Im Sudan spielt sich die grösste humanitäre Krise der Welt ab. 10,2 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes vertrieben worden. Zuletzt stieg die Gewalt insbesondere in der Region Darfur massiv an. UNICEF-Sprecher Sheldon Yett zeigt ein schockierendes Bild des Krieges.
Ein kurzer Aufschrei und dann war es wieder vorbei: In den letzten Wochen war der brutale Konflikt im Sudan für einen Augenblick auf die internationale Bühne gehoben worden. Die Miliz RSF (Rapid Support Forces) hatte die lange belagerte Stadt Al-Faschir endgültig eingenommen.
Seitdem gingen Berichte über zügellose Gewalt, Tötungen und Vergewaltigungen um die Welt. Nun ebbt das Interesse an der grössten humanitären Krise weltweit wieder ab.
Mitten in diesem Grauen im Sudan leben 24 Millionen Kinder, die von der Gewalt betroffen sind. Sheldon Yett, UNICEF-Vertreter im Sudan, im Gespräch über die unterschiedlichen Realitäten vor Ort und was er sich von der internationalen Gemeinschaft erhofft.
Herr Yett, wenn Sie die Situation im Sudan in einem Satz beschreiben könnten …?
Sheldon Yett: Die Situation im Sudan verändert sich von Gemeinschaft zu Gemeinschaft.
Was meinen Sie damit?
Es gibt keinen einheitlichen Sudan. Es gibt den Sudan von Al-Faschir und den Sudan von Port Sudan, das sind zwei völlig unterschiedliche Welten.
Was sind die Unterschiede?
Manche Städte und Orte sind direkt an der Konfliktlinie. Andere Teile des Landes sind relativ stabil, dort geht das Leben weiter. Kinder können frei auf Fussballplätzen spielen, es gibt Märkte, Essen und Infrastruktur. In anderen Gemeinschaften verstecken sich die Leute im Keller, weil sie Angst haben, dass die Miliz in ihre Häuser kommt, sie haben Angst vor Drohnen, sie haben Angst davor, den nächsten Tag nicht mehr zu erleben.
Al-Faschir war zuletzt sehr präsent wegen der Einnahme der Stadt durch die RSF-Miliz. Was können Sie mir über die Situation berichten?
Seit dem 26. Oktober konnten etwa 80.000 Menschen aus der Stadt fliehen. Das scheint viel, doch angesichts der Grösse der Stadt hätten wir mehr erwartet. Einige unserer Mitarbeitenden sind in den Gemeinden ausserhalb von Al-Faschir aktiv und bieten dort Unterstützung an.
"Alle Schrecken des Krieges waren dort in Hülle und Fülle vorhanden."
Wie geht es den Menschen, die es heraus geschafft haben?
Sie kommen bereits aus sehr schwierigen Umständen. Das ist eine Bevölkerung, die 600 Tage besetzt war, die keinen Zugang zu Lebensmitteln oder medizinischer Versorgung hatten – sie hatten keinerlei Zugang zu dem, was nötig wäre, damit es ihnen gut geht. Alle Schrecken des Krieges waren dort in Hülle und Fülle vorhanden.
Und wo kommen die geflüchteten Menschen unter?
Sie kommen in unterschiedliche Städte an, einige kommen nach Tawila, eine Stadt etwa 50 bis 70 Kilometer entfernt von Al-Faschir, andere schaffen es bis nach Khartum. Sie werden von den dort lebenden Menschen aufgenommen. Organisationen wie UNICEF unterstützen sie, sodass sie Zugriff zu sauberem Wasser oder medizinischer Behandlung haben, wenn ihre Kinder mangelernährt sind. Sie bekommen die Unterstützung, die sie brauchen, wenn sie Zeugen von Angriffen waren oder sexualisierte Gewalt erlebt haben.
Viele Betroffene sind Familien und dementsprechend Kinder. Welche Auswirkungen hat dieser Krieg im Sudan auf sie?
Kinder sind von grossen Entbehrungen betroffen. Sie haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Cholera ist endemisch [tritt örtlich begrenzt auf, Anm.d.Red.], Malaria ist weit verbreitet, vor allem in Darfur. Ein Teil der Kinder muss geimpft und immunisiert werden, derzeit liegt die Immunisierungsraten in den Konfliktgebieten unter 30 Prozent. Andere wurden extremer Gewalt ausgesetzt, haben mit ansehen müssen, wie Familienmitglieder getötet wurden, wieder andere wurden von ihren Eltern getrennt. Es ist wirklich eine ziemlich harte Zeit für diese Kinder.
"Psychologischer Unterstützung ist in einer solchen Umgebung wie jetzt im Sudan grundlegend."
Wie fängt man Kinder auf, die solche schrecklichen Dinge erlebt haben?
Es gibt auf jeden Fall Dinge, die man tun kann. Man kann sich versichern, dass ein Kind jemanden hat, zu dem es Vertrauen hat und wo die Sorgen gehört werden. Wir von UNICEF bieten psychosoziale Pflege an, damit sie eine Therapie bekommen, damit sie wissen, wie sie dem Erlebten umgehen können und sie jemanden haben, mit dem sie sprechen können. Psychologischer Unterstützung ist in einer solchen Umgebung wie jetzt im Sudan grundlegend.
Wir sprechen hier über die nächste Generation des Landes. Was ist die Zukunft der Kinder im Sudan?
Ich meine, alle Kinder haben etwas, an dem sie sich festhalten können. Aber alles ist so viel schwieriger, wenn du das gesehen hast, was diese Kinder täglich sehen. Es ist viel schwieriger, wenn man diese Narben hat, die meist für den Rest ihres Lebens bleiben.
Wie kann an so einem gewaltvollen Ort Hilfe geleistet werden?
Unsere Mitarbeitenden sind es gewohnt, genau das zu tun. Wir sind eine Notfallorganisation. Wir sind in Konfliktzonen weltweit vertreten und können sauber arbeiten. Wir schaffen es Notfall-Immunisierung-Programme zu errichten oder finden Wege, um zu Menschen zu kommen, die nur schwer erreichbar sind. Wir untersuchen Kinder auf Mangelernährung und schaffen es sehr schnell, Latrinen aufzubauen, ebenso wie Sanitäranlagen. So bringen wir sauberes Wasser zu den Menschen. Wir können also wie ein Pflaster auf einer Wunde sein, um die Blutung zu stillen, aber wir können diesen Krieg nicht allein beenden.
"Es ist ein guter Tag, wenn überhaupt etwas zum Sudan in der Zeitung steht."
Was erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft?
Wir brauchen die Aufmerksamkeit der Welt auf den Sudan. Angesichts der Grösse dieser Krise, ist es überraschend, dass es nicht jeden Tag auf den Titelseiten ist. Es ist ein guter Tag, wenn überhaupt etwas zum Sudan in der Zeitung steht. Für mich ist das unverständlich. Dies ist die weltweit grösste humanitäre Krise. Die Zahl der Kinder ist grösser als die Bevölkerung vieler Städte in Europa. Wie kann das sein? Wo ist die Aufmerksamkeit?
Was muss jetzt passieren?
Wir brauchen vor allem die Parteien aus dem Konflikt selbst, um den Krieg zu stoppen. Damit die Kinder in einem gesunden Umfeld aufwachsen können, muss der Krieg zu einem Ende kommen.
Gibt es noch etwas, was Ihnen in dieser Situation Hoffnung macht?
Empfehlungen der Redaktion
Ich bin begeistert davon, was unsere Mitarbeiter unter diesen schwierigen Umständen bewerkstelligen. Ich bin begeistert über die Resilienz der Bevölkerung und über die Grosszügigkeit der Menschen im Sudan, die immer und immer wieder anderen helfen und Geflüchtete aufnehmen. Das ist es, was mir Hoffnung macht.
Über den Gesprächspartner
- Sheldon Yett ist seit 2024 UNICEF-Vertreter im Sudan. Yett ist bereits seit 1997 für UNICEF tätig und hat in verschiedenen Kontexten im Bereich der Nothilfe gearbeitet, unter anderem in Burundi, Somalia und dem Kosovo.