Eltern sprechen mit ihren Kindern, aber reden sie auch wirklich mit ihnen über die wichtigen Themen des Lebens? Nicola Schmidt kennt jene Gespräche, die Eltern mit ihren Kindern führen sollten – auch die, bei denen man einiges falsch und vieles richtig machen kann.
Als Erziehungs-Expertin weiss Nicola Schmidt: Gespräche mit Kindern über Themen wie Sexualität, Tod oder Trauer fordert viele Eltern heraus. In ihrem Buch "Zehn wirklich wichtige Gespräche, die Kinder und Eltern wachsen lassen" nennt sie nicht nur Gespräche, die Gross und Klein miteinander führen sollten, sondern verrät auch Methoden für Gespräche mit Kindern.
Im Interview ordnet die Autorin ein, welche häufig beiläufig behandelten Themen mehr Aufmerksamkeit bräuchten und erklärt, warum das Aufklärungsgespräch von so vielen Erwachsenen gefürchtet wird.
Frau Schmidt, was erzählen Babys ihren Eltern, wenn sie vor sich herbrabbeln?
Nicola Schmidt: Viele Babys erzählen von ihrem Tag. Insofern kommuniziert ein präverbales Baby bereits. Dieses Wissen nutzen Eltern häufig, wenn sie ihr Kleines ins Bett bringen und lassen es zunächst einmal von seinem Tag erzählen. Wir wissen, dass wir Babys sehr schnell dazu bringen können, unsere Laute oder unseren Sprachrhythmus nachzuahmen. Bietet man einem Baby also bestimmte Laute an und hört dann geduldig zu, ahmt es diese Töne mit viel Variabilität nach.
Also beginnt die Kommunikation zwischen Eltern und Kind bereits im Babyalter?
Absolut. Sie beginnt sogar schon während der Schwangerschaft, denn der Fötus im Bauch reagiert auf vertraute Stimmen. Der Trick bei der Baby-Kommunikation ist, nicht mit möglichst vielen Worten auf das Kind einzureden, sondern ein wirkliches Gespräch mit ihm zu führen – auch wenn sich das anfangs etwas kurios anfühlen mag. Dabei ist es bewiesen, dass Kinder besser sprechen lernen, wenn wir ihnen von Anfang an zuhören.
"Eltern denken häufig fälschlicherweise, es müsse ein riesiges Aufklärungsgespräch zwischen ihnen und den Kindern stattfinden."
Der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern widmen Sie sich in Ihrem neuen Buch "Zehn wirklich wichtige Gespräche, die Kinder und Eltern wachsen lassen". Welche sind diese wichtigen Gespräche?
Eines der Gespräche, das wohl bei den meisten Eltern für Unwohlsein sorgt, ist das Aufklärungsgespräch. Auch der Umgang mit dem Thema Tod und ein entsprechendes Gespräch mit Kindern über Verlust und Trauer fordert viele Eltern heraus. Darüber hinaus gibt es viele Themen, die gewissermassen beiläufig besprochen werden, aber viel mehr Aufmerksamkeit bräuchten.
Welche Themen wären das?
Ich denke da etwa an das Thema Geld. Finanzielle Bildung, vor allem mit Blick auf Gleichberechtigung von Mädchen, kann eine grössere Rolle einnehmen. Auch das Thema Freundschaft ist von Relevanz: Immer wieder treten Erwachsene an mich heran und berichten mir, ihr Kind habe keine Freundinnen und Freunde. In der Beratung stellen wir dann häufig fest, dass auch die Erwachsenen keinen aktiven Freundeskreis haben und nicht so genau wissen, wie man Freundschaften aufbaut und hält. Weil es diesen Skill also nie gelernt hat, hat das Kind in der Folge im Kindergarten oder in der Schule Schwierigkeiten damit, sich mit anderen Kindern anzufreunden. Setzen sie sich also mit diesen herausfordernden Themen auseinander, können auch die Erwachsenen noch eine ganze Menge lernen.
Warum ist vielen Erwachsenen das von Ihnen angesprochene Aufklärungsgespräch mit Kindern oder Jugendlichen so unangenehm?
Man kann nur über Themen sprechen, für die man auch die passenden Worte hat. Doch viele Worte wurden uns schlichtweg nie gegeben. Insofern fehlen vielen Erwachsenen wortwörtlich die Worte dafür, ein Gespräch über Sexualität zu führen, ohne dass sie es als peinlich empfinden. Eltern denken häufig fälschlicherweise, es müsse ein riesiges Aufklärungsgespräch zwischen ihnen und den Kindern stattfinden – dabei brauchen Kinder in einem bestimmten Alter lediglich die Information, was Sexualität ist und zwischen wem sie stattfindet.
Welche Gespräche empfinden Kinder wiederum als unangenehm?
Während Erwachsenen bestimmte Themen unangenehm sind, empfinden Kinder es in erster Linie als unangenehm, wenn sie belehrt werden, ihre Meinung zu einem bestimmten Thema nicht gefragt ist oder Erwachsene ihnen nicht zuhören. Für Kinder steht und fällt ein Gespräch also mit der Gesprächsführung, nicht mit dem Thema.
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Streng genommen kann man als Erwachsener über alles mit Kindern reden – über Geld, Tod, Lügen oder Sexualität. Denn Kinder lernen Scham- und Stressgrenzen erst. Ist es für einen Erwachsenen also normal, mit einem Kind über bestimmte Themen zu sprechen, ist es in der Folge für das Kind ebenso normal.
Lassen Sie uns bei dem vermeintlich gefürchteten Aufklärungsgespräch bleiben: Übernimmt ein Kind also die spürbare Unsicherheit der Eltern während des Gesprächs in Bezug auf das eigene Verständnis von Sexualität?
Selbstverständlich. Kinder tun das, was wir tun – nicht das, was wir sagen. Erwachsene können einem Kind nicht erklären, dass Sexualität etwas ganz Normales ist, wenn sie während des Gesprächs ständig lachen, albern oder sichtlich peinlich berührt sind.
Wie sollten Eltern also ein vermeintlich unangenehmes Gespräch mit ihrem Kind beginnen?
Zunächst einmal gilt es, die Erwartungen runterzuschrauben. Denn bei wichtigen Gesprächen geht es nicht darum, einem Kind binnen weniger Minuten die ganze Welt zu erklären. Darüber hinaus gilt, ehrlich zu sein. Bedeutet: Löst ein anstehendes Gespräch bei einer erwachsenen Person Nervosität aus, sollte sie sich dieses Gefühl eingestehen und entsprechend auf das Gespräch vorbereiten. Am wichtigsten ist es aber, authentisch zu sein. Ist jemandem ein bestimmtes Gespräch unangenehm, ist es keine Schande, dieses Gefühl auch offen zu benennen. Kinder sind nachsichtiger als wir denken.
Wie können Eltern Kindern die richtigen Fragen für einen guten Gesprächsverlauf stellen?
Mit dem Anfang eines Gesprächs steht und fällt der weitere Verlauf der Konversation. Meiner Meinung nach sind ehrliche Fragen die richtigen Fragen. Statt einer vagen Formulierung wie "Wie viele Freunde und Freundinnen wünschst du dir?" gibt eine Formulierung wie "Wie fühlst du dich aktuell in deinen Freundschaften?" dem Kind das Gefühl, ernst genommen zu werden. Zudem spielen auch offene Fragen eine grosse Rolle. Typische Ja- oder Nein-Fragen beenden ein Gespräch binnen weniger Sekunden. Darüber hinaus spielt das Zuhören eine immense Rolle.
Können Eltern lernen, ihren Kindern richtig zuzuhören?
Ja, das können wir. Hier empfehle ich häufig das Paraphrasieren. Eltern hören dabei ihrem Kind so zu, dass sie im Anschluss das Gesagte wörtlich widerspiegeln können. Ausserdem hilft es, während eines Gesprächs, das Smartphone beiseite zu legen. Damit meine ich nicht, das Handy umgedreht auf einen Tisch zu legen, sondern es im Idealfall in einem ganz anderen Raum zu lassen. Smartphones sollten zu Hause einen festen Platz haben, etwa in einem Korb im Flur. Nur wer nicht durch klingelnde Handys oder laufende Fernseher abgelenkt wird, kann voll und ganz bei seinem Kind sein.
Über die Gesprächspartnerin
- Nicola Schmidt ist eine deutsche Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin zu Erziehungsthemen. Als Gründerin und Geschäftsführerin der Artgerecht GmbH recherchiert, schreibt und lehrt seit 2008, was "artgerecht" für menschliche Babys und Kleinkinder ist. Sie konzipiert und leitet Camps sowie die Aus- und Fortbildung von pädagogischen Fachkräften durch das Artgerecht Projekt. Im März ist ihr aktuelles Buch "Zehn wirklich wichtige Gespräche, die Kinder und Eltern wachsen lassen" erschienen.