An den 47. Solothurner Literaturtagen erhält am (heutigen) Sonntag der Basler Autor Alain Claude Sulzer den Solothurner Literaturpreis. Der Geehrte freut sich, für sein Schaffen geehrt zu werden - ohne Shortlists durchleiden zu müssen, wie beim Schweizer Buchpreis.
Sulzers Werk ist nicht marktschreierisch, schielt nicht mit gefälligen Texten und zeitgeistigen Themen auf das ganz breite Publikum. Der "hypersensible Virtuose", wie ihn die "NZZ am Sonntag" einst bezeichnete, hat sich als Meister der feinsinnigen Menschenbetrachtung einen Namen gemacht.
Sein Werk erweist sich als "immun gegenüber kurzfristigen Trends", begründete im Februar die Jury des Solothurner Literaturpreises ihren Entscheid. Verdrängtes hole er nüchtern und behutsam zurück ans Licht und beweise mit jedem Werk seinen Willen zur Form und ein unvergleichliches Gespür für Sprache und Stil.
Ein Dutzend Romane in 40 Jahren
Dieser Beschreibung widerspricht Sulzer nicht. "Ich habe mich stets von allen Trends ferngehalten", sagt er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. "Aber wenn man so lange im Geschäft ist und bleiben will, geht es eigentlich gar nicht anders." Sulzer ist 72 Jahre alt und mittlerweile seit über 40 Jahren im Literaturgeschäft.
Sulzers Werk umfasst bis heute ein rundes Dutzend Romane und viele kürzere Prosatexte und Essays. In einem zweisprachigen Haushalt in Riehen bei Basel aufgewachsen, hat er in seinen Anfängen als Übersetzer gearbeitet. Seine Hingabe für gutes Essen floss in literarische Ausflüge in die Gastronomie ein. Sein ausgeprägtes Faible für Musik liess ihn zum begehrten literarischen Begleiter und Conferencier von Musikfestivals und -anlässen werden.
Sulzer wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, allerdings eher im Ausland: mit dem Prix Médicis étranger (2008) aus Frankreich, dem Hermann-Hesse-Preise (2009) aus Deutschland und dem Literaturpreis des Freien Deutschen Autorenverbands (2014). In der Schweiz erhielt er den Einzelwerkpreis der Schweizerischen Schillerstiftung (2005) und den Kulturpreis der Stadt Basel (2013).
Ablehnung gegenüber Wettbewerben
Bisher verwehrt blieb ihm der Schweizer Buchpreis. Er war 2014 und 2019 nominiert und ist beide Male leer ausgegangen. "Ich ergötzte mich nicht am Glück der anderen, sondern war vollauf damit beschäftigt, mich darüber zu ärgern, dass es nicht mir zuteilgeworden war", schrieb er 2022 darüber in der "NZZ am Sonntag".
Umso mehr freue er sich nun über den Solothurner Literaturpreis, um den er sich nicht bewerben musste - im Unterschied zum Schweizer Buchpreis, für den die Verlage ihre jeweiligen Autorinnen und Autoren mit deren Büchern vorschlagen. "Ich habe nicht mit der Auszeichnung in Solothurn gerechnet, umso mehr geniesse ich die überregionale Anerkennung, die mir nun zuteil wird", sagt er.
Zuletzt musste er im Entstehungsprozess seines jüngsten Romans "Fast wie ein Bruder" (2024) einen Disput ausfechten. Die Kulturbeauftragten der beiden Basel hatten bei der Bearbeitung eines Fördergesuchs vom Autor schriftlich eine Erklärung eingefordert, warum er im Auszug seines Romans das Wort "Zigeuner" verwende.
Sulzer weigerte sich und zog sein Fördergesuch zurück. Das internationale Feuilleton schlug sich auf die Seite des Schriftstellers und überhäufte die Basler Literaturförderer mit Kritik. Sulzer selber möchte sich heute dazu nicht mehr äussern.
Homosexualität und Musik
Der internationale Durchbruch gelang ihm 2006 mit seinem gefeierten Roman "Ein perfekter Kellner", der in zehn Sprachen übersetzt wurde. Darunter auch ins Russische und Chinesische. Bei diesem Roman über eine homosexuelle Liebe sei das doch aussergewöhnlich, bemerkt der Autor.
Von homosexuellen Beziehungen handeln einige seiner Romane. Das beruhe auf seiner eigenen Homosexualität, wie er sagt. Bereits 1983 liess das der damals 30-jährige Autor in seinem Romanerstling "Das Erwachsenengerüst" durchblicken. Sulzer lebt in Basel, im elsässischen Vieux-Ferrette und in Berlin - seit 50 Jahren in fester Beziehung zu seinem Partner, dem Schauspieler Georg Martin Bode.
Auch wenn sich Homosexualität thematisch durch einige seiner Werke ziehe, könne von Schwulenromanen nicht die Rede sein, sagt Sulzer. "Meine Romane mit homosexuellen Protagonisten sind nicht anders entstanden als die Bücher über heterosexuelle Menschen in Beziehungen", sagt er.
Es gibt weitere Parallelen zu seiner Biografie in seinen Werken. In "Ein perfekter Kellner", "Postskriptum" (2015) und "Doppelleben" (2022) bewegt sich Sulzer kunstfertig auf der Grenzlinie zwischen historischen Fakten und literarischer Fiktion. Auch Musik spielt in mehreren seiner Werken als Grundgerüst oder Unterbau eine wichtige Rolle. Aus diesem Faible heraus sind auch ein Opern-Libretto und die Mitarbeit an zwei Operetten-Libretti entstanden.
In seinen Jugendjahren sei auch mal der Wunsch, Musiker zu werden, in seinem Kopf herumgeschwirrt. "Aber ich war zu faul, also wurde ich Schriftsteller, da muss man nicht üben, auch wenn man ein Leben lang probt." Zuvor aber liess er sich auf Wunsch seiner Eltern zum Bibliothekar ausbilden.
Sulzer ist als Autor in der Literaturszene bestens vernetzt. Als Herausgeber der eben erschienenen "literarischen Sinfonie" zu Joseph Haydn trommelte er eine beachtliche Reihe an Kolleginnen und Kollegen zusammen, darunter Daniel Kehlmann, die aktuelle Schweizer Buchpreis-Trägerin Zora del Buono, Elke Heidenreich und Franz Hohler.*
*Dieser Text von Dominique Spirgi, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert. © Keystone-SDA