Schafe überall: Seit Jahrhunderten wird auf Schottlands abgelegenem Archipel Wolle gesponnen und verstrickt. In der Wool Week werden die Shetlands wieder zum Treffpunkt für Strickfans aus aller Welt.

Lerwick - Anne Doull hatte über den Winter jede Menge zu tun. Zusammen mit ihren Eltern Margaret und Addie ist sie Herrin über 650 Schafe im Nordwesten von "Mainland", der Hauptinsel, ausserdem hat sie einen ganz normalen Job als Ingenieurin. 2024 wurde der Familie eine grosse Ehre zuteil: Die Doulls wurden "Patrone" der Shetland Wool Week.

Das weit über die Inselgrenze hinaus bekannte Handarbeits-Event findet 2025 zum 16. Mal statt. Erwartet werden wieder Strickerinnen und auch ein paar verstreute Stricker aus aller Welt. Was sie dort wollen an der vom Meer umtosten und nur mühsam erreichbaren Nordspitze Grossbritanniens und das auch noch im Herbst? Techniken und Muster lernen, sich mit Gleichgesinnten austauschen. Und natürlich die Shetlandinseln sehen.

Jedes Jahr entwerfen Patrone das Muster für die offizielle Mütze zum Event. Natürlich muss sie niemand tragen oder nachstricken. Aber die meisten tun es. Anne hat eine Mütze mit Fair-Isle-Muster und Schafköpfen entworfen, die sie gleich in mehreren Farbkombinationen vorgestrickt hat. Fair Isle - so heisst auch die südlichste der bewohnten Shetlands, wo die spezielle Stricktechnik von Fischersfrauen vor Jahrhunderten erfunden wurde.

Wer sich an Fair-Isle-Muster traut, hat nicht zum ersten Mal Stricknadeln in der Hand. Teils wechseln die Farben bei jeder Masche, um auf der Aussenseite das Muster zu ergeben. Auf der Innenseite werden die Fäden weitergezogen, so dass eine Mütze mit mehreren Schichten Wolle entsteht. Warm und isolierend, genau richtig für das oft wechselhafte Wetter im Norden Schottlands.

Schafe in Shetland
Auf den Shetlandinseln leben Schafe von elf verschiedenen Rassen. Aus ihren Fellen lässt sich Wolle in über 30 Farbnuancen herstellen. © dpa / Verena Wolff/dpa-tmn

Nicht nur Mützen und Handschuhe werden so gestrickt. Anne und ihre Mutter Margaret zeigen Pullis und Strickjacken, die ebenfalls in den – oft in den Familien vererbten – Mustern gefertigt sind. Alles in Handarbeit, versteht sich.

Dicke Pullis aus feiner Wolle

Addie, Annes Vater, liebt seine Fair-Isle-Pullover, "nichts ist wärmer und langlebiger", sagt er, draussen auf dem Feld, im Stall oder daheim. Was natürlich auch an der Qualität der Wolle liegt, die die Schafe hier liefern. Das zeigt er an einem Schaffell: Wie fasst sich die Wolle an? Wie ist die Qualität der Fasern? Ist die Struktur gleichmässig? Das alles wird auch bei den Wettbewerben geprüft, zu denen die Schafzüchter von der Insel ihre Felle bringen. Die Doulls werden regelmässig ausgezeichnet.

Elf verschiedene Schafrassen leben auf den Inseln, aus den Fellfarben lassen sich mehr als 30 verschiedene Nuancen herstellen. "Inzwischen bieten die Produzenten auch Farbtöne an, die an die Farben auf der Insel erinnern: der Sonnenuntergang zum Beispiel Dunkelblau, Pink, Orange und Gelb", sagt Anne.

Zu denen, die ihre Wolle selbst färbt und verkauft, gehört Becky Pritchard. Sie hat ihre Silly Sheep Fibre Company ganz im Westen der Hauptinsel, in Walls. Auf ihren Feldern leben rund 50 Schafe, ein paar Enten, Gänse und Hühner.

Becky nutzt entweder gleich die natürlichen Fellfarben für ihre Wolle, oder sie färbt kleine Mengen in reiner Handarbeit. Dass ihre Wolle viele Fans hat, sieht sie vor allem im letzten Quartal des Jahres und zur Wool Week in Lerwick. Dann fängt sie auch an, die nachgefragten Adventskalender zu packen, die sie alljährlich verkauft.

Die Doull-Familie
Addie, Margaret und Tochter Anne: Die Doulls sind "Patrone" der Shetland Wool Week. © dpa / Verena Wolff/dpa-tmn

Mit Handarbeiten durch die langen Winter

An die Wolle aus Walls ist Janni Beichert aus Hannover hier nicht gekommen, als sie die Mütze nach dem Muster von Anne Doull gestrickt hat. So ist sie mit ihren Freundinnen Elke Bothe und Vanessa Jäkel aus Norddeutschland auf die Inseln gekommen. Zum Stricken, zum Ausspannen und um die Shetlands zu entdecken.

100 Inseln sind das insgesamt, 16 davon bewohnt – gelegen zwischen den Orkneys, Färöer und Norwegen. Alle drei schwärmen von dem, was sie gesehen haben, wenn auch im Regen, im Wind und bei dem bisschen Sonnenschein, der es im Herbst gelegentlich durch die Wolken schafft.

Grüne Hügel, schroffe Felsen, kleine Seen und Lochs, Strände mit türkisfarbenem Meerwasser. Kurvige Strassen, fast überall einspurig, mit Buchten, um den Gegenverkehr vorbeizulassen. Und mit etwas Glück gibt es schon Anfang Oktober Nordlichter zu sehen, wenn der Himmel klar ist.

Ganz anders ist es hier oben, einsam, besonders. Und man kann sich vorstellen, wie sie den ganzen Winter durchstricken, wenn es draussen stürmisch, nass und dunkel ist. Wie sie Wolle für den Hausgebrauch spinnen und die Älteren den Jüngeren die komplizierten Fair-Isle-Muster beibringen. Oder das Spitzestricken. Für beides waren die Frauen aus Shetland einst berühmt, wie Besucher im Shetland Museum and Archives in Lerwick erfahren.

Rettung eines Kulturguts

Queen Victoria besass eine Stola, französische Modemagazine berichteten über die Spitze, die da auf einem abgelegenen Archipel von Hand hergestellt wurde, und sogar in New Yorker Geschäften war sie zu bekommen. Die eher dicken und warmen Pullover und Strickjacken verkauften die Insulaner im gesamten Königreich und an die Fischer, die auf den Inseln an der Grenze von Nordatlantik und Nordsee Halt machten.

Die offizielle Mütze
Die offizielle Mütze zum Event der Doulls. © dpa / Verena Wolff/dpa-tmn

Vor allem die Frauen aus Unst, dem nördlichen "Ende" Grossbritanniens, waren es, die die Spitzen aus ganz feiner Wolle strickten. Eine Wissenschaft, selbst für Geübte. Regelmässig trifft sich ein Grüppchen im Heritage Centre auf der nördlichsten der grösseren Inseln des Archipels. In einem Nebenraum des Gebäudes, das von aussen an eine Grundschule erinnert, wird gestrickt, geklönt und Wissen weitergegeben. Fehler in den Mustern oder in der Technik werden analysiert.

Minnie Mouatt und die anderen können sich auch auf die Fahnen schreiben, dass sie das Kulturgut des Spitzestrickens nicht in Vergessenheit haben geraten lassen - die Gefahr bestand. Aber jetzt sind auch wieder ein paar jüngere Frauen da, die mit ihren Nadeln die filigranen Muster erschaffen.

Unterwegs zu den Spinnnern

Während der Wool Week gibt es organisierte Ausflüge nach Unst, dazu zahlreiche andere Touren zu Schäferinnen und Spinnern, zu Wollproduzenten und Designerinnen. Und jede Menge Workshops: Spinnen, Stricken, Weben, Filzen – was man mit Wolle so machen kann.

Das Shetland Museum and Archives im Hauptort Lerwick ist der "Hub" für die Wool Week. Hier ist jeder mit seinen Fragen willkommen. In einer Art Wohnzimmer sind die gemütlichen Sofas gut besetzt, es klappern die Nadeln, Wollknäuel liegen herum. An einer Wand hängt eine grosse Weltkarte mit zahlreichen Fähnchen – sogar aus Hawaii, Südafrika, Neuseeland und Japan haben es Wollbegeisterte schon in den Norden Schottlands geschafft.

Elke, eine der drei Freundinnen aus Norddeutschland, gehört zu einer eher kleinen Gruppe bei der Wool Week. Sie kann nicht stricken. Trotzdem war es keine Frage, dass sie mit auf diese Reise geht. Denn sie ist von etwas anderem fasziniert, ohne das keine Strickerin auch nur ein Gramm Garn durch die Finger gleiten liesse: "Ich könnte stundenlang daneben sitzen, wenn jemand am Spinnrad Wolle herstellt."

Fair-Isle-Strickjacke
Fair-Isle-Strickjacke - die Muster zu stricken erfordert hohe Handarbeitskunst. © dpa / Verena Wolff/dpa-tmn

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Die Shetland Inseln sind der nördlichste Teil Grossbritanniens. Von den 100 Inseln sind 16 bewohnt.

Anreise: Die Hauptinsel der Shetlands (Mainland) ist mit dem Flugzeug und der Fähre zu erreichen. Loganair bedient Sumburgh (LSI) unter anderem von London, Glasgow und Edinburgh. Aus Aberdeen und Kirkwall fahren die Fähren nach Lerwick.

Vor Ort unterwegs: Am besten erkunden Besucher die Insel mit einem Mietwagen. Öffentliche Busse fahren selten. Züge gibt es nicht. Die kleineren bewohnten Inseln wie Yell, Unst, Whalsey oder Papa Stour sind per Fähre zu erreichen.

Reisezeit: Die sonnigsten Monate in Shetland sind April bis August. Im August ist es am wärmsten mit Temperaturen von teils über 20 Grad. Zwischen Mitte Mai und Mitte Juli ist es wegen der Lage im hohen Norden nur wenige Stunden wirklich dunkel.

Klima: Auf den Shetlands kann man alle vier Jahreszeiten an einem Tag erleben. Es empfiehlt sich, sich in Lagen zu kleiden. Wasser- und windfeste Schuhe und Jacke oder Mantel gehören ins Reisegepäck.

Unterkunft: Es gibt bodenständige Hotels und Pensionen, ausserdem Ferienwohnungen und Campingmöglichkeiten.

Währung: Britisches Pfund

Sprache: Die offizielle Sprache ist Englisch. Allerdings haben die Shetlander ihren eigenen Dialekt, der sowohl Wurzeln im Schottischen als auch in Norn hat, jener ausgestorbenen germanischen Sprache, die die Wikinger mitbrachten.

Empfehlungen der Redaktion

Shetland Wool Week: Die 16. Shetland Wool Week findet vom 28. September bis 4. Oktober 2025 statt. Gestrickte Pullis, Handschuhe und Mützen bekommt man beim Maker's Market am letzten Tag der Wool Week zu kaufen.

Auszeichnungen für die Wolle der Familie Doull
Gute Ware: Familie Doull von der Islesburgh Farm hat für ihre Wolle schon mehrfach Auszeichnungen erhalten. © dpa / Verena Wolff/dpa-tmn

Weiterführende Informationen: shetland.org; visitscotland.com  © Deutsche Presse-Agentur