Berlin, Februar 1993. Doris K., 54 Jahre alt, Buchhalterin, Mutter, Grossmutter, wird mitten am Tag in ihrem Büro erschossen – kaltblütig, präzise. Das Motiv: eine Wohnung. Ihr Leben war im Weg. Und so wurde es ausgelöscht, weil andere das grosse Geld witterten.

Am Morgen des 22. Februar 1993 kehrt Doris K. gut erholt in ihren Alltag zurück. Drei Wochen Urlaub liegen hinter ihr, zwei davon auf den Galapagosinseln – ein Geschenk ihres Chefs zum 25-jährigen Dienstjubiläum. Seit 1967 arbeitet sie in der Buchhaltung des Autohauses "King Cars" in Berlin-Kreuzberg. Das Unternehmen boomt, die Wiedervereinigung hat den Markt befeuert.

Doris K. ist beliebt, verlässlich, unauffällig. Sie hat eine erwachsene Tochter und einen Enkel, den sie über alles liebt, dazu ein solides soziales Umfeld. Ihre Kolleginnen empfangen sie an diesem Montagmorgen herzlich. Niemand ahnt, dass dieser Tag ihr letzter sein wird.

Drei Besuche, ein kaltblütiger Mord an Doris K.

Gegen 9:30 Uhr betritt ein fremder Mann das Autohaus, sieht sich kurz um und verschwindet wieder. Zwei Stunden später kehrt er zurück – schweigend und beobachtend. Am Nachmittag erscheint er erneut, diesmal wartet ein zweiter Mann draussen.

Der erste betritt das Büro, zieht eine abgesägte Schrotflinte aus seinem Blouson und feuert aus nächster Nähe. Ein einziger Schuss trifft Doris ins Gesicht und durchtrennt ihre Halsschlagader. Sie verblutet binnen Minuten. Die Kolleginnen schreien, ein Angestellter rennt dem Täter und seinem Komplizen hinterher. Doch die Männer entkommen und lassen die Waffe am Ort des Geschehens zurück – keine Fingerabdrücke, keine Spuren. Nichts wurde gestohlen. Alles deutet auf einen gezielten Mord hin. Aber warum?

Spuren ins Nichts

Die Mordkommission prüft Doris' Leben akribisch. Gab es Konflikte im Beruf? Kontakte in kriminelle Kreise? Hinweise auf Erpressung, Bedrohung, private Spannungen? Nichts davon trifft zu. Ihre Arbeit ist tadellos, ihr Lebensstil unauffällig. Doris lebt allein in einer grosszügigen Altbauwohnung in Wilmersdorf, 170 Quadratmeter, hohe Decken, modernisiert. Die Kaltmiete: 800 Mark. Sie hat einen unkündbaren Mietvertrag. Für Spekulanten ist die Wohnung damit nahezu wertlos. Für Doris ist sie unbezahlbar.

Im November 1993 wird der Fall bei "Aktenzeichen XY... ungelöst" ausgestrahlt. Hinweise gehen ein, doch keiner führt zur Aufklärung. Die Ermittlungen verlaufen im Sand – bis 1997.

Ein Zufall im Gefängnis

Vier Jahre nach der Tat läuft erneut ein TV-Beitrag zum Mord an Doris K. Zufällig sieht ihn ein Häftling in der Justizvollzugsanstalt Bayreuth. Der Mann erinnert sich an Details, die er jahrelang verdrängt hatte. Er will sein Gewissen erleichtern und packt gegenüber der Polizei aus. 1993 sei er angeworben worden, eine Frau zu beschatten. 200 Mark habe man ihm gezahlt. Später habe er erfahren, worum es wirklich ging: "Der Auftrag heisst töten." Er habe sich zurückgezogen und aus Angst geschwiegen.

Die Polizei prüft seine Aussagen. Namen, Orte, Abläufe: alles stimmt. Drei Männer rücken ins Zentrum der Ermittlungen. Joannis, Anfang 30, bekannt für diskrete "Sonderaufgaben", und sein jüngerer Komplize Georgios. Doch entscheidend ist ein anderer: Eberhard, ein Berliner Makler mit besten Kontakten in die Immobilienbranche. Und Patient jenes Zahnarztes, der kurz vor dem Mord Doris' Wohnung für 400.000 Mark gekauft hatte.

Die Wohnung galt als Schnäppchen – doch sie hatte ein Problem: Doris K. lebte darin. Und sie hatte nicht die Absicht, auszuziehen. Selbst als ihr 50.000 Mark Abfindung geboten wurden, lehnte sie ab. Der neue Eigentümer sprach in seinem Umfeld über die störrische Mieterin, die ihm das Geschäft verhagelte. Eberhard bot eine Lösung an, eine endgültige. Für die erfolgreiche Räumung würde er eine stattliche Provision kassieren.

Mord wegen einer Wohnung

Was dann geschah, lässt sich rekonstruieren. Eberhard gab den Auftrag zum Mord, Joannis und Georgios setzten den Plan um. Wochenlang beobachteten sie Doris K., kannten ihre Abläufe, wussten von ihrer Reise. Als sie zurückkehrte, schlugen sie zu. Es war Montag, der erste Arbeitstag nach dem Urlaub. Alles war minutiös geplant. Der Preis für ihr Leben: 10.000 Mark.

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Im Mai 1998 werden Joannis und Eberhard in Berlin festgenommen. Beide schweigen. Doch die Aussagen des Zeugen reichen für eine Anklage. Im Oktober 1999 verurteilt das Berliner Landgericht beide wegen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslanger Haft. Georgios, der sich nach der Tat ins Ausland abgesetzt hatte, wird im Jahr 2000 an der bulgarischen Grenze gefasst. Da er zur Tatzeit minderjährig war, wird er zu 14 Jahren Jugendstrafe verurteilt.

Der Zahnarzt jedoch, der die Wohnung gekauft hatte, wird nie angeklagt, eine direkte Beteiligung am Mord kann ihm nicht nachgewiesen werden. Wenige Monate nach der Tat vermietet er die Wohnung an einen Bordellbetreiber, für 3.000 Mark monatlich.

Verwendete Quellen