Mit Flanierkonzerten am Seeufer oder Auftritten grosser Legenden trifft das Montreux Jazz Festival generationenübergreifend einen Nerv. Ein Abend mit Lionel Richie und Celeste zeigt, wie Montreux den Spagat zwischen Nostalgie und Zeitgeist meistert.

Mehr Schweiz-Themen finden Sie hier

Der Multiinstrumentalist Reuben Stone hatte sich eben an der Seepromenade mit seiner Gerätschaft eingerichtet und spielte kurz ein paar Riffs, da bildete sich auch schon ein Kreis um den Neuseeländer. Ein paar Dutzend Passantinnen und Passanten bewegten sich leicht zur Musik oder filmten, wie der Künstler mithilfe von Loops seinen Dub-Song "Scotty's Got a New Brain" performte.

Es war ein durchmischtes Flanierpublikum, dass hier am Ufer des Genfersees Halt machte - vom jungen Paar bis hin zu Grosseltern mit ihren Enkeln ist da alles dabei. Kostenlose Auftritte vor Seekulisse, das ist denn auch eine der niederschwelligen Möglichkeiten, das Montreux Jazz Festival zu besuchen.

Generationen treffen sich in Montreux

Prestige bringen dem 16-tägigen Festival aber vor allem die grossen Namen ein, die hier kostenpflichtige Konzerte geben. Dazu gehören dieses Jahr etwa Neil Young, Lionel Richie, Diana Ross, Grace Jones oder Santana. Warum das Festival weiterhin auf ikonische Acts setzt, die ihre Karriere in früheren Jahrzehnten geprägt haben, liegt auf der Hand: "Weil sie es sind, die nach wie vor für einen guten Ticketverkauf sorgen", sagte der Co-Leiter des Bookings, Rémi Bruggmann, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Am Donnerstagabend war das Bild deutlich: Das Gratisprogramm zog den Altersdurchschnitt der Besuchenden sichtlich runter. An diesem Abend stand der Soulsänger Lionel Richie auf dem kostenpflichtigen Programm.

Celeste zeigte bei ihrem Auftritt in Montreux viel Punk-Attitüde. (KEYSTONE/Valentin Flauraud) © Keystone/VALENTIN FLAURAUD

Drei Männer Anfang Zwanzig wählten an dem Abend dennoch die Seebühne, wo der 76-jährige Musiker auftreten würde. Eine ganze Woche verbringt die aus Deutschland angereiste Gruppe in Montreux, wo sie den Anlass zum ersten Mal besucht. Man sei nicht speziell wegen Lionel Richie gekommen: "Wir wollten mal an dieses Festival mit Legenden-Status erleben, besonders weil wir ein Video des letztjährigen Auftritts der britischen Sängerin Raye sahen. Das hat uns begeistert."

Eine junge Frau dagegen war wegen der Soulsängerin Celeste gekommen, die vor Richie spielte. Wie an diesem Abend konzertiert am Montreux Jazz Festival oft vor dem ganz grossen Star ein jüngerer Act. "Mit den Opener-Acts wollen wir auch Risiken eingehen. Da darf es auch mal nischig sein", sagte Bruggmann.

Soulsängerin mit Punk-Attitüde

Wobei Celeste nun nicht wirklich ein "Risiko" sein dürfte, wie die die 31-jährige Britin mit kraftvoller und rauer Stimme bei ihrem Auftritt bewies. Vor fünf Jahren war sie in England die Neuentdeckung schlechthin, 2022 hatte sie ihr erstes Konzert in Montreux. Ihren doch melancholischen Soulliedern verlieh sie am Donnerstag einen neuen Drive.

"Das ist wohl nicht die Show, die ihr erwartet habt", sagte sie deshalb auch dem Publikum. So zeigte Celeste, dass Punk-Attitüde auch an einem Openair Platz hat, an dem es kaum zu einer Schlammschlacht kommt.

Sowieso hat das Montreux eine Spezialposition in der Schweizer Festivallandschaft. Ein Konzert auf einer der Hauptbühnen kommt eigentlich nah an ein Stadionkonzert. Auch die Ticketpreise für eine der Shows bewegen sich in diesem Rahmen. Der grosse Unterschied liegt darin, dass man das Live-Erlebnis mit 5'000 Menschen teilt, und nicht mit 50'000, wie das etwa im Stadion Letzigrund der Fall wäre. "Deshalb kann man uns weder mit anderen Sommerfestivals noch mit Stadion-Tour-Konzerten vergleichen", sagte Bruggmann.

Auch für die Künstler sei es kein typischer Festivalauftritt, sagte Bruggmann: "Wer nach Montreux kommt, geht keine Kompromisse für die eigene Show ein. Die Künstler bringen ein grosses Team mit klaren Vorstellungen mit, was etwa das Bühnenbild anbelangt."

Montreux "All Night Long"

Bei Lionel Richie zierten animierte Bilder von Discokugeln oder rosa Wolken die Bühne , projiziert von einer LED-Wand. Nach dem Konzert von Celeste hatte es nochmals einen Publikumszuwachs gegeben, dann eröffnete der Superstar mit "Hello", es folgte ein Hit auf den nächsten.

Für einige setzte sich Richie an den Flügel, so auch für "Easy Like Sunday Morning". Alles in allem versprühte das Konzert vor allem eines: viel Nostalgie.

Die Vielfalt des Montreux Jazz Festival zeigte sich auch während Lionel Richies Auftritt nach wie vor an der Seepromenade. Während auf der dieser Seebühne ein durchaus freudiges, aber doch eher gesetztes Publikum seinem Konzert lauschte und mitsang, herrschte nur wenige Meter weiter ausgelassene Festivalstimmung: Die Silent Disco war voll, die Bars und Essensstände liefen auf Hochtouren. Und wer ein paar Schritte weiterging, hörte, wie sich Reggae, Hip-Hop und Pop vermischten - während aus der Ferne noch Lionel Richies Schlusssong "All Night Long" herüberklang.  © Keystone-SDA