Auf den Kanarischen Inseln haben vor kurzem tausende Menschen gegen den Massentourismus demonstriert. Ein Soziologe ordnet die Ausmasse des Problems ein. Selbst die Tourismusmetropole Paris könne beim Andrang teils nicht mithalten.

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Die Kanaren sind ein sehr beliebtes Urlaubsziel: Im Jahr 2023 verzeichnete die Inselgruppe 14,1 Millionen ausländische Besucher:innen. Dieses Jahr werden 17 Millionen Menschen erwartet, erklärt Soziologe Eugenio Reyes im Gespräch mit der Taz. Die steigenden Massen an Urlauber:innen besorgen sowohl Bewohner:innen als auch Umweltorganisationen und Politiker:innen. Unter dem Motto "Die Kanaren stossen an ihre Grenze" haben im April grosse Proteste stattgefunden, auf allen bewohnten Kanarischen Inseln. Deutschlandfunk verweist auf Polizeiangaben, nach denen etwa 20.000 Menschen in Städten an Demonstrationen teilnahmen.

Reyes steht dem Massentourismus ebenfalls kritisch gegenüber. "Wir haben hier über 15 Millionen Touristen, die im Schnitt sieben bis zehn Tage bleiben", rechnet er vor. "Damit haben wir 150 Millionen Übernachtungen pro Jahr, so viele wie nirgends sonst. Nicht einmal Paris hat das." Auch eine Auswertung des Statistischen Bundesamts kommt zu dem Schluss, dass die Kanarischen Inseln 2019 die meisten Übernachtungen aufwiesen – nämlich 96,1 Millionen. Auf Platz 2 landete die kroatische Adriaküste (86,2 Millionen), gefolgt von der Île-de-France-Region, zu der auch Paris zählt (84,7 Millionen).

Kanarische Inseln: Proteste gegen Massentourismus

Dem Soziologen zufolge sind die negativen Folgen von Massentourismus lange bekannt. Seit den 90er-Jahren würde davor gewarnt. 2002 erlies das kanarische Parlament einen Baustopp für touristische Infrastruktur. Reyes zufolge wurde dieser aber jüngst "aufgeweicht". Eine Gesetzesänderung ermögliche es, dass grosse Ländereien urbanisiert werden können – zuvor galten sie als ländlicher Raum oder standen unter Schutz.

Vor kurzem erlaubte die Regierung, dass Bauarbeiten an den Hotels La Tejita und Cuna del Alma auf Teneriffa wieder aufgenommen wurden – darüber berichtete unter anderem Euronews. Zuvor wurden die Bauarbeiten wegen Umweltverstössen gestoppt. Reyes sieht darin den "endgültigen Funken" für aktuelle Protestbewegungen.

"Bei den Protesten geht es nicht nur um Hotelkomplexe", erklärt der Experte. "Es geht auch um Luxussiedlungen, die überall entstehen, mit Rasen, Parks, Swimmingpools – und das auf Inseln, die nur wenig Wasser haben." Reyes zufolge habe sich der Tourismus auf den Kanaren zudem innerhalb von 10 Jahren verdoppelt: von 8 Millionen Besucher:innen im Jahr 2008 auf 16 Millionen 2019. Dieses Jahr würden 17 Millionen Tourist:innen erwartet. Auch die Arbeitsbedingungen in der Tourismusbranche sieht der Experte kritisch.

"Wir wollen unendlich weiterwachsen in einem Gebiet, das endlich ist"

Besonders schlimm sei die Situation auf der Insel Teneriffa, die laut Reyes " dem Kollaps nahe" ist. Trotz Staus und überfüllten Lokalen würde in Teneriffa weiter gebaut. Auf der Insel wurde im Sommer 2023 das Wasser für die Bevölkerung rationiert, in Hotels aber nicht. Sogar Pools und Golfplätze wurden bewässert, so Reyes. Insgesamt mache der Klimawandel die Kanarischen Inseln "trockener denn je".

Der Soziolge gibt zu bedenken, dass die negativen Folgen von Massentourismus auch Tourist:innen betreffen: "Wem gefallen Staus und Schlangen im Urlaub? Wir wollen unendlich weiterwachsen in einem Gebiet, das endlich ist."

Soziologe für "klimaneutralen Tourismus"

Der Tourismus ist eine wichtige Einkommensquelle für die Kanarischen Inseln. Wie kann man ihn besser gestalten? Reyes fordert "klimaneutralen Tourismus". Das Konzept strebt beispielsweise auch die deutsche Urlaubsbranche an, wie die Deutsche Welle (DW) berichtet. Vertreter:innen nennen Massnahmen wie Anreisemöglichkeiten per Bus und Bahn und Hotelkost aus regionaler Produktion. Die genannten Massnahmen würden aber eher Emissionen senken, und nicht ganz vermeiden. Eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie der deutschen Tourismusbranche liegt nicht vor – obwohl Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein will.

Entsprechende Änderungen wären auch auf den Kanaren ein Anfang – aber nicht günstig. Reyes schlägt unter anderem vor, eine Kurtaxe zu erheben. "Nur ein Euro pro Nacht ergäben 150 Millionen Euro pro Jahr. Damit könnten wir investieren." Ausserdem schlägt er vor, direkt Menschen anzuziehen, die länger auf den Kanaren bleiben, was weniger Flugreisen bedeute.

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Die Regierung hat als Reaktion auf die Proteste diverse Änderungen angekündigt. Wie Medien übereinstimmend berichten, soll unter anderem ein neues Gesetz verabschiedet werden, dass eine Obergrenze für die Anzahl an Ferienwohnungen festlegt. Auch die Vermietung über Online-Plattformen wie Airbnb soll reguliert werden.

Verwendete Quellen:Taz, Euronews, Statistisches Bundesamt, DW, Deutschlandfunk  © UTOPIA

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