Die Anwältin Estell Baumann begleitet viele Paare im Trennungsprozess - und begegnet dabei immer wieder den gleichen Missverständnissen und Versäumnissen. Im Interview erklärt sie, wie man diese typischen Fehler vermeiden kann und räumt mit dem schlechten Image des Ehevertrags auf.

Ein Interview

Frau Baumann, wenn es um Scheidung geht, denken viele Menschen vermutlich schnell an Klischees wie Rosenkrieg. Wie können sich Menschen "richtig" trennen?

Estell Baumann: Meiner Meinung nach sollte man bei einer Trennung nicht ins Fingerpointing (Schuldzuweisungen; Anm.d.Red.) verfallen. Vielmehr sollten auch die eigenen Muster innerhalb der Beziehung hinterfragt werden. Denn häufig spielen diese Muster auch im Rahmen einer Trennung weiterhin eine Rolle. In einer Beziehung ist die sogenannte Love Language oft von Relevanz. Ich finde: Streitkultur ist wie Love Language, nur extremer – denn wenn man weiss, wie man sein Gegenüber triggern oder verletzen kann, kann dieses Verhalten bei einer Trennung entsprechend eingesetzt werden.

Häufig wird von typischen Fehlern gesprochen, die Paare bei einer Scheidung machen – in diesem Zusammenhang fällt nicht selten der Begriff Ehevertrag. Halten Sie es für einen Fehler, bei der Eheschliessung keinen Ehevertrag zu schliessen?

Ich halte es für einen Fehler, nicht einmal über einen Ehevertrag nachzudenken. Meiner Meinung nach ist es aber im ersten Schritt wichtig, sich bewusst zu machen, welche gesetzlichen Folgen mit der Eheschliessung einhergehen. Denn zunächst einmal ist die Ehe an sich ja eigentlich schon ein Vertrag, der geschlossen wird und einen gesetzlichen Rahmen schafft.

"Das Schlimmste, was vor allem auf emotionaler Ebene immer wieder passiert, ist die bewusste oder unbewusste Instrumentalisierung von Kindern."

Estell Baumann

Ob man in einer individuellen Konstellation zwingend einen Ehevertrag benötigt, um von den gesetzlichen Vorschriften abzuweichen, lässt sich nicht pauschal beantworten. Daher sollten sich die Menschen im Bestfall mit den gesetzlichen Folgen einer Eheschliessung auseinandersetzen. Liegen die Vorstellungen von Ehe und die gesetzlichen Vorgaben dann auseinander, ist der Ehevertrag ein geeignetes Werkzeug, um eben diese unterschiedlichen Annahmen zu modifizieren und auf die konkrete Situation anzupassen. Aber ich bin weit davon entfernt, allen Menschen pauschal einen Ehevertrag zu empfehlen.

Sie sprachen davon, dass die Ehe für sich genommen bereits ein Vertrag ist. Wird die Ehe Ihrer Meinung nach zu sehr romantisiert?

Absolut. Manchmal scheinen sich die Menschen mehr Gedanken um das Brautkleid, das Catering und die Location zu machen, als um den gesetzlichen Aspekt, der bei einer standesamtlichen Trauung eingegangen wird. Denn all diese romantisierten Teile des Hochzeitsevents haben mit dem Akt im Standesamt zunächst einmal nichts zu tun, während das Jawort im Standesamt rechtliche Folgen mit sich bringt.

Können Sie hierfür ein konkretes Beispiel nennen?

Es passiert immer wieder, dass Menschen in der Erstberatung beim Scheidungsanwalt völlig irritiert sind, wenn ich sie darüber aufkläre, dass in der Ehezeit erworbene Rentenanrechte zu teilen sind. Es wird dann beispielsweise nicht selten der gesetzliche Versorgungsausgleich als ungerecht empfunden – dabei sprechen wir hierbei von einem absoluten Kernbereich der Ehe, der sogar im Falle eines Ehevertrages nicht in wirksamer Weise grenzenlos ausgeschlossen werden kann.

Gibt es andere typische Fallen, in die Paare während eines Trennungsprozesses hineintappen?

Ja. Das Schlimmste, was vor allem auf emotionaler Ebene immer wieder passiert, ist die bewusste oder unbewusste Instrumentalisierung von Kindern. Dabei denke ich, dass dies in den meisten Fällen unbewusst passiert, indem Kinder in einen Loyalitätskonflikt gebracht werden. Niemand will seinen Kindern bewusst schaden. Umso wichtiger ist meiner Meinung nach der stetige Blick auf die Kinder und dass der Druck und die Emotionen, die Erwachsene in einer Trennungssituation verspüren, so weit wie möglich von den Kindern ferngehalten werden.

"Der Ehevertrag kann als Art faire Vorsorge betrachtet werden, wenn man es richtig anstellt."

Estell Baumann

Das gelingt in der Praxis vermutlich nicht immer …

So ist es. Es erfordert viel von den Eltern, klare Grenzen für sich zu ziehen. Herausfordernd wird es auch, wenn finanzielle Aspekte, wie etwa Unterhaltszahlungen, eine Rolle spielen. Umso wichtiger ist es, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und herauszufinden, welchen Beitrag man als Elternteil leisten kann, um dem Kind die Trennung so einfach wie möglich zu gestalten. Das Wichtigste ist hierbei für mich die Trennung zwischen Paarebene und Elternebene und das Bewusstsein dafür, dass eine Scheidung nur auf Paarebene erfolgen kann, während die Elternschaft trotzdem fortbesteht.

Was begegnet Ihnen in Ihrer Arbeit sonst immer wieder?

Wenn Paare sich schon vor einer Eheschliessung nicht ausreichend informieren, sollten sie sich zumindest im Rahmen der Trennung entsprechend schlaumachen und gesetzliche Bedingungen abstecken. Hierbei denke ich beispielsweise an die Inverzugsetzung, auf die ich Betroffene regelmässig hinweise. Unterhaltsansprüche können nur ab dem Monat reklamiert werden, in welchem ich den Unterhaltsschuldner wirksam in Verzug gesetzt habe. Ich muss ihm mitteilen, dass und in welcher Höhe ich Unterhalt beanspruche und diese Aufforderung im Streitfall auch nachweisen können.

Würden Sie sagen, der Ehevertrag hat ein schlechtes Image?

"Scheidung ohne Scherben" ist seit Mai erhältlich. © GU Verlag/Estell Baumann

Nicht wirklich, ich nehme es zumindest nicht so wahr. Meiner Meinung nach empfinden die meisten Menschen den Ehevertrag heute nicht als ein schlechtes Konstrukt. Nichtsdestotrotz hatte der Ehevertrag in der Vergangenheit durchaus ein schlechtes Image, weil er häufig schief aufgesetzt wurde, um den wirtschaftlich Schwächeren, meist Frauen, gezielt zu benachteiligen. Das findet meiner Erfahrung nach bei modernen Eheverträgen so nicht mehr statt. Insofern empfinde ich den Ehevertrag nicht als etwas Negatives, sondern vielmehr als ein Geschenk, das man dem Partner oder der Partnerin bereits zu Beginn der Ehe machen kann. Denn in den Verhandlungen über die Inhalte eines Ehevertrages beschäftigen sich die Heiratswilligen mit der Frage, was passiert, wenn die Ehe doch wider Erwarten scheitert. Sie befassen sich damit zu Zeiten, in denen sich beide noch wohlgesonnen sind. Das ist extrem hilfreich. Der Ehevertrag kann demnach als Art faire Vorsorge betrachtet werden, wenn man es richtig anstellt.

Der Untertitel Ihres Buches lautet "Warum ihr mit der Trennung nicht warten müsst, bis die Kinder ausgezogen sind und der Kredit abbezahlt ist". Begegnen Sie in Ihrer Arbeit als Juristin häufig Paaren, die wegen der Kinder zusammenbleiben?

Empfehlungen der Redaktion

Ja. Immer wieder führe ich Gespräche mit Menschen, die jahrelang in einer unglücklichen Beziehung waren und mit einem Erstberatungstermin so lange gewartet haben, bis die Kinder, zumindest nahezu, aus dem Haus waren. Zu der Vorstellung, um der Kinder willen in einer unglücklichen Ehe zu bleiben, habe ich eine klare Meinung: Es kann für Kinder nicht gut sein, in einer lieblosen, ignoranten oder möglicherweise sogar gewalttätigen Elternbeziehung aufzuwachsen. Im Gegenteil: Kinder wünschen sich gefestigte, in sich ruhende Elternteile – und wenn sie diese in getrennten Haushalten antreffen, ist das um Längen gesünder als in einem schiefen gemeinsamen Haushalt.

Über die Gesprächspartnerin

  • Estell Baumann ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Familienrecht, zertifizierter Coach und Mediatorin. Seit 19 Jahren begleitet sie Menschen durch Trennungen und Scheidungen. 2016 gründete sie die Kanzlei EBK Rechtsanwälte in Heidelberg, die sich ausschliesslich dem Familienrecht widmet. 2024 ergänzte sie ihr Profil um eine Zertifizierung als Coach. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet – unter anderem von "Focus" als Top-Anwältin für Familienrecht und vom "Stern" für ihre Kanzlei als eine der besten im Fachgebiet.