Was Sprachbots uns "erzählen", klingt zwar oft philosophisch. KI ist aber Mathematik. Was sagt die Philosophie zur KI?
Kürzlich ist in Köln die Phil.Cologne zu Ende gegangen. Dort sprach der Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk über Künstliche Intelligenz (KI).
Es ging ihm auf dem internationalen Philosophiefest darum, die Euphorie um KI in einen technikhistorischen Kontext zu setzen. Es gehe bei der Interaktion zwischen Mensch und KI letztlich um Steuerungskunst, die unter dem Begriff der Kybernetik bereits diskutiert worden sei. "Alles Denken solle endgültig durch das Rechnen ersetzt werden. Digitalität bringt den Tod des Denkens."
Ist KI wie Kybernetik?
So zitierte Sloterdijk laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Philosophen Martin Heidegger, für den die Kybernetik das menschliche Sein relativierte. Derartige Einordnungen können helfen, die Einzigartigkeit der neuen Technik zu relativieren und uns von ihr abzugrenzen. Und dennoch ist die heutige autonome Technik etwas anderes als Kybernetik.
Der Begründer dieser Idee, Norbert Wiener, bezeichnete sie als die Wissenschaft der Steuerung von Maschinen. Gemeint ist etwa ein Thermostat, das nach einem Abgleich von Ist- und Sollwert der tatsächlichen und gewünschten Temperatur, "eigenständig" eine Einstellung vornimmt, oder die Einspritzdüse eines Dieselmotors.
KI ist keine Einspritzdüse
Tatsächlich vergleichen kann man Kybernetik mit der heutigen Technologie zumindest technisch nicht. KI ist autonom und gleicht gerade nicht Ist- von Sollwerten ab, um erwünschte Prozesse innerhalb eines technischen Ablaufs auszulösen. Sie bringt mathematische Impulse hervor, die menschliche Sprache simuliert, die wir Menschen in unsere Gedanken projizieren.
Man kann diese autonom agierenden Werkzeuge weder kalibrieren noch justieren oder deren Arbeitsschritte nachvollziehen. Wenn man die Technik verantwortungsbewusst einsetzen will, muss man sie in ihrer Besonderheit richtig einordnen. Man kann sie nicht beherrschen, aber auch nicht aus der Welt philosophieren.
KI gewinnt Literaturwettbewerb
Wer für sich in Anspruch nimmt, er sei davor gefeit, sich von KI täuschen zu lassen, weil er oder eine andere KI erkennen könne, was menschliche und was mathematische Impulse sind, die Geschichten erzählen und Bilder malen, für den ist folgende Geschichte eines estnischen Literaturwettbewerbs interessant. Darüber berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung im März 2025 unter folgender Überschrift: "Nur die Maschine versteht uns noch – Wie eine Frau, die es nicht gibt, zur Gewinnerin eines Essay-Wettbewerbs über die Zukunft der Bewahrung der estnischen Kultur wurde."
Es geht darum, dass die Jury der grössten Kulturstiftung Estlands ("Kultuurkapital") einen Essay-Wettbewerb unter dem Motto "Die nächsten hundert Jahre der estnischen Kultur" veranstaltete. Wie Brauchtum, Kultur und Sprache des kleinen baltischen Landes in Zeiten des globalen Wandels überleben, bewegt die Menschen dort. Ausgerechnet zu diesem Thema der nationalen Identität traf der Text einer KI den Nerv der Zeit und die Anforderungen der Jury am besten und gewann.
Digitale Katerstimmung
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet eine Jury des in der Digitalisierung so fortschrittlichen kleinen EU-Mitglieds Estland der KI auf den Leim ging, indem sie den Text einer Maschine für den eines Menschen hielt. Was bedeutet der Fall? Herzlich willkommen in einer besseren Welt oder kultureller Untergang?
Das Ereignis ist nicht eindeutig zu bewerten. Man kann sich darüber freuen, wie gut KI den Menschen schon ersetzen kann, denn wo steht geschrieben, dass menschliche Literatur besser sein muss als ein mathematischer Impuls? Man kann aber auch in digitale Katerstimmung verfallen, weil die Literatursimulation der Mathematik selbst von Literaturkennern nicht mehr erkannt werden kann.
Lernen aus der Geschichte
Wie geht man um mit autonomen Werkzeugen der Gattung KI, deren Risiken und Möglichkeiten nicht konkret erkennbar sind? Um KI in ihrer Eigenschaft als mathematische Impulse zu begreifen, deren Gedankensimulationen wir über unsere Köpfe in unsere Welt holen, sollte man auf Bewährtes zurückgreifen.
Jeder, der es einmal mit einem Tier zu tun hatte, kann die Möglichkeiten und Risiken, die mit ihm verbunden sind, einschätzen. Sie sind seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte gelernt, denn Tiere waren zunächst wild und deren Domestizierung und ihr Einsatz als Arbeitsgerät, Sozialpartner, Spielzeug, Schmuckgegenstand oder Lebensmittel hat lange genug gedauert, um Erfahrungen mit den Möglichkeiten und Risiken der Mitgeschöpfe zu sammeln. Jeder normale Mensch hat Respekt und, je nachdem, auch berechtigte Angst vor Tieren.
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Stellen wir uns KI als unbekanntes Lebewesen vor
Stellen wir uns KI doch als Tier vor, das uns im November 2022 begegnet ist. Das Geschöpf hat viele Funktionen und Erscheinungsformen. Es ist faszinierend und hat Eigenschaften, die wir von Menschen und Tieren kennen, aber es ist weder Mensch noch Tier, sondern Mathematik.
Das wissen wir und dennoch integrieren es viele ungeprüft in ihr Leben. Das Geschöpf hat zwar noch keine eigene Agenda, simuliert aber Gedanken und Geschichten in simulierter Kreativität, die wir in unser Denken und Handeln aufnehmen, ohne ihren mathematischen Hintergrund ergründen können. Das reicht, um in die Irre geführt zu werden.
Tastender Umgang mit KI ist klug
Es wäre klug und naheliegend, KI interessiert, aber tastend, behutsam und bedacht in unser Leben zu lassen. Das versteht sich grundsätzlich. Dennoch nehmen Kinder zuweilen einen kräftigen Schluck aus einer Flasche mit grünem Spülmittel, das aussieht wie Waldmeistersirup, oder beissen beherzt in ein Stück Seife, das nach Himbeere riecht.
Als Erwachsene sollten wir gewarnt sein, bevor wir in einen unbekannten Pilz beissen, der lecker aussieht, oder uns einem Schimpansen an den Hals werfen, weil er aussieht wie ein Kuscheltier. So sollten wir es auch mit der KI halten. Deren Möglichkeiten erkennt man sofort. Sie bergen aber Gefahren, die so unsichtbar sind wie die der "Wunderfaser" Asbest oder wie die von Röntgenstrahlen.