Elternsein verändert vieles – auch die Beziehung. Wie schafft man es, neben Windeln, Wäschebergen und schlaflosen Nächten auch noch ein Paar zu bleiben? Die Psychologin Valentina Rauch-Anderegg erklärt im Interview, warum Nähe und Intimität im Familienalltag oft zu kurz kommen und gibt Tipps, wie Paare sich als Liebende nicht verlieren.

Ein Interview
von Stefanie Unbehauen

Frau Rauch, bei vielen Paaren kriselt es in der Beziehung nach der Geburt ihres Kindes, nicht wenige trennen sich. Doch warum stellt gerade diese Zeit so viele Partnerschaften auf eine harte Probe?

Valentina Rauch-Anderegg: Die Geburt eines Kindes stellt den Alltag von Elternpaaren auf den Kopf. Das Füttern, Wickeln, Tragen und Trösten zu jeder Tages- und Nachtzeit, aber auch den Mehraufwand im Haushalt und den vorübergehenden Verlust der eigenen Unabhängigkeit erleben viele Elternpaare als grosse Herausforderung. Ebenso ist Schlafmangel bei der Mehrheit allgegenwärtig. Diese Faktoren erhöhen oft das allgemeine Stresslevel der Partner.

Welche Folgen hat das?

Das hohe Stresslevel kann dazu führen, dass weniger angenehme Charaktereigenschaften zum Vorschein kommen wie Sturheit und Intoleranz. Wir reagieren gereizter, jede Kleinigkeit wird auf die Goldwaage gelegt.

Welche konkreten Tipps haben Sie für Eltern, um ihre Batterie aufzuladen?

Offenheit und Flexibilität sind das A und O. Niemand weiss, was der Übergang zur Elternschaft mit einem selbst und dem Partner macht. Dinge Schritt für Schritt zu nehmen und offen zu sein für Neues kann helfen, sich an die neue Situation anzupassen und Frustpotenzial zu reduzieren. Ressourcen zu stärken kann helfen, dass man zusätzlich zur neuen Elternrolle die Kraft hat, sich auch um die Partnerschaft zu kümmern und sich als Paar nicht aus den Augen zu verlieren.

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Auch Kommunikation ist wichtig. Sprechen Sie miteinander über Erwartungen, Hoffnungen und Ängste. Bei den sich ständig verändernden Gegebenheiten ist es manchmal schwierig, die Verbundenheit zum Partner nicht zu verlieren und eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Damit das gelingt, sollte ein "Wir-Gefühl" etabliert werden. Wenn Eltern sich als Team sehen, das gemeinsam eine Reise in ein unbekanntes Land macht und gemeinsam Herausforderungen meistert, stärkt das den Zusammenhalt und so die Partnerschaft.

Das klingt nach viel Arbeit.

Ja. Wichtig ist hierbei, geduldig zu sein. Sich selbst, aber auch dem Partner oder der Partnerin, Zeit zu geben, sich in der neuen Rolle als Elternteil einzufinden, kann helfen, Druck zu reduzieren. Geduld kann auch helfen, wenn ein Elternteil mal eine Pause braucht und Zeit ohne Partner und ohne Kind verbringen möchte. Oder in anderen Worten: Paare müssen miteinander reden, auch wenn sie Eltern sind. So können sie sich an die rasch verändernden Anforderungen der Elternschaft gemeinsam anpassen. Manchmal lohnt es sich auch, unterstützende Massnahmen zu ergreifen und mit einer Fachperson, beispielsweise einem Psychologen, zu sprechen.

Gerade der Faktor Zeit ist kritisch bei Paaren mit Kleinkindern. Haben Sie Tipps für eine bessere Zeiteinteilung im Alltag, damit man Freiräume für sich selbst und als Paar schaffen kann?

Zeit ist für viele Elternpaare ein rares Gut. Es gibt zum Glück aber ein paar Tipps und Tricks, die helfen können. Man sollte auch mal Fünf grade sein lassen. Sei es, im Haushalt beispielsweise nicht mehr alles zu bügeln, auch mal eine staubige Ecke staubig sein zu lassen oder bei den Erwartungen an sich als Eltern. Der Glaubenssatz "Ich muss immer geduldig sein" ist zu idealistisch. Selbst ein guter Vater hat nach einem anstrengenden Abend keine Geduld mehr für stundenlanges Schreien.

Wichtig ist auch, Unterstützung zu akzeptieren. Hilfe von aussen anzunehmen, ist für manche ein Zeichen von Schwäche. Es ist aber völlig in Ordnung, um Hilfe zu fragen und beispielsweise den Besuch darum zu bitten, ein vorgekochtes Abendessen mitzubringen, oder die Kinder für ein paar Stunden bei den Grosseltern, der Patentante oder den Nachbarn zu lassen. Diese kleinen Oasen helfen beim Auftanken. Auch Technik kann hilfreich sein. Ein Staubsaugroboter kann den grössten Dreck wegmachen, Lebensmittel können online bestellt werden. Und vor allem: realistische Erwartungen haben.

Wie sehen realistische Erwartungen aus?

Es müssen nicht immer ganze kinderfreie Wochenenden oder Tagesausflüge als Paar sein. Ein gemeinsamer Spaziergang oder ein Kaffee im Restaurant um die Ecke kann bereits helfen, sich wieder verbundener zu fühlen. Selbiges gilt auch für die Zeit für sich. Versuchen Sie bewusst, sich kleine Oasen zum Auftanken zu schaffen und erkennen Sie solche Momente als "Auftank-Momente": Eine Minute länger unter der Dusche stehen und das warme Wasser geniessen. Einen tiefen Atemzug am offenen Fenster nehmen oder einen tollen Podcast hören, während man den Geschirrspüler ausräumt.

"Ganz wichtig ist es, dass beide Elternteile sich regelmässig darüber austauschen, wie es ihnen mit der aktuellen Aufteilung der Kinder- und Erziehungsarbeit, der Hausarbeit und der bezahlten Arbeit geht."

Valentina Rauch-Anderegg, Psychologin

Es kann sich auch lohnen, die eigenen Vorstellungen zu hinterfragen und sich so mehr Freiheit und mehr Flexibilität zu ermöglichen. Wer hat meine Vorstellung vom Elternsein geprägt? Mit welchen Rollenvorbildern bin ich aufgewachsen? Was möchte ich gleich machen und was anders? So kann man zur Erkenntnis kommen, dass es in Ordnung ist, wenn der Partner mal allein mit den Kindern zu Abend isst, während man eine Runde joggen geht.

Viele Paare, die sich getrennt haben und ihre Kinder nun im Wechselmodell erziehen, berichten, dass die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit in der Beziehung überhaupt erst zur Trennung geführt hat. Nun, da das Kind in zwei getrennten Haushalten lebt, funktioniere die paritätische Aufteilung besser. Haben Sie Tipps, wie eine faire Aufteilung bereits vorher funktionieren kann, sodass es gar nicht erst zur Trennung kommt?

Ganz wichtig ist es, dass beide Elternteile sich regelmässig darüber austauschen, wie es ihnen mit der aktuellen Aufteilung der Kinder- und Erziehungsarbeit, der Hausarbeit und der bezahlten Arbeit geht. Erstellen Sie eine Liste mit To-dos, die regelmässig anfallen: Wickeln, in die Kita bringen, Staub saugen, Einkaufen. Notieren Sie zusätzlich, wie die Aufteilung dieser Aufgaben ist und wie zufrieden Sie mit der Aufteilung sind. Dies kann eine gute Diskussionsbasis bilden für Gespräche mit dem Partner. Vereinbaren Sie einen fixen, regelmässigen Termin, um sich über die vergangene Woche auszutauschen: Was hat gut geklappt, was war schwierig? Besprechen Sie, was Sie ändern möchten. Diese regelmässigen Gespräche helfen zu vermeiden, dass sich Ärger und Enttäuschung aufstauen und Sie bleiben emotional mit Ihrem Partner verbunden.

Nutzen Sie auch Stärken und Vorlieben. Vielleicht kocht der eine Partner sehr gerne, dafür putzt er das Badezimmer nur sehr ungerne. Dann kann es sich durchaus stimmig anfühlen zu sagen, der Eine ist für das Kochen zuständig und der Andere für das Badezimmer.

Erleben Sie es auch in Ihrer Praxis, dass Paare kommen, für die Care-Arbeit ein grosses Streitthema ist?

Ich erlebe es in meiner Praxis tatsächlich oft, dass Einzelpersonen oder Paare die Verteilung der Kindererziehung und Hausarbeit als unausgewogen empfinden und gleichzeitig über eine geringe Partnerschaftszufriedenheit klagen. Die gefühlte Ungerechtigkeit kann durchaus dazu führen, dass über eine Trennung nachgedacht wird, wobei es nicht immer zur Trennung kommt.

Was würden Sie frischgebackenen Eltern sagen, die sich zwischen Kind und Paarbeziehung hin- und hergerissen fühlen?

Für Eltern ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass der Übergang zur Elternschaft und die Elternschaft an sich eine spannende und gleichzeitig herausfordernde Reise für alle Beteiligten ist. Aufmerksam auf die eigenen Bedürfnisse zu hören und im Kontakt zum Partner zu bleiben, hilft, Herausforderungen als Paar erfolgreich zu meistern.

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Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. phil. Valentina Rauch-Anderegg ist Mutter von zwei Mädchen, promovierte Psychologin und eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin. Sie schrieb ihre Doktorarbeit zum Thema "Paare werden Eltern" und berät in ihrer eigenen psychologischen Praxis "Psychologie Anderegg" Einzelpersonen und Paare rund um die Themen Schwangerschaft und Elternschaft. Die Psychologin arbeitet in ihrer Praxis in Zürich seit 13 Jahren mit Paaren zusammen.

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