Seit Jahren war die Frage ungeklärt, ob Tenzin Gyatso der letzte Dalai Lama sein würde. Nun beseitigt das geistliche Oberhaupt der Tibeterinnen und Tibeter aus seiner Sicht alle Zweifel – sehr zum Ärger Chinas.
Am Sonntag (6. Juli) wird der
14 Dalai Lamas gab es bisher, seit der Titel im 16. Jahrhundert erstmals vergeben wurde. Das amtierende geistliche Oberhaupt der Tibeter wurde 1937 als solches identifiziert. Damals war Tenzin Gyatso zwei Jahre alt.
Lange gab es Spekulationen darüber, was nach Gyatsos Tod passieren würde: Würde es einen weiteren Dalai Lama geben? Kurz vor seinem 90. Geburtstag kündigte der Dalai Lama nun in einer Videobotschaft an, dass die Tradition fortbestehen soll: "Ich bekräftige, dass die Institution des Dalai Lama fortbesteht", sagte Gyatso in dem Video, das in seinem Exil in Dharamsala im Norden Indiens aufgenommen worden war.
Politikum um Nachfolge des Dalai Lama
Zugleich betonte er, allein die Tibeter hätten das Recht, über die Wiedergeburt des Dalai Lama zu bestimmen. Damit forderte er direkt China heraus, das Tibet seit 1950 militärisch kontrolliert. Die kommunistische Regierung Chinas hatte dafür darauf gepocht, bei der Bestimmung des geistlichen Oberhaupts der tibetischen Buddhisten das letzte Wort zu haben.
Die Suche nach dem Nachfolger und seine Anerkennung als Reinkarnation des jetzigen Dalai Lamas solle "in Übereinstimmung mit der vergangenen Tradition" erfolgen, hiess es in Gyatsos Erklärung. Nur die von ihm gegründete gemeinnützige Organisation Gaden Phodrang Trust in Dharamsala darf demnach den Nachfolger auswählen. "Niemand sonst verfügt über eine solche Autorität, um sich in diese Angelegenheit einzumischen."
Protest aus China
Kritik und Widerspruch nach der Ankündigung des Dalai Lamas kamen umgehend aus China. Eine Sprecherin des Pekinger Aussenministeriums bekräftigte, nur die chinesische Regierung habe das Recht, über die Reinkarnation des Dalai Lama zu entscheiden. Die Auswahl müsse in China erfolgen.
Peking sieht das tibetische Hochland als Teil des eigenen Territoriums und betrachtet den aktuellen Dalai Lama bis heute als Separatisten. Der Dalai Lama und die tibetische Exil-Regierung in Indien streben dagegen eigenen Angaben zufolge nach einer "echten Autonomie" Tibets.
Der Konflikt um die Nachfolgeregelung für den Dalai Lama schwelt schon seit vielen Jahren - und ist deshalb auch von politischer Brisanz.
Der Dalai Lama selbst lebt seit seiner Flucht 1959 als staatenloser Tibeter im Exil in Indien. Dort wird er am Sonntag nach Angaben seines Büros auch an öffentlichen Feierlichkeiten zu seinem Geburtstag teilnehmen.
Dalai Lama selbst nährte Spekulationen
Die Spekulationen darüber, ob es nach ihm noch einen weiteren Dalai Lama geben würde, nährte das aktuelle geistliche Oberhaupt Tibets jahrelang selbst. So sagte er stets, dass er der letzte in der Reihe der Dalai Lamas sein werde, sollten sich die Tibeter gegen den Fortbestand der Institution entscheiden.
In seiner jetzigen Botschaft erklärte er, schon in den vergangenen 14 Jahren seien unter anderen Würdenträger der religiösen Traditionen Tibets, Mitglieder des Exil-Parlaments sowie Buddhisten aus Asien einschliesslich Chinas und anderen Ländern an ihn mit der Bitte herangetreten, einen Nachfolger zu finden.
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Ungeklärt bleibt die Frage, wer der nächste Dalai Lama sein könnte. "Wann immer die Zeit kommt, wird das intern entschieden, und es wird keine weitere öffentliche Botschaft von Seiner Heiligkeit zu der Angelegenheit erfolgen", sagte der frühere Chef der tibetischen Exil-Regierung, Lobsang Tendzin, am Mittwoch in Dharamsala vor Journalisten. Der nachfolgende Dalai Lama könne männlich oder weiblich sein und sein Aufenthaltsort sei nicht auf Tibet beschränkt.
Wie wird man Dalai Lama?
Tibetische Buddhisten glauben, dass wichtige spirituelle Lehrer (Lamas) nach ihrem Tod wiedergeboren werden. Bisher wurden als Dalai Lama ausschliesslich Männer oder Jungen identifiziert.
So ist es demnach auch möglich, die jeweils nächste Reinkarnation eines Dalai Lama zu finden. Die Oberhäupter der Tibeter werden von hohen buddhistischen Gelehrten ausgesucht.
Beim derzeitigen Dalai Lama geschah das 1937, als er zwei Jahre alt war. Er wurde damals als wiedergeborenes erleuchtetes Wesen identifiziert, nachdem er gegenüber zwei Mönchen Gegenstände erkannt hatte, die seinem Vorgänger gehört hatten.
Wer als Dalai Lama wiedergeboren wird, erinnert sich an seine früheren Leben – im Gegensatz zu "den meisten gewöhnlichen Lebewesen", wie der heutige Dalai Lama selbst im Jahr 2011 schrieb. Für die Identifizierung des Dalai Lama sei "auf Beweise gegründete Logik" erforderlich, um "vergangene und künftige Wiedergeburten zu beweisen".
Zum Einsatz kamen in der Vergangenheit verschiedene Methoden: Es wurden etwa auf Papier geschriebene Namen per Los gezogen - oder eine von mehreren Teigkugeln ausgewählt, in denen Zettel mit Namen versteckt waren. Die Tradition der tibetischen Buddhisten der vergangenen Jahrhunderte sieht zudem vor, dass die Gottheit Palden Lhamo und das Nechung-Orakel zu Rate gezogen müssen.
Mehrfach wurde der Dalai Lama auch durch die Ziehung eines Namenszettels aus einer goldenen Urne bestimmt. Diese Urne befindet sich heute im Besitz der chinesischen Regierung. Das Aussenministerium in Peking erklärte zuletzt, die Reinkarnation "grosser buddhistischer Persönlichkeiten wie des Dalai Lama" müsse "durch Losziehung aus der Goldenen Urne bestimmt und anschliessend von der Zentralregierung genehmigt werden".
Der derzeitige Dalai Lama erklärte seinerseits, sollte die Wahl so abgehalten werden, würde ihr "jegliche spirituelle Qualität" fehlen.
Wie geht es dem Dalai Lama?
Weltweit gilt der Dalai Lama vielen Menschen als friedlicher Verfechter der Freiheit Tibets. China bezeichnet ihn als "Separatisten". Er hingegen sieht sich als "einfachen buddhistischen Mönch".
Auf Aussenstehende wirkt er gebrechlich, doch trotz seines hohen Alters hält er noch immer öffentlich Audienzen an seinem Exilort ab und nimmt an rituellen Gebeten zur Langlebigkeit und anderen religiösen Veranstaltungen teil.
Nach tibetischer Zählung wurde der Dalai Lama im Alter von 16 Jahren und nur einen Monat nach dem Einmarsch der chinesischen Volksarmee in Tibet zum politischen Oberhaupt der Tibeter ernannt. Heute hat er politisch offiziell keine Macht mehr. Er übergab diese 2011 an eine Exilregierung, die von rund 130.000 Tibetern weltweit gewählt wurde und ihren Sitz in McLeod Ganj, einem Vorort der nordindischen Stadt Dharamsala hat. (dpa/AFP/bearbeitet von ank)