Dass unter Einsamkeit die Psyche leidet, ist bekannt. Doch eine aktuelle britische Langzeitstudie zeigt: Einsamkeit kann auch körperliche Schäden verursachen. Wer sich über längere Zeit einsam fühlt, hat ein deutlich höheres Risiko, taub zu werden. Woher dieser Zusammenhang rührt und wer besonders gefährdet ist.
Rund 60 Prozent der Deutschen kennen das Gefühl der Einsamkeit: Laut des Einsamkeitsreports 2024 der Techniker Krankenkasse (TK) leiden drei von fünf Menschen häufig, manchmal oder selten unter diesem Gefühl.
Chronische Einsamkeit könne auf Dauer sowohl körperlich und psychisch krank machen, erklärt Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK. Das zeigt sich auch in den Zahlen: 23 Prozent der Menschen, die sich häufig oder manchmal einsam fühlen, schätzen ihren Gesundheitszustand als weniger gut oder schlecht ein – bei selten oder nie Einsamen sind es hingegen nur 13 Prozent.
Einsamkeit erhöht das Risiko eines Hörverlusts um 24 Prozent
Eine mögliche körperliche Auswirkung von Einsamkeit belegt nun eine britische Langzeitstudie, die kürzlich im Fachjournal Health Data Science veröffentlicht wurde: Einsamkeit kann taub machen. Einsame Personen haben demnach ein um 24 Prozent erhöhtes Risiko, schwerhörig oder taub zu werden.
Über die Studie
- Die Forscherinnen und Forscher analysierten Daten von rund 490.000 Menschen über einen Zeitraum von 12,3 Jahren. Etwa 90.000 der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben zu Studienbeginn an, sich häufig einsam zu fühlen.
- Im Laufe der Jahre erlitten über 11.500 Personen erstmals einen ärztlich diagnostizierte Hörverlust – einsame Personen dabei deutlich häufiger als diejenigen, die sich nicht einsam fühlten.
Besonders auffällig: Einsamkeit erhöhte vor allem das Risiko für sogenannte sensorineurale Hörverluste, also Schädigungen im Innenohr oder des Hörnervs – und nicht etwa für mechanisch bedingte Hörprobleme wie Mittelohrentzündungen. Diese Erkrankungen würden in erster Linie durch umweltbedingte oder anatomische Faktoren beeinflusst werden und nur begrenzte Möglichkeiten für psychosoziale Auswirkungen bieten können.
Stress, Einkommen, chronische Erkrankungen: Gründe für den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Hörverlust
Doch warum hat Einsamkeit Auswirkungen auf unser Hörvermögen? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass mehrere Faktoren dabei eine Rolle spielen. Einsamkeit gehe demnach oft mit körperlichen Stressreaktionen einher – etwa mit Entzündungen oder erhöhtem Blutdruck –, die die Strukturen im Innenohr schädigen können.
Auch wirtschaftliche Belastungen und sozioökonomische Faktoren wie Bildung und Einkommen spielen eine Rolle: Sie erklären rund 17 Prozent des Zusammenhangs zwischen Einsamkeit und Hörverlust.
Zudem wird vermutet, dass Einsamkeit die Entstehung chronischer Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Depressionen begünstigt – allesamt Risikofaktoren für Hörprobleme. Hinzu kommt, dass einsame Menschen häufiger ungesund leben, etwa rauchen oder sich wenig bewegen, was das Risiko zusätzlich erhöht.
Der subjektive Eindruck, einsam zu sein, scheint dabei wichtiger zu sein als die objektive soziale Situation. Menschen, die sich einsam fühlen, selbst wenn sie nicht sozial isoliert leben, waren stärker gefährdet.
Frauen haben ein erhöhtes Risiko
Faktoren wie das Alter, Einkommen, Depressionen, chronische Krankheiten oder die genetische Veranlagung spielen dabei keine Rolle. Nur das Geschlecht scheint Einfluss auf das Risiko eines Hörverlusts zu nehmen: Einsame Frauen sind der Studie zufolge stärker gefährdet, Hörverlust zu erleiden, als Männer.
Frühere Studien deuten darauf hin, dass einsame Frauen stärkere entzündliche und kardiovaskuläre Stressreaktionen zeigen als Männer. Die Forschenden vermuten daher, dass Frauen empfindlicher auf psychosozialen Stress reagieren – was langfristig das Gehör beeinträchtigen könnte.
Teufelskreis zwischen Hörverlust und Einsamkeit
Lange galt Hörverlust als Ursache für soziale Isolation, da er die zwischenmenschliche Kommunikation erschwert. Doch die neue Studie legt nahe, dass auch der umgekehrte Weg plausibel ist: Einsamkeit kann das Risiko für Hörprobleme erhöhen.
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Die Studie ruft dazu auf, Einsamkeit ernst zu nehmen – auch als gesundheitliches Risiko. Strategien zur Förderung sozialer Teilhabe würden demnach dabei helfen können, einem potenziellen Hörverlust im Alter vorzubeugen.
Was ist Einsamkeit eigentlich?
- Während Alleinsein lediglich beschreibt, dass andere Menschen (temporär) nicht zugegen sind, ist Einsamkeit ein negatives Gefühl. Es entsteht laut einer Definition des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, wenn "die gewünschten sozialen Beziehungen nicht mit den tatsächlichen sozialen Beziehungen übereinstimmen". Das heisst: Es tut weh, wenn man sich etwa tiefergehende oder mehr Freundschaften und Beziehungen zu anderen wünscht, als momentan im eigenen Leben vorhanden sind.
- Einsamkeit kann Depression begünstigen oder aus ihr entstehen. Wer sich sehr niedergeschlagen, teilnahmslos oder sehr einsam fühlt, findet hier Hilfe.