Mit ChatGPT haben Forschende einen für Insekten tödlichen Gentechnik-Mais entwickelt, der nach aktuellen EU-Plänen ohne Risikoprüfung zugelassen wäre. Das Experiment zeigt: Die neuen Regeln könnte Lücken in der Gesetzgebung schaffen, deren Umweltfolgen noch nicht abzusehen sind.
Ein Experiment der Aurelia Stiftung, des Vereins Testbiotech und der Initiative Save Our Seeds zeigt eine mögliche Sicherheitslücke in den geplanten EU-Gentechnik-Gesetzen auf: Mit Hilfe der öffentlich zugänglichen KI ChatGPT 4o gelang es, eine insektengiftige Gentechnik-Pflanze zu entwickeln, die nach den aktuell diskutierten Regelungen ohne Risikoprüfung freigesetzt werden dürfte.
Mais mit dauerhaft erhöhter Giftproduktion
Die Forschenden liessen die Künstliche Intelligenz einen genetischen Bauplan für eine Maispflanze entwerfen, die dauerhaft erhöhte Mengen eines insektengiftigen Proteins produziert – sogenannte Serin-Proteaseinhibitoren (SPIs). Diese werden von Maispflanzen normalerweise nur vorübergehend in Stresssituationen gebildet. Bei Insekten, die diese SPIs aufnehmen, wird die Verdauung gestört, was zum Verhungern führen kann – insbesondere bei Schmetterlingen wie dem Maiszünsler.
Die entwickelte Pflanze erfüllt die Kriterien für sogenannte NGT-1-Pflanzen (Neue Genomische Techniken), da sie maximal 20 genetische Veränderungen aufweist und kein artfremdes Genmaterial enthält. Laut dem im Juli 2023 vorgelegten EU-Kommissionsvorschlag sollen solche Pflanzen künftig ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und Kennzeichnungspflicht zugelassen werden. Utopia berichtete bereits über den umstrittenen Entwurf:
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Befürworter:innen der NGT erhoffen sich Pflanzen, die mehr Nährstoffe haben oder widerstandsfähiger sind, etwa gegen die Folgen des Klimawandels. Dadurch müssten auch weniger Pestizide eingesetzt werden, lautet eines der Argumente.
Bio-Landwirt:innen müssten allerdings weiterhin gentechnikfrei arbeiten. Sie beklagen, dass sie unverhältnismässig belastet würden, da sie sich etwa dagegen schützen müssten, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen von anderen Feldern ungewollt auf ihrem Land verbreiten.
Im Januar 2024 richteten auch Vertreter:innen der Lebensmittelbranche wie Rewe und Dm in einem offenen Brief warnende Worte an die EU: "Der vorliegende Gesetzesentwurf zu NGT entscheidet darüber, ob es in der EU zukünftig noch eine Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion ohne Gentechnik geben wird."
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Risiken für Ökosysteme?
Besonders problematisch ist laut der Aurelia Stiftung, dass insektizide Pflanzen nicht nur für Schädlinge, sondern auch für Nichtzielorganismen giftig sein können. Es lägen aktuell nur wenige Studien vor, die die Wirkung von Serinprotease-Inhibitoren auf mit dem Maiszünsler nahe verwandte Schmetterlingsarten untersucht haben.
Die Sorge, dass mögliche Risiken gegenüber der Umwelt noch nicht ausreichend erforscht seien, weist die Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit (ZKBS) zurück: "Die maximale Anzahl von 20 gezielten Veränderungen in einer NGT-1 Pflanze ist sehr gering verglichen mit Tausenden zufälliger Veränderungen im Erbgut nach klassischer Mutagenesezüchtung", so das ehrenamtliche Expertengremium.
Auch über 1.500 Wissenschaftler:innen, darunter 37 Nobelpreisträger:innen, haben sich Anfang 2024 mit einem offenen Brief für den Vorschlag der EU-Kommission ausgesprochen. Darin forderten sie das EU-Parlament auf "die Finsternis anti-wissenschaftlicher Panikmache" abzulehnen und stattdessen "in Richtung Wohlstand und Fortschritt" zu blicken. Koordiniert wurde die Aktion von We Planet, einer Organisation, die neben Neuer Gentechnik auch Atomkraft als essenzielle Technologie für eine nachhaltige Zukunft sieht und die gesellschaftliche Akzeptanz dafür erhöhen möchte.
Verbraucher:innen wollen Kennzeichnung
Die gesellschaftliche Akzeptanz für eine Befreiung der NGT-1-Pflanzen von der Kennzeichnungspflicht ist dennoch gering: Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage in Auftrag von Foodwatch von September 2023 sprachen sich 92 Prozent der Befragten in Deutschland für eine Kennzeichnungspflicht bei Lebensmitteln aus, unabhängig davon, ob neue gentechnischen Verfahren oder klassische Gentechnik verwendet wurde. 96 Prozent fanden, dass mögliche Risiken immer untersucht werden sollten, wenn Pflanzen mit neuen Verfahren gentechnisch verändert werden.

Gesetz könnte noch 2025 beschlossen werden
Seit Anfang Mai laufen Trilogverhandlungen zwischen EU-Kommission, Rat und Parlament über die finale Ausgestaltung der neuen Gesetze. Es ist die letzte Chance, die Bedenken von Bioverbänden und Umweltschutzorganisationen zu berücksichtigen. Mit einem Ergebnis ist allerdings erst im zweiten Halbjahr 2025 zu rechnen.
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Verwendete Quellen: Aurelia Stiftung (Pressemitteilung), ZKBS, Foodwatch, We Planet © UTOPIA