wahl: Er wird Sepp Maier noch diese Saison als Rekordtorhüter (Sepp Maier bestritt 95 Länderspiele) ablösen und wahrscheinlich zum ersten Nationaltorwart mit mehr als 100 Länderspielen aufsteigen. Sein Weg führt geradeaus in die "Hall of Fame" des deutschen Fussballs. Von Ruhm und Zahlen dieser Grössenordnung kann ter Stegen, Barcelona hin oder her, mit seinen 22 Länderspielen nur träumen.
Marc-André ter Stegen bleibt eine Fussnoten
Er muss sich an den Gedanken gewöhnen: Im deutschen Fussball wird er eine Fussnote bleiben. Soll er deswegen das Duell mit Neuer aufgeben? Bitte nicht.
Erstens sollte jede Turnierteilnahme als Nummer 1 Motivation und Auszeichnung genug sein.
Zweitens treibt sein Ehrgeiz den Konkurrenten zu noch grösseren Anstrengungen, den Platz im Tor zu verteidigen.
Drittens geht es doch genau darum: dass die Nationalmannschaft auf allen Positionen, auch auf den exklusiven, besser wird. Löw wird trotzdem nicht nachgeben.
Denn wenn Manuel Neuer heute Abend zurückschiessen sollte (was er nicht tut), dann nur, weil er, der Weltmeister von 2014 und siebenmalige Deutsche Meister, längst nicht satt ist. Solange sein Torwartspiel modern bleibt, sein Reflex wie zuletzt atemberaubend schnell, bringt er jene 20 Prozent Mehrwert auf den Rasen, um den Konkurrenten den FC Bayern beneiden. Anders als Marc-André ter Stegen steht Manuel Neuer beim deutschen Publikum jede Woche auf dem Prüfstand. Man nennt es: Bundesliga.