Die Gesetzesvorlage für die Einführung der vom Zivilstand unabhängigen Individualbesteuerung ist bereinigt. Doch etliche Entscheide zur fundamentalen Neuerung bei Bund, Kantonen und Gemeinden sind mit knappen bis knappsten Mehrheiten gefallen.
Der Ständerat machte am Dienstag die Vorlage zum Umbau des Schweizer Steuersystems bereit für die Schlussabstimmung. Drei Mal gab Ratspräsident Andrea Caroni (FDP/AR) mit dem Stichentscheid den Ausschlag.
Keine gemeinsame Besteuerung mehr
Heute werden in der Schweiz Verheiratete und gleichgeschlechtliche Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, gemeinsam besteuert. Gehen beide Personen einer Erwerbstätigkeit nach, müssen sie wegen der Progression teilweise höhere Steuern bezahlen als Konkubinatspaare mit getrennten Veranlagungen.
Das Bundesgericht hatte 1984 entschieden, dass die steuerliche Diskriminierung verheirateter und eingetragener Paare gegenüber Konkubinatspaaren verfassungswidrig ist.
Bezahlt künftig jeder und jede unabhängig vom Zivilstand für sich selbst die Steuern, soll das mehr Menschen motivieren, einen Job anzunehmen oder das Arbeitspensum zu erhöhen. Verheiratete Zweitverdiener, meist Frauen, soll die Individualbesteuerung finanziell eigenständiger machen.
Individuell besteuern soll nicht nur der Bund, sondern das sollen auch die Kantone und die Gemeinden. Die Gegnerseite erinnerte daran, dass in den Kantonen die Heiratsstrafe abgeschafft sei. Mit der Umstellung beim Bund seien die Kantone gezwungen, mit viel Aufwand nachzuziehen. Auch wollten die Gegnerinnen und Gegner am Verständnis der Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft festhalten.
Zentrale Frage gelöst
Bis zuletzt umstritten war die zentrale Frage, ob zugunsten von Paaren mit stark unterschiedlichen Einkommen der Kinderabzug bei der Bundessteuer von einem Partner auf den anderen übertragen werden kann. Diese Übertragungsmöglichkeit ist nun vom Tisch.
Der Kinderabzug bei der Bundessteuer - neu 12'000 Franken - wird je hälftig auf beide Elternteile aufgeteilt. So hatte es der Bundesrat beantragt, und so beschloss es nach dem Nationalrat nun auch der Ständerat, mit knappstem Mehr.
Die Befürworter der Übertragungsmöglichkeit argumentierten mit der Gerechtigkeit und der Freiheit für Paare, ein Familienmodell zu wählen. Durchsetzen konnte sich schliesslich aber eine Minderheit um Eva Herzog (SP/BS), die dem Nationalrat folgen wollte. Herzog argumentierte mit mehr Kosten und mehr administrativem Aufwand.
Kompromiss beim Steuertarif
Auch beim Steuertarif für den Systemwechsel einigten sich die Kammern. Wieder mit Caronis Stichentscheid schloss sich der Ständerat dem Kompromiss des Nationalrats an. Dieser soll die Ausfälle bei den Steuereinnahmen auf 600 Millionen Franken senken. In der Version des Bundesrats wären es 870 Millionen Franken gewesen.
Die Differenz von 270 Millionen Franken müsse jemand bezahlen, und mehr Menschen hätten damit höhere Steuertarife, gab Erich Ettlin (Mitte/OW) zu bedenken. Doch auch Finanzministerin Karin Keller-Sutter warb für den Kompromissvorschlag des Nationalrates. Die Hälfte der Steuerpflichtigen werde mit diesem Modell entlastet.
Steuergerechtigkeitsinitiative als Backup
Das Gesetz über die Individualbesteuerung ist der indirekte Gegenvorschlag zur Steuergerechtigkeits-Initiative der FDP Frauen. Das Gesetz setze das Anliegen weitgehend um, freute sich FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher (SG) - sie gehört dem Komitee an.
Sie gehe davon aus, dass die Initiative zurückgezogen werde, wenn die Vorlage die Schlussabstimmungen überstehe und kein Referendum ergriffen werde. Komme es zur Abstimmung und ende diese mit einem Nein, sei die Initiative das Backup, sagte Vincenz-Stauffacher auf Anfrage.
Die Initiative selbst empfiehlt das Parlament zur Annahme, mit knappem Mehr: der Nationalrat mit 98 zu 96 Stimmen, der Ständerat mit dem Stichentscheid von Ratspräsident Caroni. In beiden Räten setzten sich die Mitglieder von SP, FDP, Grünen und GLP gegen SVP und Mitte durch. Der Bundesrat empfiehlt ein Nein zur Initiative. Er will das Anliegen auf dem Gesetzesweg umsetzen.
Ohnehin bleibt die Heiratsstrafe - bei den Steuern und auch bei der AHV - auf den Traktandenlisten. Denn die Debatten über diese Initiativen der Mitte-Partei stehen noch bevor. © Keystone-SDA