Marghera - Selbstversuche sind ja so eine Sache. Schon vorher keimen Zweifel, man stellt sich viele Fragen. In meinem Fall: Will ich wirklich auf eine Kreuzfahrt gehen? Ist das nicht der Inbegriff des Massentourismus? Eingepfercht auf einem die Umwelt verpestenden Stahlkoloss über die Meere schippern, um dann beim Landausflug einem Reiseführer mit buntem Regenschirm hinterherzutrotten? Niemals!
Allenfalls eine Expeditionsreise hätte ich mir vorstellen können. Antarktis vielleicht. Aber davon hat mich die berüchtigte Drake-Passage abgehalten. Wer weiss als Kreuzfahrtnovize schon, ob er wirklich seefest ist? Schon bei der Vorstellung von meterhohen Wellen im Südmeer wird mir schlecht - genauso wie beim Gedanken an Mega-Kreuzfahrtschiffe.
Nun gebe es zwischen Expeditionsjachten und Riesenpötten ja noch mittelgrosse Kreuzfahrtschiffe mit maximal rund 1.000 Passagieren, hatten mir Kreuzfahrtfans erklärt. Zu den neuesten zähle die Explora-Flotte. Explora? Das klingt ja wenigstens ein bisschen nach Entdecken, dachte ich mir.
Schiffs- und Routensuche
"Auf der "Explora I" fühlen Sie sich wie auf Ihrer eigenen Privatyacht", versprach der Katalog. Und tatsächlich sieht das Schiff mit dem blauen Rumpf relativ schnittig aus und nicht wie eine schwimmende Kleinstadt mit integriertem Vergnügungspark.
Das Schiff war also gefunden, blieb noch die Route. "Geh auf Nummer sicher", empfahlen mir die Experten. Die Adria sei im Spätsommer ruhig, die Seestrecken kurz und die Etappen mit dem kroatischen Hvar, der Fjord-Landschaft von Kotor in Montenegro, Brindisi, den griechischen Inseln und Athen abwechslungsreich.
Die Adria also. Nicht gerade originell, aber überzeugend - anders als der erste Eindruck beim Einschiffen. Der Check-in erfolgte zwar im schönen Venedig, das Schiff aber lag im Kreuzfahrterminal des vorgelagerten Industriehafens von Marghera. Prachtvolle Palazzi wären mir als Kulisse lieber gewesen.
Aber dann fühlte ich mich selbst ertappt: Hatte ich mich nicht früher in Venedig aufgeregt, als einer dieser Mega-Dampfer beim Einlaufen fast den Markusplatz verdunkelte? So ändern sich Perspektiven.
Seit 2021 hat Venedig die Zufahrt für Schiffe mit mehr als 180 Metern Länge untersagt. Die "Explora I" ist mit 248 Metern Länge also zu gross. Verglichen mit den derzeit grössten Kreuzfahrtschiffen der Welt, die gut und gerne noch einmal 100 Meter länger sind, ist sie aber fast niedlich – vor allem im Hinblick auf die Passagierzahlen.
Klasse gegen Attraktionen
Während sich auf dem Schiff meiner Wahl maximal knapp 1.000 Gäste aufhalten, tummeln sich auf den derzeit grössten Kreuzschiffen bis zu 7.600 Passagiere.
Die Riesenpötte mögen mehr Attraktionen bieten, die mittelgrossen Schiffe mehr Klasse: So sind etwa Balkon-Suiten und weitläufige Deck-Salons charakteristisch für die "Explora I". Und das Restaurantangebot lässt wie auf grösseren Schiffen kulinarische Weltreisen zu - vom Steak House, über das französische Haute-Cuisine-Restaurant und die mediterrane Trattoria bis hin zu japanischer Küche.
Alles ist inkludiert - selbst Getränke, einschliesslich Champagner. Billig ist die Fahrt mit der "Explora I" dabei nicht. Die sieben Tage im Sommer von Venedig bis Athen, wie ich sie mache, kosten ab 4.400 Euro pro Person.
Hightech und Heiligenbildchen
Als mir Kapitän Pietro Sinisi von der Technik des Schiffes erzählt, hätte ich mir sogar die Drake-Passage vorstellen können: Modernste Stabilisatoren sorgten dafür, dass es sehr ruhig im Wasser liegt, so werde praktisch nie jemand seekrank. Auch in Sachen Sicherheit sei an nichts gespart worden.
Und trotzdem hängt auf der Hightech-Brücke noch eine Schale mit Knoblauchzehen, Chilischoten und Heiligenbildchen: um die Meeresgötter milde zu stimmen, wie der Kapitän erläutert: "Italienische Seefahrer sind halt abergläubisch."
Wer im Urlaub zum Zelten ins Naherholungsgebiet wandert oder allenfalls mal in eine Bahn steigt, wird vielleicht prinzipiell kein gutes Haar an Kreuzfahrten lassen.
Doch was in puncto Nachhaltigkeit technisch möglich sei, habe die Explora-Flotte eingebaut, versichert der Kapitän und spricht von Filtern und Katalysatoren für die Dieselabgase, der Landstromversorgung und Unterwassergeräusche-Unterdrückungssystem zum Schutz von Meerestieren. Die in den kommenden Jahren folgenden "Explora III" bis "Explora VI" sollen zudem mit Flüssigerdgas (LNG) fahren.
Moderne Kreuzfahrtschiffe sind nicht mehr die Schweröl verbrennenden Dreckschleudern von früher, ihre Auswirkungen auf Klima und Natur aber nach wie vor unbestreitbar.
Selfie-Selbstdarsteller sind selten
Das Umweltschutz-Engagement der Reederei MSC, zu der die Kreuzfahrtreederei Explora Journeys gehört, wirkt für viele Gäste zumindest beruhigend auf das Gewissen. Nachhaltigkeit ist durchaus Bordgespräch, mehr als die Nobeluhren und Prêt-à-porter-Fummel in den Duty-free-Boutiquen an Bord.
Überhaupt ist die Atmosphäre an Bord leger. Es gibt auch kein Kapitäns-Dinner in Abendgarderobe. Das Bild dominieren Paare und Familien, die auf mich den Eindruck machen, als würden sie die Stunden an Bord wie eine wertvolle Auszeit geniessen, sogar mehr noch als die Ausflüge an Land - was ich auch so empfinde.
So war ich nach einer ermüdenden, mehrstündigen Speed-Boat-Tour zu einer Meeresgrotte in Montenegro froh, als ich endlich wieder durch die obligatorische Sicherheitsschleuse mit Metalldetektor und Ausweiskontrolle an Bord gehen konnte. Auf Kreuzfahrten ist vielleicht wirklich der Weg das Ziel.
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Die Welt ist eine andere
Zumindest ich habe das Highlight meiner Reise an Bord erlebt: interessante Gespräche mit Menschen aus der ganzen Welt, das gute Essen, den charmanten Service, dieses erholsame Gefühl von Entschleunigung.

Unvergesslich sind für mich die lauen Sommernächte im Fahrtwind auf dem Deck über der Brücke. Aus einer 30 Meter über dem Wasser dahingleitenden Loge sieht die Welt ganz anders aus. Erst recht, wenn sich griechische Küstengebirge bei Vollmond wie in einem Scherenschnitt abzeichnen. Ob ich noch einmal auf Kreuzfahrt gehe? Ich muss es einräumen: auf jeden Fall. © Deutsche Presse-Agentur