Bochum - Ein Auto und ein Fahrrad, die auf einem schmalen Weg keine Anstalten machen auszuweichen und erst in letzter Minute bremsen: Es kommt nicht zur Kollision, trotzdem strauchelt und stürzt der Radfahrer. In einer solchen Situation kann der Autofahrer für den Unfall des Radlers mit haftbar sein. Das zeigt eine Entscheidung (Az.: I-11 S 72/24) des Landgerichts Bochum, auf das die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins hinweist.

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In dem Fall war eine Frau mit ihrem Auto einen Wirtschaftsweg entlanggefahren, der nur für Anlieger freigegeben war. Ein Radfahrer kam ihr entgegen. Dieser konnte das Auto schon aus einer Entfernung von rund 150 Metern erkennen – doch weder er noch die Frau verzögerten das Tempo oder machten Anstalten auszuweichen.

Verstösse gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme

Sie fuhren weiter aufeinander zu und erst im letzten Moment bremsten beide, das Auto kam in der Mitte des schmalen Weges zum Stehen. Bei diesem Manöver stürzte der Radfahrer, obwohl sich beide Fahrzeuge nicht berührt hatten. Der Radler verklagte die Autofahrerin auf Schadenersatz für eine beschädigte Brille, ein beschädigtes Hemd sowie auf Zahlung der allgemeinen Unkostenpauschale.

Tatsächlich erkannte das Landgericht Bochum auch ohne eine Kollision der beiden eine hälftige Mithaftung der Frau, da sie durch ihr Verhalten den Sturz des Radlers auch mitverursacht hatte. Demnach verstiess sie gegen das Sichtfahrgebot und das der gegenseitigen Rücksichtnahme.

Der Radler ist nicht nur Sturzopfer

Die Frau war mit unangepasstem Tempo und mitten auf dem engen Weg unterwegs gewesen, ohne ausreichend auf den ihr entgegenkommenden Radler Rücksicht genommen zu haben. Auch berücksichtigte das Gericht die Betriebsgefahr des Autos. Diese Mithaftung bei berührungslosen Unfällen ist möglich, wenn das Verhalten eines der Fahrzeugführenden unmittelbar zu einer Reaktion und in deren Folge zu einem Schaden führt.

Und auch dem Radler war laut Kammer ein Fehlverhalten vorzuwerfen. Er fuhr auch zu rasant und ohne angemessene Reaktion in eine potenziell gefährliche Situation. Ebenso verstiess er gegen das Sichtfahrverbot. Da beide Parteien gegenseitig ihre Pflichten verletzten entschied das Gericht zur hälftigen Haftung.

Beim Schadenersatz gab es den Abzug "neu für alt"

Auf ein interessantes Detail mach die (AG) Verkehrsrecht am Ende aufmerksam. Bei dem zu ersetzenden Schaden wandte das Gericht auch den sogenannten Abzug "neu für alt" an. Dabei geht es vereinfacht gesagt darum, dass wenn der Geschädigte für seine alten, gebrauchten Sachen neue bekommt, dies eine messbare Vermögensmehrung darstellt. Wie etwa in diesem Fall die kaputtgegangene Brille. Dann ist es grundsätzlich gerechtfertigt, den zu ersetzenden Betrag zu kürzen, wenn es dem Geschädigten zumutbar ist.

Dem war hier so. Denn die drei Jahre alte und erneuerungsbedürftige Brille des gestürzten Radlers wurde eben durch eine neue ersetzt. Diese hatte zudem eine verbesserte Sehschärfe. Daher wurde der Betrag um 25 Prozent gekürzt. Aufgrund seiner hälftigen Haftung bekommt er von den Schäden zudem auch immer nur die Hälfte der jeweiligen Summen ersetzt.  © Deutsche Presse-Agentur