• Anerkennungsverfahren für ausländische Fachkräfte dauern lange und bergen hohe Kosten.
  • Deutsche Behörden arbeiten kaum digitalisiert.
  • Vor allem die fehlende Gleichwertigkeit von Berufsabschlüssen erschwert die Anerkennung.

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"7.000 Euro habe ich schon investiert", sagt Denis Telesnenko. 2018 ist er aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Dort hatte er ein Studium der Zahnmedizin erfolgreich abgeschlossen und einige Zeit in dem Land als Zahnarzt gearbeitet. Nun wollte er es in Hamburg versuchen. Doch er hatte nicht mit der Zähigkeit der deutschen Bürokratie gerechnet.

Als Zahnarzt benötigt man in Deutschland eine sogenannte "Approbation", eine Zulassung als Arzt, um in diesem Beruf frei arbeiten zu können. Diese hatte Telesnenko auch beantragt. Sein Verfahren läuft nun seit mehr als drei Jahren. Immer wieder geht es zwischen der Anerkennungsbehörde und ihm hin und her. Allein die Prüfung seiner Zeugnisse dauerte zehn Monate. Laut Behörde sind Teilabschnitte seines Studiums in Deutschland nicht anrechenbar und gelten somit als nicht erfolgreich abgeschlossen.

"Es gibt Wartezeiten von 12 bis 16 Monaten"

Telesnenko widerspricht. Er habe dann dennoch diese Abschnitte in Fortbildungen in Deutschland nachgeholt, um den Anforderungen der Hamburger Behörde zu genügen. Aber auch diese erkennt die Behörde nicht an. Alle Tests, Übersetzungen ukrainischer Dokumente und den Schriftverkehr muss er selbst bezahlen. Zudem beklagt er die langen Bearbeitungszeiten des Amtes. Bis eine Antwort per Brief kommt, können viele Wochen vergehen. Ihm bleibt noch die Möglichkeit, sich bei der sogenannten "Kenntnisprüfung" anzumelden.

Dort wird jenseits von Zeugnissen überprüft, ob jemand das Fachwissen besitzt, das es für einen bestimmten Beruf benötigt. Doch auch dies ist nicht schnell erledigt. "Es gibt dort Wartezeiten von 12 bis 16 Monaten", sagt Telesnenko. In diesen Zeitabschnitten kann er wiederum nur warten und muss die Zeit verstreichen lassen. Eigentlich gilt seine Berufserlaubnis ohnehin nur zwei Jahre.

Dass Telesnenko mittlerweile nicht wieder ausreisen musste, verdankt er der Möglichkeit des Familiennachzuges. Sonst wäre sein Bleiberecht schon abgelaufen, obwohl das Anerkennungsverfahren noch gar nicht beendet ist.

Fachkräftemangel besteht in vielen Branchen

Dabei ist der Bedarf an Fachkräften im medizinischen Bereich gross. In einer Umfrage der apoBank unter Allgemein- sowie Fachärzten aus dem Frühjahr 2022 kam heraus, dass der Fachkräftemangel derzeit das grösste Problem innerhalb ihrer Berufsgruppen darstellt. Und auch andere Branchen sind betroffen. Im letzten Jahr haben insbesondere der Baubereich und die Industrie Schwierigkeiten bekommen, Stellen zu besetzen. In einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) gab jedes zweite Unternehmen an, nicht alle Stellen besetzen zu können.

Immerhin 34 Prozent der befragten Unternehmen erklärten, dass für sie auch Zuwanderung von ausländischen Fachkräften eine Lösung sein könnte.
Die DIHK fordert zur Behebung des Fachkräftemangels für die Branchen, die sie vertritt, dass auf die "vollständige Gleichwertigkeit" von Berufsabschlüssen verzichtet werden solle. Fehlende Teilqualifikationen könnten später erworben werden. Ebenso sollte die Probebeschäftigungszeit ausgeweitet werden. Die Angebote an Sprachkursen sollten flexibler gestaltet und digitalisiert werden, sowie der finanzielle Eigenanteil für Bewerber gestrichen werden.

Menschen, die arbeiten wollen, müssen mit einer "Willkommenskultur" empfangen werden

In den einzelnen betroffenen Branchen gibt es aber auch unterschiedliche Ansichten darüber, wie der Fachkräftemangel behoben werden sollte. Ausländische Bewerber müssten "letztlich das gleiche Können vorweisen, über das einheimische Absolventinnen und Absolventen medizinischer Hochschulen verfügen", sagt Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen.

Menschen, die in Deutschland arbeiten wollten, müssten hierzulande mit einer "Willkommenskultur" empfangen werden. Hinsichtlich der Lösung des Fachkräftemangels spricht sich Wenker aber gegen ein "gezieltes Abwerben" ausländischer Ärztinnen und Ärzte. Diese Menschen würden in ihren Heimatländern fehlen. Vielmehr solle Deutschland das nötige medizinische Fachpersonal selbst ausbilden.

"Arbeiter brauchen ein gutes Beratungsangebot"

Zu den grössten Problemen im Anerkennungsverfahren gehört, dass ausländische Abschlüsse häufig "nicht deckungsgleich" mit deutschen Bildungszertifikaten seien, sagt auch Mareike Freitag vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Wie der Fall Telesnenko zeigt, sind ebenso die hohen Kosten eine grosse Belastung für Menschen, die aus dem Ausland kommen und in Deutschland arbeiten wollen. Dafür bestehen zwar Möglichkeiten, dass Kosten, die während des Anerkennungsverfahrens entstehen, übernommen werden können, wie aus dem Informationsportal des Bundes "Anerkennung in Deutschland" hervorgeht.

Dies ist aber nur möglich, wenn zuerst der Antrag auf Kostenübernahme und danach derjenige auf Anerkennung der Berufsabschlüsse gestellt wird. Um durch all diese rechtlichen Regelungen durchblicken zu können, braucht es für die Menschen, die in Deutschland arbeiten möchten, ein gutes Beratungsangebot. "Die Bedarfe an Beratung sowie fachlicher und sprachlicher Qualifizierung erfordern auch ausreichende personelle und finanzielle Kapazitäten auf Seiten der deutschen Verwaltung und Wirtschaft", ergänzt Mareike Freitag vom BIFF.

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Behörden arbeiten kaum digitalisiert

Doch gerade die Abläufe im Behördenalltag seien oft ein wesentlicher Grund dafür, dass Anerkennungsverfahren verlangsamt würden, erklärt Stefan Sauer vom ifo-Institut München. Dies liege besonders stark an der fehlenden Digitalisierung in den Behörden selbst. Viele ausländische Fachkräfte würden aufgrund des hohen Aufwandes in Deutschland sogar mittlerweile davor zurückschrecken, ihre Bildungsabschlüsse überhaupt anerkennen zu lassen. Sie arbeiteten dann oft in Jobs, für die sie eigentlich überqualifiziert seien.

Dabei könnte sich Deutschland ein solches Geschehen bei dem akuten Fachkräftemangel besonders in den Bereichen Pflege und Kleinkinderbetreuung eigentlich gar nicht leisten, so der Wirtschaftsforscher.

Denis Telesnenko arbeitet derzeit als "Praxismanager" in einer Zahnarztpraxis. So kann er seinem Beruf in einer gewissen Form verbunden bleiben, auch wenn er in Deutschland bisher nicht die Aufgaben eines Zahnarztes ausüben kann. Er ist zudem Koordinator mehrerer Chat-Gruppen für Menschen, die sich in ähnlichen Lagen befinden wie er selbst. "Ende September ist ein Gerichtstermin für meinen Fall angesetzt", sagt Telesnenko. Er möchte nun mit einem Anwalt seine berufliche Anerkennung vor Gericht durchsetzen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Denis Telesnenko, ein in Deutschland lebender und in der Ukraine ausgebildeter Zahnarzt
  • Gespräch mit Mareike Freitag, Sprecherin des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIFF)
  • Gespräch mit Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen
  • Gespräch mit Stefan Sauer, ifo-Institut München, Wissenschaftlicher Referent am "ifo Zentrum für Makroökonomik und Befragungen" mit den Arbeitsschwerpunkten "Koordination der ifo Konjunkturumfragen" und "Qualitätsmanagement"
  • Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK)
  • Deutsche Industrie- und Handelskammer: DIHK-Vorschläge zur Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes
  • Inside Heilberuf 2022: Umfrage der apoBank
  • Informationsportal des Bundes "Anerkennung in Deutschland"
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