Auf der Freilichtbühne am Riffelberg oberhalb von Zermatt feiert "The Matterhorn Story" am Freitag Premiere. 160 Jahre nach der Erstbesteigung des Matterhorns hat die Autorin Livia Anne Richard das Stück neu inszeniert - und warnende Frauen ins Zentrum gestellt.
Die Erstbesteigung des Matterhorns endete tragisch: Am 13. Juli 1865 machte sich von Zermatt aus eine Seilschaft auf den Weg, zusammengewürfelt aus sieben Männern, die unterschiedlicher kaum sein konnten - englische Herren um den Alpinisten Edward Whymper, geführt von Vater und Sohn Taugwalder aus Zermatt, zwei Bergbauern.
Die sozialen Unterschiede waren immens, sprachlich verstand man sich nicht; hinzu kam, dass die Aktion übereilt war, weil man einer Seilschaft zuvorkommen wolle, die von der italienischen Seite her aufstieg. Die Männer wollten die Ersten sein.
Die Frauen haben das heraufziehende Unheil gesehen. Zermatt im 19. Jahrhundert, das war ein Dorf irgendwo in den Bergen, Bauern, die sich mehr schlecht als recht durchschlugen, der Natur ausgeliefert, im Schatten eines Berges, der für die Macht dieser Natur stand - und den man aus eigener Kraft nie und nimmer zu besiegen wagte. Doch die vornehmen englischen Herren wollten genau das.
Die blinde Seherin
Es ist diese Perspektive, die die Autorin und Regisseurin Livia Anne Richard für ihre Neuinszenierung von "The Matterhorn Story" einnimmt. "Der alles beherrschende Aberglaube und die warnenden Frauen haben mich interessiert", sagt sie im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Deshalb hat sie die Frauenfiguren gestärkt und mit der blinden Marie eine geradezu "mythische Figur" eingeführt. "Mythisch" auch deshalb, weil der blinde Seher in der Literatur seit der Antike ein starkes Motiv ist. Nun, bei Richard, wird aus dem männlichen Warner die weibliche Warnerin, die blinde Seherin.
Das ist der neue Dreh, den Richard ihrer Geschichte im Vergleich zu vor zehn Jahren gibt. "The Matterhorn Story" brachte sie zum 150. Jahrestag der Erstbesteigung des Matterhorns erstmals auf die Bühne am Riffelberg. Damals ging es ihr um die Rehabilitierung der Taugwalders, vor allem von Vater Taugwalder. Diesen Aspekt hat sie grundsätzlich beibehalten, aber in den Hintergrund treten lassen.
Jetzt, zum 160. Jahrestag, wurde Richard von der Destination Zermatt erneut angefragt. "Eigentlich mag ich es nicht, ein und dasselbe Stück zweimal zu inszenieren", sagt sie. Aber sie habe dennoch zugesagt, weil ihr die Neuinszenierung die Möglichkeit gegeben habe, ihr "altes Stück zu überprüfen".
Filmische Darstellung
Dabei herausgekommen ist nicht nur die inhaltliche Verschiebung, die Regisseurin ändert auch die Darstellung auf der Bühne. Immer wieder lasse sie die Schauspielerinnen und Schauspieler in ein sogenanntes "Freeze" gehen; Dialoge oder kleine Szenen würden auf diese Weise betont, so Richard. Diese Art der Darstellung erinnert an den Effekt des Zooms beim Film.
Verstärkt wird die filmische Komponente durch die Musik. Der Berner Pianist Elia Gasser improvisiert jeden Abend live und "fängt mit seiner Musik die jeweiligen Stimmungen immer neu ein", sagt Richard.
Am 14. Juli 1865 hat die Seilschaft aus Zermatt den Gipfel des Matterhorns tatsächlich als erste erreicht. Doch beim Abstieg stürzten vier von sieben Männern ab. Überlebt hat Whymper. Er hat dafür gesorgt, dass er als Erstbesteiger des Matterhorns in die Geschichte eingegangen ist. Und er bezichtigte Vater Taugwalder des Mordes. Auch dieser hat überlebt. Aber an dem schweren Vorwurf ist er trotz Freispruch vor Gericht zerbrochen. Nicht überlebt hat Lord Francis Douglas. Seine Leiche liegt bis heute irgendwo am Berg. Die Frauen im Dorf und die blinde Marie haben es geahnt: Es musste zur Katastrophe kommen.
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