Kniearthrose betrifft Millionen – und viele hoffen auf eine Operation als schnelle Lösung. Doch die neue deutsche Leitlinie rückt etwas anderes in den Fokus. Was wirklich hilft – und welche Methoden eher fragwürdig sind.
Kniearthrose kann starke Schmerzen verursachen, die selten von allein verschwinden. Die Auswahl möglicher Therapieoptionen ist riesig - doch was davon wirkt wirklich? In der gerade präsentierten neuen deutschen Leitlinie zur Kniearthrose steht im Fokus, was aktuell auch eine grosse Übersichtsstudie als zentral bewertet: viel Bewegung.
"Bewegungstherapie ist das Beste bei Arthrose", betont Christoph Lohmann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Sich viel zu bewegen, sei oberstes Gebot für Betroffene. "Auf der Couch wird es nicht besser."
Kniearthrose lässt sich nicht komplett heilen, mit viel Bewegung und gesunder Lebensweise lassen sich Symptome wie Schmerzen und Steifheit aber oft stark abmildern. In der neuen Leitlinie wird die Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten betont. Ziel sei es, "ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Therapieerfolg massgeblich von ihrer Mitwirkung und Eigenverantwortung abhängt", wie es von der DGOU heisst.
Fünf Prozent weniger Körpergewicht vermindern Symptome
Neben Bewegung sei bei Übergewicht die Gewichtsreduktion ein zentraler Faktor. "Jede Abnahme in Richtung Normalgewicht bedeutet weniger Schmerzen, bessere Beweglichkeit und langsamere Arthroseprogression", steht in der Leitlinie. Schon fünf Prozent weniger Körpergewicht - also fünf Kilogramm bei 100 Kilogramm - könnten die Symptome deutlich vermindern, heisst es vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
DGOU-Präsident Lohmann verweist auf eine Studie, bei der ein Drittel der Patienten nach einem Abnehmprogramm von ihrem ursprünglichen Wunsch nach einer Arthrose-OP Abstand nahmen. "Der Effekt von Gewichtsverlust bei Arthrose ist riesig", betont der Mediziner. Das Gelenk werde dadurch entlastet. Mit einer gesünderen Ernährung - wenig Fleisch, mehr Pflanzen und Fisch - liessen sich zudem Entzündungsreaktionen im Körper vermindern, die bei Arthrose ebenso wie bei anderen Gesundheitsproblemen eine Rolle spielten.
Wie viel Bewegung richtig ist - und was sonst noch hilft
Bewegung wiederum wirkt, weil gut ausgebildete Muskeln das Kniegelenk stabilisieren und schützen, wie Lohmann erklärt. Zudem erreichen Nährstoffe aus der Gelenkflüssigkeit den Knorpel im Knie nur durch den Druck bei Bewegung.
Basis bilden demnach unter physiotherapeutischer Anleitung gelernte Übungen, die dann zu Hause fortgesetzt würden, ergänzt um Sportarten wie Fahrradfahren, Schwimmen, leichtes Joggen oder Bewegung auf dem Crosstrainer. Sportarten wie Tennis, die scharfes Abbremsen oder schnelle Richtungswechsel beinhalten, gelte es zu vermeiden.
"Auch wenn es schmerzhaft ist, sich mit Arthrose zu bewegen, sollten es Betroffene unbedingt tun", heisst es bei der Krankenkasse Barmer. "Wer unter Arthrose leidet, sollte sich wöchentlich mindestens zwei bis drei Stunden ausgiebig bewegen."
Über Kniearthrose
- Das Kniegelenk ist das grösste Gelenk im menschlichen Körper. Es verbindet die Knochen von Ober- und Unterschenkel sowie die Kniescheibe miteinander. Knochenoberflächen und Kniescheibeninnenseite sind mit Knorpelgewebe überzogen, das als Gleitschicht dient und Stösse abpuffert.
- Bei der Kniearthrose, auch Gonarthrose genannt, verschleisst der Gelenkknorpel und umliegende Strukturen wie Knochen, Bänder und Muskeln können sich entzünden. Ursache von Knorpelschäden können neben altersbedingten Veränderungen auch Verletzungen, Fehlstellungen der Beine oder Übergewicht sein. Die Beschwerden - Schmerzen und Steifheit - nehmen meist über viele Jahre langsam zu oder bleiben stabil. Auch Schübe gefolgt von beschwerdefreien oder beschwerdearmen Phasen sind möglich.
- Umgangssprachlich wird Arthrose oft Gelenkverschleiss genannt. "Das ist jedoch irreführend, denn es erweckt den Eindruck, dass Arthrose unaufhaltsam ist und das Gelenk durch normale Nutzung "verbraucht" wird", erläutern die IQWiG-Experten. Das sei aber keineswegs so. "Im Gegenteil: Im Gelenk finden fortwährend Auf- und Abbauprozesse statt. Um die Aufbauprozesse zu fördern, braucht das Gelenk Bewegung."
Der aktuellen Übersichtsstudie im Fachjournal "PLOS One" zufolge sind Knieorthesen, Wassergymnastik und andere Bewegungsformen die vielversprechendsten nichtmedikamentösen Therapien. Das Ergebnis wurde aus 139 Studien mit insgesamt fast 10.000 Patienten zusammengetragen. Knieorthesen bestehen häufig aus einer Kombination elastischer und starrer Materialien und dienen dazu, das Gelenk zu stabilisieren und zu entlasten. Sie schnitten in den meisten Kategorien am besten ab, einschliesslich Schmerzlinderung, Verbesserung der Funktion und Linderung von Steifheit. Hydrotherapie - Übungen oder Behandlungen in warmem Wasser - war besonders wirksam bei der Linderung von Schmerzen.
Orthesen bringen Linderung - sind aber keine Dauerlösung
Hinsichtlich der Orthese sei die Schlussfolgerung des Forschungsteams fragwürdig, findet Lohmann, der selbst nicht an der Analyse beteiligt war. Bei vier der acht dafür berücksichtigten Studien gehe es um kurzfristige Effekte. "Dass es einen kurzfristigen positiven Effekt gibt, ist unstrittig", erklärt Lohmann. Es handle sich aber nicht um eine Therapie mit langfristigen Verbesserungen. "Orthesen sind nicht für den dauerhaften Gebrauch gedacht."
Knieorthesen sollten Lohmann zufolge nur selten, möglichst nur bei starker Belastung getragen werden, weil sonst die das Knie stützende Muskulatur zu verkümmern drohe. "Diese Muskulatur gilt es bei Arthrose gerade gezielt zu trainieren und zu stärken, damit das Gelenk stabilisiert wird." In der neuen Leitlinie zur Kniearthrose werde der routinemässige Einsatz solcher Orthesen daher nicht empfohlen.
In der Studie schnitt unter den zwölf geprüften Therapiemethoden gepulster Ultraschall am schlechtesten ab - der auch in der deutschen Leitlinie nicht empfohlen wird. Er bewirke zwar eine mässige Schmerzlinderung, verbessere die Kniegelenkfunktionen aber nicht merklich, erläutert das Team um Yuan Luo of the First People’s Hospital of Neijiang (China). Recht gut gegen Schmerzen half der Auswertung zufolge noch die Hochintensitäts-Lasertherapie (HILT), mit Blick auf die Funktion schnitt die Stosswellentherapie (ESWT) noch recht gut ab. Der Einsatz von Medikamenten wurde nicht bewertet.
Lukrativer Markt für vermeintlich wirksame Therapieformen
In Deutschland geben dem IQWiG zufolge etwa vier Prozent aller Erwachsenen an, von einer ärztlich behandelten Kniearthrose betroffen zu sein. Die Häufigkeit nehme mit dem Alter zu und steige etwa ab dem 40. Lebensjahr stetig an.
Wegen der vielen Betroffenen und weil es eine komplette Heilung nicht gibt, ist die Kniearthrose ein höchst lukrativer Markt für vermeintlich wirksame Therapieformen und Substanzen. "Gegen Arthrose werden auch viele Mittel und Methoden angepriesen, deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist und die sogar schädlich sein können", warnt das IQWiG.
Dazu zählten Nahrungsergänzungsmittel, Ultraschall-Therapien, die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), Akupunktur, Hochton-, Magnetfeld- und Mikrowellen-Therapie sowie die endoskopische Kniespülung und Knorpelglättung mittels Arthroskopie. Dabei wird der Knieknorpel per Schlüsselloch-Chirurgie behandelt.
Über Arthroskopien
- In Deutschland waren ab den späten 1980er Jahren sehr viele Arthroskopien am Knie durchgeführt worden, über viele Jahre hinweg mehrere Zehntausend jährlich. An einer kritischen Überprüfung mangelte es lange Zeit. Nachdem Studien keinen Mehrwert zeigten, beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) 2015, dass Arthroskopien bei Kniearthrose bei gesetzlich Versicherten nur noch in Ausnahmefällen zulässig sind.
- Daneben gibt es Kniegelenkersatz-Operationen bei weit fortgeschrittener Arthrose, die Operationshäufigkeiten sind je nach Wohnort sehr unterschiedlich. Das Einsetzen einer Knie-Endoprothese sei eine der häufigsten orthopädischen Operationen in Deutschland, sagt Renkawitz, Ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie der Universität Regensburg in Bad Abbach. Er plädiert dafür, einen Gelenkersatz jeweils erst dann durchzuführen, wenn andere Optionen keine Besserung brachten. "Manche Patienten reagieren teilweise enttäuscht, wenn nicht gleich von OP gesprochen wird, sondern erst mal ein halbes Jahr andere Massnahmen ausgeschöpft werden."
Einige Patient erwarten OP als Lösung
Eine Operation werde von Patienten häufig als Lösung erwartet, heisst es auch in der kürzlich vorgestellten Leitlinie. Ärztliche Ziele wie Gewichtsabnahme, verstärkte Eigenübungen und Krankengymnastik enttäuschten manche. Mitunter werde dann der Arzt gewechselt - in der Hoffnung, dass dieser sofort eine OP in die Wege leite. Wie bei anderen Muskel-Skelett-Erkrankungen sei es für den Beschwerde- und Krankheitsverlauf mitentscheidend, wie gut es dem jeweiligen Arzt gelinge, den Betroffenen zu motivieren, sich an der Behandlung zu beteiligen und Behandlungsverantwortung zu übernehmen.
Letztlich komme es dann vielfach gar nicht zur OP, weil die Patienten im Zuge von mehr Sport und Gewichtsreduktion eine starke Besserung ihrer Lebensqualität verspürten, sagt Renkawitz. "Oft heisst es dann: Ich bin zwar nicht beschwerdefrei, aber ich komme so gut klar und warte erst mal ab." Werde operiert, sei für das Ergebnis entscheidend, dass der Eingriff in einer Klinik mit möglichst viel Routine bei dieser Art von OP durchgeführt werde. Dann könne ein Gelenkersatz 15 bis 20 Jahre halten - mit modernen Operationsverfahren und Materialien vermutlich auch noch länger.
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Zu den Risiken des Eingriffs gehören Infektionen, Thrombosen, Nachblutungen, die Lockerung der Prothese und Vernarbungen, häufigste Komplikation ist eine reduzierte Beweglichkeit. Und, was so manchem Patienten zunächst auch nicht klar ist: Auch beim künstlichen Kniegelenk bleibt die eigene Mitarbeit entscheidend. Bewegung, Muskelaufbau und die richtige Balance aus Be- und Entlastung sind nach der Operation unerlässlich, wie Renkawitz sagt.
"Es ist eindeutig klar, dass Bewegungstherapie bei Arthrose immer an vorderster Stelle zu stehen hat", fasst DGOU-Präsident Lohmann zusammen. "Und wenn es erst mal nur der Spaziergang durchs Viertel ist oder man den Crosstrainer vorm Fernseher stehen hat: Hauptsache, man macht irgendwas." (dpa/bearbeitet von ali)