Manche Personen lassen andere in Gesprächen kaum zu Wort kommen und machen dadurch eine gleichberechtigte Kommunikation fast unmöglich. Welche Strategien im Umgang damit helfen, erfährst du hier.

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Vielleicht hast du dich auch schon einmal mit einer Person unterhalten, die quasi ohne Punkt und Komma spricht, ständig von sich selbst erzählt und dich immer wieder unterbricht. Möglicherweise hast du gar nicht die Möglichkeit bekommen, auch mal etwas zu erwidern. Solche Menschen nennt man auch "Talkaholics".

Als Gegenüber hast du dann vielleicht das Gefühl, du könntest nicht viel mehr tun, als höflich zu nicken und zu lächeln und den Monolog über dich ergehen zu lassen. Es gibt jedoch durchaus Strategien, mit denen du die einseitige Gesprächssituation aufbrechen kannst – auch ohne unhöflich werden zu müssen.

Gründe für den Redefluss

Dass Menschen besonders viel reden, kann unterschiedliche Ursachen haben:

  • So haben etwa Menschen mit einem geringeren Selbstwertgefühl und einem daraus folgenden höheren Bedürfnis nach Aufmerksamkeit die Tendenz, übermässig viel zu sprechen. Ein Redefluss kann in diesem Fall auch dabei helfen, Unsicherheiten zu überspielen. Andere wiederum reden unaufhörlich in der Erwartung, Bestätigung zu erhalten. "Sie sind sich unsicher, ob es richtig ist, was sie tun oder wie sie sich verhalten", erklärt Judith Lurweg, Systemische Therapeutin in Münster, "und wollen das mit einem Redeschwall ausgleichen".
  • Einsamkeit kann ebenfalls eine Ursache davon sein. "Manche leben allein und haben kaum jemand, mit dem sie sprechen können", sagt Lurweg. Treffen diese Menschen dann auf andere und sehen die Möglichkeit, lange Ungesagtes zu sagen, machen sie es auch: "Es ist, als wenn sich etwas in ihnen löst und Angestautes nach aussen drängt" so Lurweg.
  • Manchmal kann übermässiges Reden auch eine Persönlichkeitseigenschaft sein. Manchen wurde als Kind nicht zugehört – und das kompensieren sie als Erwachsene damit, dass sie reden und erwarten, dass andere ihnen zuhören. "Andere sind es einfach gewohnt, dass man ihnen zuhört und reden allein deshalb unaufhörlich", so Lurweg. Dieses Muster sei aufgrund der geschlechtlichen Sozialisation öfter bei Männern im Verhalten gegenüber Frauen anzutreffen. Die Frauen fügten sich und hörten zu, obwohl sie genervt sind, weil sie gelernt haben, zu gefallen.

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  • "Mitunter hat es auch etwas mit dem Alter zu tun, weshalb manche Menschen unaufhörlich auf andere einreden", sagt Michaela Albrecht, Kommunikationstrainerin im hessischen Hohenroda. Je älter man ist, desto mehr hat man zumeist erlebt – und manche Ältere verspüren den Drang, die dabei gemachten Erfahrungen weiterzugeben, damit andere davon profitieren könnten.
  • Auch eine erhöhte Aktivität im Gehirn kann eine Rolle spielen. Wird etwa der präfrontale Cortex, der für die Sprachverarbeitung und -produktion zuständig ist, übermässig stimuliert, kann dies dazu führen, dass sich Menschen im Gespräch impulsiver verhalten und öfter und länger das Wort ergreifen.
  • Eine besonders intensive Form des Redezwangs wird in der Medizin auch als Logorrhoe bezeichnet. Sich ständig zu Wort zu melden und übermässig viel zu reden, wird dabei für Betroffene zum Zwang. Das Phänomen tritt in der Regel als Begleiterscheinung von psychischen oder neurologischen Erkrankungen auf. Auch der Konsum von Alkohol, anderen Drogen oder Koffein kann den Redezwang begünstigen.

Wenn Menschen zu viel reden: Das hilft

Wenn Menschen das Gespräch immer wieder auf sich lenken, kann das Zusammensein schnell unangenehm werden. In diesem Fall können dir folgende Strategien helfen, die Situation aufzubrechen und dir selbst oder anderen Gesprächsteilnehmer:innen mehr Gesprächsanteil zu ermöglichen:

1. Zurück zum Thema

Die meisten von uns reagieren vor allem auf das Thema eines Gesprächs, können dieses identifizieren und darauf reagieren. Eigene Erfahrungen teilen wir also dann nur kurz beziehungsweise auf die Interessen der Gruppe bezogen.

Menschen, die sehr viel von sich selbst erzählen, konzentrieren sich jedoch nicht auf das Thema an sich, sondern nur darauf, wie sie selbst zu diesem Thema stehen. Erzählt beispielsweise eine Person, sie sei gerade aus London zurückkehrt, nutzen manche Menschen diese Gelegenheit, um ausführlich von ihren eigenen London-Reisen zu erzählen. In solchen Fällen ist es oft effizient, auf eine Sprechpause zu warten und den Fokus im Gespräch wieder zu der Person zu lenken, die das Thema zuerst angesprochen hatte.

2. Kleine Gruppengrösse

Die Gruppengrösse kann die Beteiligung am Gespräch stark beeinflussen. Gruppen von mehr als sechs Personen tendieren dazu, einige Menschen nicht oder nur sehr kurz zu Wort kommen zu lassen. Eine Aufteilung in mehrere kleinere Gespräche mit zwei, drei oder vier Personen fördert eine gleichberechtigte Teilhabe.

3. Redundanz reduzieren

Manche Personen erzählen nicht nur viel zu lange von einem bestimmten Thema, sondern wiederholen sich mit der Zeit dabei auch ständig. Ist dies der Fall, kannst du im Gespräch der anderen Person mitteilen, was du über das Thema schon weisst oder was die Person selbst schon erzählt hat. Von diesem Punkt aus hast du dir so die Möglichkeit verschafft, eigene Gedanken und Erfahrungen zum Thema zu teilen.

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4. Gesprächsposition verändern

Eine mögliche Ursache für übermässiges Reden ist, dass Personen sich als überlegen ansehen. Wenn Personen über sich sprechen, nehmen sie sich schliesslich als Expert:innen wahr. Deshalb behalten Vielredner:innen gern den Fokus auf ihren Aktivitäten und Erfahrungen und bewahren so die Expertise. Dies kannst du aufbrechen, indem du den Fokus im Gespräch gezielt auf ein anderes Thema lenkst, bei dem du selbst oder andere Gesprächsteilnehmende mehr Erfahrung haben.

5. Eigenes Verhalten ändern

Manchmal ermutigen wir Vielredner:innen auch unbewusst dazu, das Gespräch weiterhin zu dominieren, indem wir zum Beispiel weiterhin höflich nicken und lächeln. Aber auch Zeichen der Ungeduld (zum Beispiel das ständige Checken des Smartphones) können Menschen dazu bewegen, einfach weiterzureden. Ständige Unterbrechungen können hingegen zu einem Konkurrenzkampf und unangenehmen zwischenmenschlichen Spannungen führen.

Du kannst mal versuchen, einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck zu wahren, nichts zu sagen und auch keine Gestik oder Mimik anzuwenden. So fehlt Vielredner:innen das notwendige Gegenüber im Gespräch.

Oder du signalisierst deinem Gegenüber mit deiner Körpersprache, dass du etwas sagen möchtest. "Das kann etwa sein, indem man die Hand hebt oder mit einem Finger auf den anderen zeigt", sagt Albrecht.

6. Direkt ansprechen

Mit dem richtigen Ton ist es auch auf keinen Fall verwerflich, die Person auf ihr übermässiges Reden anzusprechen. "Dann geht es nicht darum, sie mit Vorwürfen zu überhäufen nach dem Motto "Was textest du mich eigentlich so zu?", sondern in Ich-Formulierungen zu sprechen", sagt Lurweg.

Also etwa: "Ich habe den Eindruck, dass du mehr redest als ich und mir keine Gelegenheit gibst, dass ich auch etwas aus meinem Leben erzählen kann." Oder: "Hey, ich kann dir gerade nicht so konzentriert zuhören, weil du schon längere Zeit redest; lass mich mal was sagen."

Dabei sollte jedoch der Fokus darauf liegen, wie es uns persönlich beeinflusst, statt die Person zu kritisieren oder sogar in einer Gruppe zu blamieren.

7. Grenzen setzen

"Ein Gespräch ist ein Austausch und kein Monolog", erklärt Lurweg. Dies sollte man dem oder der anderen unmissverständlich klarmachen und ihn zuvor freundlich in seinem Redefluss unterbrechen. Je nach Situation kann es auch hilfreich sein, dem oder der anderen mitzuteilen, dass man nicht bereit ist, länger zuzuhören – etwa, weil man in Zeitdruck ist. Dann verabredet man sich womöglich zu einem weiteren Gespräch. Und der- oder diejenige, die ununterbrochen zugehört hat, sagt dann etwa: "Beim nächsten Mal erzähle ich auch etwas von mir."

Einsamkeit erkennen – wie man Vielredner behutsam anspricht

Steckt hinter dem vielen Reden die Vermutung, dass die Person gegenüber einsam ist, hören viele trotzdem zu – etwa weil sie wissen, dass zum Beispiel der oder die Nachbar:in allein lebt und einfach jemanden braucht, dem oder der sie etwas erzählen kann. Dennoch ärgern sich Zuhörende oft im Nachhinein, weil es kein echtes Gespräch war, sondern ein Monolog. Was also tun?

"Zunächst sollte man sich klarmachen, dass die Verantwortung für den oder die Vielredner:in nicht beim Zuhörenden, sondern bei der Person selbst liegt", sagt Judith Lurweg.

Insofern sollte man sich auch keine Vorwürfe machen, wenn man einmal keine Zeit hat, etwa dem vielredenden Nachbarn zuzuhören. Wer vermutet, dass der kaum zu bremsende Redeschwall des Nachbarn womöglich mit dessen Einsamkeit zu tun hat, sollte ihn in einer ruhigen Minute behutsam darauf ansprechen, sagt Lurweg.

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Bewahrheitet sich die Vermutung, dass er einsam ist, könnte man ihm nahelegen, verstärkt seinen Interessen nachzugehen und etwa einem Verein beizutreten. "Hilfreich kann womöglich auch sein, ihm zu empfehlen, eine Lebensberatungsstelle aufzusuchen und sich dort Möglichkeiten aufzeigen zu lassen, wie man der Einsamkeit entkommen kann", so Lurweg.

Wenn es so etwa gelingt, die Einsamkeit hinter sich zu lassen, können sich alle womöglich auf ein echtes Gespräch, bei dem beide zu Wort kommen und ein echter Dialog entsteht, einlassen und sogar freuen.

Mit Material der dpa.

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