35 ukrainische Kinder und Jugendliche haben sich in St. Gallen während zwei Wochen vom Krieg in ihrem Heimatland erholt. Sie wurden vom Roten Kreuz zusammen mit Begleitpersonen in die Schweiz geholt. Am Montag kehrten sie wieder in die Ukraine zurück.
Die herumspringenden Kinder waren bereits von weitem zu hören. Doch anders als es in der Ukraine oftmals der Fall sein dürfte, war ihr Geschrei keines, das von Schmerzen zeugte. Ganz im Gegenteil: Wer die Jugendherberge oberhalb der Stadt St. Gallen besuchte, stellte schnell fest, dass sich hier Kinder und Jugendliche aufhalten, die sich unbeschwert austoben.
Dass die Kinder und Jugendlichen aus unterschiedlichen Teilen der Ukraine ein paar Tage möglichst unbeschwert sein können, war das oberste Ziel des sogenannten Red Cross Summer Camp St. Gallen. Auf Vermittlung der ukrainischen Botschafterin in der Schweiz und mit Unterstützung des Kantons St. Gallen holte das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) fast drei Dutzend Kinder und Jugendliche im Alter zwischen fünf und 15 Jahren nach St. Gallen. Mit dabei waren auch zwölf Mütter sowie drei weitere Begleitpersonen.
"Als die Kinder in St. Gallen ankamen, waren sie sehr müde und erschöpft, teilweise auch in sich gekehrt, still und ängstlich", sagte die Projektverantwortliche vom SRK Kanton St. Gallen, Lea Krähenmann, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Das mag an der langen Busfahrt gelegen haben, welche die Kinder hinter sich hatten. Aber nicht nur.
Viele Väter sind gestorben
Zum einen leiden die Kinder grundsätzlich unter dem Krieg in der Ukraine. Zum anderen erholten sich in St. Gallen Kinder von Angehörigen der ukrainischen Nationalpolizei, die im Krieg gestorben, schwer verletzt oder verschleppt worden sind. "Man kann sagen, dass die Kinder mehrfach traumatisiert wurden", so Krähenmann.
Von der Jugendherberge aus hat die Gruppe in den zwei Wochen viel unternommen. Eine Schifffahrt auf dem Alten Rhein, ein Ausflug auf den Hohen Kasten, Einblicke bei den Hundeführern der Stadt- und Kantonspolizei St. Gallen oder ein Nothelferkurs geben nur einen kleinen Teil des vielfältigen Programms wieder. Über den 1. August reiste die Gruppe ins benachbarte Ausland, um der Knallerei zu entgehen.

"Wir sind uns bewusst, dass man in dieser kurzen Zeit nicht heilen kann, was die Kinder in der Ukraine erlebt haben", sagte Christian Rupp, Geschäftsleiter des SRK Kanton St. Gallen. Es sei darum gegangen, den Kindern, Jugendlichen und Begleitpersonen Zeit zum Verschnaufen zu geben und eine gewisse Stabilisierung zu erreichen.
Psychologinnen aus der Ukraine
Ein Pilotprojekt in Schaffhausen habe vergangenes Jahr gezeigt, dass die Kinder innert weniger Tage zur Ruhe gekommen sind und auch nach der Rückkehr in die Ukraine noch lange von den Erlebnissen in der Schweiz zehren konnten. "Genug zu essen zu haben, ohne Angst genügend zu schlafen und einfach mal ohne Gefahr in den Wald spielen zu gehen, sind Grundbedürfnisse, die wir hier abdecken konnten", sagte Rupp.
Auch wenn der Name Red Cross Summer Camp vor allem nach Spiel und Leichtigkeit töne, stecke sehr viel mehr dahinter, führten Rupp und Krähenmann aus. Für die Teilnehmenden gab es tägliche psychosoziale Begleitungen. Ständig waren drei in der Ukraine ausgebildete Psychologinnen vor Ort, die den Kindern halfen, das im Heimatland Erlebte zu verarbeiten.
All dies trug dazu bei, dass die Kinder die Erschöpfung und Ängstlichkeit zusehends ablegen konnten. Dies bestätigte auch eine Mutter, die mit drei Kindern am Erholungsaufenthalt teilnahm.
Helikopter weckten ungute Erinnerungen
"Ich habe gemerkt, dass die Kinder nach zwei oder drei Nächten wieder einmal ausschlafen konnten", erzählte die Mutter. In den ersten Nächten hätten die Helikopter, die beim nahegelegenen Spital landeten, ihre Kinder noch aus dem Schlaf gerissen, weil sie ungute Erinnerungen geweckt hätten. Irgendwann schliefen sie aber durch. Zudem habe sie bei ihren Kindern wieder Glücksgefühle wahrgenommen.

Aus der Schweiz nehme sie vor allem Ruhe mit, denn in der Ukraine sei sie ständig gestresst. Und folgender Moment werde ihr für immer in Erinnerung bleiben: "Als wir mit der Seilbahn nach oben gefahren sind, haben meine Kinder gesagt, wir fahren zum Himmel, wo auch unser Papa ist. Das hat mich mitgenommen."
Eine andere Mutter berichtete, dass es ihre Kinder vor allem glücklich gemacht habe, ihre Mutter nicht mehr täglich weinen zu sehen. Sie habe viel lachen können in den zwei Wochen.
Empfehlungen der Redaktion
Am Sonntag ging das Red Cross Summer Camp in St. Gallen zu Ende. Am Montag erreichte die Gruppe bereits wieder die Grenze zur Ukraine. Derweil hatte die Deutsche Presse-Agentur über das Wochenende wieder von russischen Angriffen auf die Ukraine mit mehreren Toten und Verletzten berichtet. © Keystone-SDA