An den 47. Solothurner Literaturtagen sind unter dem Titel Stoffwechsel Veranstaltungen zusammen mit den Solothurner Filmtagen geplant. Vor diesem Hintergrund sagt der Dozent und Regisseur Stefan Jäger, wann filmische Umsetzungen von Romanen gelingen.
Ein Satz ist in der Filmbranche regelmässig zu hören: "Dieser Roman ist unverfilmbar." Grundsätzlich könne jede Vorlage verfilmt werden, entgegnet Stefan Jäger. Er ist Majorleiter der Drehbuchabteilung im Filmdepartement der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und selber Regisseur und Produzent.
Es hänge von zahlreichen Faktoren ab, wie schwierig Verfilmungen von Romanen sind: Erzählperspektive, Anzahl Figuren, Verschachtelungen, Verortung und Seitenzahl, zählt Jäger auf. Da die meisten Spielfilme 90 bis 120 Minuten dauern, sei "bei umfangreichen literarischen Vorlagen eine starke Reduktion nötig".
Die Diamanten einer Geschichte
Ein Dozent habe einmal gesagt, es gehe darum, den Diamanten in einer Geschichte zu finden. "Das klingt zunächst einmal simpel", sagt Jäger, könne aber ungemein schwierig sein und mitunter Jahre dauern. Sei der Kern der Geschichte gefunden, liessen sich auch komplexe Stoffe überzeugend filmisch umsetzen.
Manchmal gibt es auch das Gegenteil: zu wenig Stoff. Jäger hat das selber erlebt, als er "Schellen-Ursli" (2015) für die Leinwand adaptierte. Regie führte Xavier Koller. Die zentrale Handlung des Buchs - die Glockengeschichte - ist für einen Spielfilm zu kurz. Deshalb hat Jäger sie um wesentliche Teile ergänzt.
Ob ein Film gut werde, hänge nicht davon ab, ob die Vorlage ein Erfolgsroman sei oder ein original entwickelter, neuer Stoff, so der Dozent. "Erfolgsromane auf die Leinwand zu bringen, ist ausserdem eine zweischneidige Sache." Auf der einen Seite sei da die sogenannte intellectual property (IP), also das geistige Eigentum. Damit sind Ideen, Figuren oder Geschichten gemeint, die sich bereits erfolgreich etabliert haben. Bekannte Beispiele sind das Marvel-Universum oder "The Lord of the Rings". Der Teppich zum Erfolg sei da bereits ausgelegt, so Jäger. Marketingkosten könnten gespart werden, manche Filme seien geradezu Selbstläufer.
In Europa habe der Produzent Bernd Eichinger dieses Geschäft beherrscht. Er kaufte die Rechte von Weltliteratur - "Die unendliche Geschichte" (1984), "Der Name der Rose" (1986) oder "Last Exit to Brooklyn" (1989) - und machte daraus Kinoerfolge. Gleichzeitig bestehe bei IP-Filmen die Schwierigkeit, die Balance zwischen Werktreue und Originalität zu halten, damit möglichst viele Menschen erreicht und möglichst wenige Fans enttäuscht würden.
Hürden für Literaturverfilmungen
Auch wenn sich seine Studierenden durchaus für Romanverfilmungen interessieren würden, käme es aus finanziellen Gründen kaum je zu einer Umsetzung: "Die Option an einem Roman zu erwerben oder gar die Rechte zu kaufen, ist im Studium unrealistisch." Deshalb ist Jäger froh um Institutionen wie den Kulturfonds der Société suisse des auteurs, der das Verfassen von Drehbüchern für Spielfilme und Serien, denen ein bestehendes literarisches Werk zugrunde liegt, bis vor Kurzem mit einem Geldbeitrag gefördert hat. Als Beispiele nennt er "Stiller" von Stefan Haupt, der Mitte Oktober in die Kinos kommen soll, oder den Film "Das Licht hinter den Bergen", der auf dem gleichnamigen Roman von Thomas Röthlisberger basiert, der derzeit in Entwicklung ist und zu dem Jäger selber das Drehbuch schreibt.
Neben dem finanziellen Aspekt sieht Stefan Jäger eine weitere Hürde: "Die Schweiz ist weiterhin ein Land der Autorenfilmer" - von Filmschaffenden also, die die Drehbücher zu ihren Werken selber schreiben. "Die Drehbuchautorinnen und -autoren haben hierzulande keine Lobby und werden, anders als zum Beispiel in den USA, sehr stiefmütterlich behandelt."
Er wolle über diese Tatsache aber nicht lamentieren, so der ZHdK-Dozent, sondern bilde viel lieber neue Drehbuchautorinnen und -autoren aus. Dass die Produktion von Serien immer wichtiger werde, sei positiv für den Berufsstand, sagt Jäger. "Bei Serien ist die Regie nicht mehr das zentrale Element, sondern jene Menschen, die die Geschichte schreiben."
Top und Flop
Fragt man Stefan Jäger nach einem besonders gelungenen Beispiel einer Literaturverfilmung, nennt er "Dr Goalie bin ig" (2014) von Sabine Boss. "Wie der Sound von Pedro Lenz umgesetzt wird, ist schlicht grossartig."
Und ein schlechtes Beispiel? Stefan Jäger zögert nicht: "A Minecraft Movie" (2025). Der Film basiere auf einem Game, das über 100 Millionen von Menschen spielen und das als eines der einflussreichsten gelte. Da sollte eigentlich nichts schiefgehen. Doch: "Die Umsetzung lässt mich ratlos."
Zusammenarbeit von Literatur- und Filmtagen
Am (heutigen) Freitag laden die 47. Solothurner Literaturtage zur Veranstaltung "Drehbuch - How to write". Dort steht die Frage im Mittelpunkt, worauf sich eine Buchautorin, ein Buchautor einlässt, wenn sie oder er bei einem Drehbuch mitarbeitet. Quentin Mistral und die Drehbuchautorin Emmanuelle Fournier erzählen von hilfreichen Erfahrungen und bewährten Werkzeugen. Mistral hat das Schreibatelier "La salle de sport" gegründet, das sich der Entwicklung von Drehbuch-Projekten widmet.
Bei der Veranstaltung "'Friedas Fall' - vom Buch zum Drehbuch" wird am Sonntag (01.06.) exemplarisch gezeigt, wie aus einem literarischen Text ein Drehbuch entsteht. Der Film der Regisseurin Maria Brendle basiert auf dem Roman "Die Verlorene" von Michèle Minelli. Das Drehbuch schrieb die Autorin zum grössten Teil selbst. Im Gespräch sprechen Minelli und der Drehbuchautor Stephan Puchner, der sie begleitet hat, von ihrer Arbeit und geben Einblicke, wie Text und Inhalt entwickelt wurden.
Stefan Jäger, Majorleiter der Drehbuchabteilung im Filmdepartement der Zürcher Hochschule der Künste, begrüsst, dass es diese Veranstaltungen gibt. "Für Drehbuchautorinnen und -autoren sind Netzwerke von entscheidender Bedeutung. Und der Blick über den Tellerrand tut jeder Branche gut."
Die Zusammenarbeit der Solothurner Literaturtage mit den Solothurner Filmtagen unter dem Titel Stoffwechsel gibt es seit 2023 an den Literaturtagen und fand erstmals 2024 an den Filmtagen statt.*
*Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert. © Keystone-SDA