Sollte in einem Artikel, in dem es um eine Straftat geht, die Nationalität der Täterin bzw. des Täters genannt werden oder nicht? Diese Frage wird seit langem immer wieder diskutiert. Und sie ist nicht leicht – und vor allem nicht pauschal – zu beantworten. Wir geben einen Einblick, wie wir mit diesem Thema umgehen.

Wann darf man die Nationalität eines Täters in der Kriminalitätsberichterstattung nennen?

Grundsätzlich folgen wir den Richtlinien im Pressekodex des deutschen Presserats bezüglich der Nennung von Nationalitäten in der Kriminalitätsberichterstattung. Darin heisst es:

"Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden."

Und weiter:

"In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."

Das heisst für uns:

  • Es ist Journalistinnen und Journalisten nicht verboten, die Nationalität einer (mutmasslichen) Täterin oder eines Täters zu nennen – weder durch ein Gesetz noch durch die Richtlinien des Presserats. Das gilt auch, wenn sie oder er einer Minderheit angehört.
  • Vielmehr ist es unsere Aufgabe als Medien verantwortungsbewusst abzuwägen, ob die Nennung der Nationalität für das Gesamtverständnis des Beitrags wichtig und überhaupt von Belang ist. Anders ausgedrückt: ob "ein begründetes öffentliches Interesse" vorliegt – und die Nennung nicht bloss dazu dient, diskriminierende Vorurteile zu schüren. Uns ist aber auch bewusst, dass wir bei diesem Thema nicht immer konsequent sind.

Was hat sich diesbezüglich in den vergangenen Jahren verändert?

Mitte 2024 gab es in Deutschland einen Vorstoss von Politikern von Union und FDP, die Polizei dazu zu verpflichten, die Nationalitäten von Tatverdächtigen zu nennen. Das schaffe Transparenz. Jedoch: Selbst wenn die Polizei die Nationalität einer Täterin oder eines Verdächtigen nennt, sind Medien nicht verpflichtet, sie in der Berichterstattung zu erwähnen. Darüber hinaus gehen die deutschen Bundesländer teils unterschiedlich mit der Nennung der Nationalität von Tatverdächtigen um. In einigen nennt die Polizei standardmässig die Nationalitäten, in anderen nicht.

Mika Beuster, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, sagte dazu in einem Interview mit unserer Redaktion:

"Die Nationalität kann genannt werden, wenn sie wichtig ist, um den Sachverhalt zu verstehen. "

Und weiter:

"Es gibt Straftaten, die grundsätzlich nur Ausländer begehen können. Zum Beispiel Betrug bei der Einreise oder Erschleichung von Aufenthaltstiteln. Es gibt auch andere Straftaten, bei denen die Nationalität eine Rolle spielt – und dann ist es auch sinnvoll, sie zu erwähnen. Wenn zum Beispiel über einen Revierstreit unter verfeindeten Drogengangs berichtet wird, kann die Herkunft der Gangs durchaus eine Rolle spielen, um den Streit zu verstehen. Bei einem Auffahrunfall ist aber unerheblich, ob ein deutscher Fahrer einem polnischen Fahrer draufgefahren ist – genau wie die Augen- oder Haarfarbe oder Körperfülle."

Mika Beuster, DJV-Vorsitzender

Transparenz zu schaffen, gehört massgeblich zu den Aufgaben von Journalistinnen und Journalisten. Gleichzeitig geht es darum, kein verzerrtes Bild zu zeichnen. Medien berichten über einzelne Straftaten, heben relevante Einzelfälle heraus – und verweisen womöglich zu selten auf die Kriminalstatistik, in der alle Straftaten erfasst werden.

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In den vergangenen Jahren hat sich die Auslegung dessen, was unter "berechtigtes Interesse" der Öffentlichkeit fällt, wahrnehmbar verschoben: Heute wird die Nationalität von Tatverdächtigen in Berichten deutlich häufiger genannt als noch vor einigen Jahren.

Das Dilemma: Egal ob die Nationalität genannt wird oder nicht, findet häufig Diskriminierung in den Köpfen statt. Allein, dass sich Leserinnen und Leser bei einem Bericht über eine Straftat direkt fragen, ob es sich beim Täter oder der Täterin um "Einheimische" oder "Ausländer" handelt – selbst wenn die Herkunft für das Delikt keine Rolle spielt.

Was bedeutet das konkret für unsere Berichterstattung?

Auch wir entscheiden uns heute häufiger dafür, die Nationalität von Verdächtigen oder (mutmasslichen) Tätern zu nennen – schon allein um dem Generalverdacht vorzubeugen, es wäre eine Person ausländischer Herkunft gewesen. Zudem möchten wir den Vorwurf gegenüber der Presse entkräften, sie würde bewusst Informationen zurückhalten.

Dabei ist die Herkunft einer Täterin, eines Täters oder Tatverdächtigen allein kein ausschlaggebender Grund für eine Berichterstattung. Im Zentrum steht die Frage nach der Tat, nicht nach der Herkunft der Verdächtigen.

Wenn wir über einen Sachverhalt berichten, nennen wir die – behördlich verifizierte! – Nationalität eines Täters oder einer Tatverdächtigen dann, wenn es aus unserer Sicht ein begründetes öffentliches Interesse gibt. Wann ein solches vorliegt, wägen wir immer im Einzelfall ab.

Wann besteht ein begründetes öffentliches Interesse?

Ein begründetes öffentliches Interesse kann bestehen, wenn zumindest einer der folgenden Sachverhalte vorliegt:

  • Es liegt eine besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension aussergewöhnliche Straftat vor.

Beispiele: Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Mord, Folter, Anschläge (z. B. auf den BVB-Mannschaftsbus 2017).

  • Eine Straftat wird aus einer grösseren Gruppe heraus begangen, von der ein nicht unbeachtlicher Anteil durch gemeinsame Merkmale wie ethnische, religiöse, soziale oder nationale Herkunft verbunden ist.

Beispiel: Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015/2016, als Straftaten aus einer grösseren Gruppe mit grossteils gemeinsamen ethnischen, religiösen und nationalen Merkmalen begangen wurden.

  • Die Biografie eines Täters oder Verdächtigen ist für die Berichterstattung über die Straftat von Bedeutung

Beispiel: Täter ist Geflüchteter und hat auf seiner Migration bereits vergleichbare Straftaten begangen.

  • Der Zusammenhang zwischen Form oder Häufigkeit einer Straftat und der Gruppenzugehörigkeit von Tätern oder Verdächtigen selbst ist Gegenstand der Berichterstattung.

Beispiel: Es wird der Handel mit Drogen an bestimmten Plätzen durch Täterinnen oder Täter einer bestimmten Gruppe thematisiert.

  • Ein Straftäter oder Tatverdächtiger hat die eigenständige Struktur seiner Herkunftsgruppe für die Tatausführung benutzt.

Beispiele: Der Täter nutzt ausländische Absatzwege für Diebesgut. Besondere Clan-Strukturen ermöglichen erst die Begehung von Straftaten (Ehrenkodex, Schweigeverpflichtungen, Solidaritätszwang …). Ein Verdächtiger flüchtet unter Ausnutzung von Strukturen in sein oder aus seinem Herkunftsland.

Weitere Beispiele finden Sie hier auf der Seite des Presserats.

Sollten neue Ermittlungserkenntnisse oder Rechercheergebnisse eine Nennung der Herkunft doch rechtfertigen, ändern wir gegebenenfalls unsere Entscheidung.

Empfehlungen der Redaktion

Grundsätzlich gilt: Je weniger über die Hintergründe der Tat bekannt ist, desto zurückhaltender sind wir bei der Nennung der Nationalität. Dabei lassen wir uns nicht von der Praxis anderer Medien leiten.