Was genau ist eigentlich eine Freundschaft Plus und was hat es mit dem zunehmenden Trend um das Beziehungsmodell eigentlich auf sich? Ein Paartherapeut kennt die Antworten.
Für Eric Hegmann steht fest: Eine einzige Definition von Freundschaft Plus gibt es nicht. Insofern können die Vorteile von F+ auch gleichermassen die Nachteile sein – und umgekehrt. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der Experte über die Rolle des gemeinsamen Experimentierens und erklärt, wann man eine F+ beenden sollte.
Herr Hegmann, worum genau handelt es sich bei einer sogenannten Freundschaft Plus?
Eric Hegmann: Ich bin bereits in meiner Praxis mit vielen Definitionen von Freundschaft Plus in Kontakt gekommen und denke, es gibt nicht die eine Definition, sondern ganz viele. Es handelt sich ja um ein Beziehungsmodell, das sich dadurch auszeichnet, von beiden Partnern individuell verhandelt und gestaltet zu werden. Insofern gibt es keinen Richtwert. Sie können nicht sagen: Wir treffen uns dreimal die Woche, einmal davon kommt es zu Sex, zweimal unternehmen wir etwas oder schauen eine Serie zusammen oder spielen Mario Kart – das ist jetzt eine Freundschaft Plus. Die wirklich relevante Frage ist nicht die Definition von mir, sondern die der Beteiligten. Und ob beide mit dem Modell zufrieden sind, das sie leben. Ich vermute mal, es wäre zielführender, die Ausgestaltung des Modells zu verhandeln, wenn ich unzufrieden bin, als über die Definition des Modells zu streiten.
Wo genau liegt der Unterschied zwischen einer F+, einer sogenannten Situationship und einer festen Beziehung?
Das können so viele Paare nicht über ihre Beziehung sagen, insofern möchte ich mir nicht anmassen, das für die zu übernehmen. Das ist wie die Frage: Woran merke ich, dass ich verliebt bin? Wenn die Beteiligten das nicht wissen, woher sollte ich das? Ich möchte hier an die Selbstverantwortung appellieren und Mut machen: Unabhängig von Labels, die irgendwer erfunden hat – im Zweifel, um etwas zu verkaufen, sollten alle ihr Beziehungsmodell verhandeln und gestalten, das beiden Partnern gut tut. Wir können und dürfen das heute und sollten das nutzen. Und wer ein Beziehungsmodell ablehnt, der muss es ja nicht eingehen und darf ein anderes wählen – aber bitte darauf verzichten, anderen zu sagen, was sie tun sollen.
Was, wenn sich bei einer F+ eine der beiden Personen in die andere verliebt?
Das kommt ganz darauf an, wie die andere Person damit umgeht. Ich möchte hier fragen: Was würden Sie nun gerne anfangen zu tun? Was würden Sie gerne aufhören zu tun? Denn die Frage impliziert zumindest den Wunsch an den Partner, dass der das bitte lassen möchte. Und Ziele für den Partner zu entwickeln, wird irgendwann zum Ticket ins Unglück. Ich kann nur Ziele für mich selbst entwickeln und selbst in die Veränderung gehen. In diesem Fall könnte Veränderung sehr viel bedeuten: das Beziehungsmodell anpassen, verändern, erweitern, neu verhandeln oder verlassen. Die beiden Partner oder vielleicht auch drei Partner dürfen für sich entscheiden, was sie tun möchten und was sie möglicherweise verändern oder auch lernen müssen, um das umsetzen zu können.
Wie erklären Sie sich den zunehmenden Trend zur Freundschaft Plus?
Es gibt viele Menschen, die sich keine lebenslange monogame Beziehung wünschen. Und es gibt viele Menschen, die genau das tun. Das ist kein Wettbewerb. Es ist nicht einmal ein Entweder-Oder, es ist vielmehr ein Sowohl-Als-Auch, entsprechend der jeweiligen Lebensphase. Das weit verbreitete Modell heute in unserem Kulturkreis ist die serielle Monogamie. Also monogame Beziehungen, die mit verschiedenen Partnern nacheinander geführt werden. Dazwischen werden häufig andere Modelle ausprobiert. Wir sehen aus den Daten des Statistischen Bundesamtes, dass in Deutschland immer später geheiratet wird, die Partner werden immer älter.
Wie erklären Sie sich das? Scheuen sich Menschen unter 35 vor festen Bindungen?
Das hat ganz viele Gründe. Weil Ausbildungen länger dauern, weil Familiengründung später erst interessant wird, weil die Partnersuche länger dauert, weil zuvor mehr experimentiert wird … Und das darf sein. Das medial verbreitete Gerede von der zunehmenden Bindungsangst möchte ich hier hinterfragen, zum einen, weil es wie eine Diagnose klingt für etwas, das keine Erkrankung darstellt. Und zum anderen, weil nach wie vor die Bindungsstile in der Bevölkerung ziemlich konstant verteilt sind: etwa 50 Prozent sichere Bindung, etwa 24 Prozent unsicher-ängstliche Bindung und etwa 21 unsicher-vermeidende Bindung. Was ich jedoch beobachte: Die Ausprägungen auf diesem Kontinuum werden durch schmerzhafte Trennungs- und Verlusterfahrungen häufiger stärker, sozusagen als Schutzstrategien vor erneuten Verletzungen.
Was können Menschen in einer monogamen Beziehung also möglicherweise von Menschen, die eine F+ führen, lernen?
Nach meiner Erfahrung nennen Partner einer Freundschaft Plus besonders häufig die Leichtigkeit, Spontaneität und Autonomie als besondere Vorzüge ihres Beziehungsmodells. Ich denke, dies lässt sich genauso in einer monogamen Beziehung erleben. Es muss also nicht darum gehen, Regeln einer Freundschaft Plus zu übernehmen oder zu erlernen, sondern es könnte interessant sein, auszuprobieren, wie ich diese Eigenschaften in mein Beziehungsmodell übertragen könnte. Wie könnten wir Leichtigkeit und Autonomie erleben in unserer monogamen Beziehung? Was verstehen wir darunter? Welche Bedürfnisse erleben wir und wie wollen wir sie uns selbst und einander erfüllen?
Welche sind Vorteile einer F+? Und was die Nachteile?
Alle Vorteile sind gleichzeitig auch Nachteile und umgekehrt. Deshalb möchte ich das anders formulieren: Jeder Partner erlebt in sich die widersprüchlichen Bedürfnisse nach Verschmelzung, Geborgenheit und Sicherheit auf der einen und nach Autonomie, Selbstbestimmung und Exploration auf der anderen Seite. Und in einer Verbindung erleben die Partner, dass diese Ambivalenz auch der andere hat und irgendwann nach einem sehr symbiotischen Beziehungsanfang die Phase der Differenzierung beginnt, wenn nicht mehr automatisch beide Partner das Gleiche zur gleichen Zeit wollen. Plötzlich will einer Distanz, wenn der andere Nähe fordert, oder umgekehrt. Das gilt es aushalten zu lernen – in jedem Beziehungsmodell.
Was braucht es demnach, um eine "erfolgreiche" Freundschaft Plus zu führen?
Ebenso wie bei jeder anderen Beziehung das Verständnis, dass mein Partner oder eine Partnerin sich in bestimmten Situationen anders verhalten wird, als ich das tun würde, als ich mir das wünschen würde oder als ich es erwarten würde. Und damit muss ich lernen, umzugehen. Den Partner dann verändern zu wollen gegen dessen Willen und die eigenen Überzeugungen durchzusetzen, wird langfristig nicht funktionieren.
Welche Gefahren birgt eine F+ für die Freundschaft?
Sie möchten jetzt sicher hören, dass einer es gar nicht ernst meint, dass die Beziehung nicht auf Augenhöhe ist, weil einer verliebt ist und der andere nicht. Ja, das kann alles sein. In jedem Beziehungsmodell. Augen auf bei der Partnerwahl ist für jedes Beziehungsmodell ein hilfreicher Rat. Denn nachträglich den Partner ändern oder auch in der Paartherapie fixen zu lassen, wird nicht klappen.
Welche Gespräche sollte man miteinander führen? Muss ein F+-Status immer wieder neu "geupdatet" werden?
Ich mag den Gedanken, dass Partner gemeinsam experimentieren, wie sie sich selbst und einander ihre Bedürfnisse erfüllen können. Experimente sind zeitlich begrenzt, sie sind darauf ausgerichtet, aus Erfahrungen zu lernen. Dahinter liegt auch der Gedanke, das Experimente nicht scheitern, wenn man aus ihnen lernt. Paare, die ihre Beziehung mit diesem Gedanken weiterentwickeln, updaten ihre Verbindung immerzu und das halte ich für eine grundsätzlich sehr sinnvolle Strategie. Natürlich wird dies Menschen, die sich vor Veränderungen fürchten und deshalb einen Status quo unbedingt erhalten und vielleicht sogar erzwingen wollen, nicht attraktiv erscheinen. Doch auch die werden sich irgendwann damit auseinandersetzen müssen, dass Veränderung der bestimmende Teil unseres Lebens ist, die sich nicht verhindern lässt.
Ist eine F+ gewissermassen exklusiv oder darf man parallel auch andere Menschen daten?
Ehrlich gesagt darf das jedes Paar für sich entscheiden. Ich masse mir nicht an, das jemandem vorzugeben. Freundschaft Plus ist ja ein Modell, das den Wunsch nach Verbindung und Autonomie häufig so abbildet: So viel Autonomie wie möglich und nur so viel Verpflichtung wie nötig. Ob nun Exklusivität ein Teil der Verpflichtung ist oder nicht, darf gerne verhandelt werden.
Wann sollte eine F+ beendet werden?
Empfehlungen der Redaktion
Wenn Sie meinen, Sie möchten sie nicht mehr und Sie überzeugt sind, ausreichend investiert und experimentiert zu haben.
Über den Gesprächspartner
- Eric Hegmann ist Paartherapeut in Hamburg, Co-Gründer der Modern Love School sowie einer eLearning-Plattform mit Onlinekursen rund um die Liebe. Seit über 18 Jahren ist er Mitglied im Parship-Experten-Team und begleitet und ordnet dort repräsentative Studien über Partnersuche und Beziehungen ein. Darüber hinaus ist Hegmann als Autor und Host des Podcasts "Die Paartherapie" bekannt.