Der reichste Mann der Welt führt den Twitter-Konzern mit wilden Manövern in den Ruin: Umsätze brechen ein, Werbekunden flüchten, Pornogeschäfte nehmen überhand. Nun macht Musk ausgerechnet einen jüdischen Verband für das Werbeminus verantwortlich.
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Musk macht erneut mit anti-semitischen Verschwörungstheorien auf sich aufmerksam
Jüdische Organisationen reagieren entsetzt, denn bei dieser pauschalen, nicht weiter belegten Botschaft an die Welt bedient Musk das alte Stereotyp des Juden als Sündenbock. Doch Musk bleibt dabei, dass ADL seinen Konzern fast ruiniert. "In unserem Fall könnten sie verantwortlich für den Verlust der Hälfte des Firmenwertes sein, also 22 Milliarden Dollar", erklärt er.
Musk wurde bereits mit seinen Attacken auf den amerikanisch-ungarischen Milliardärs-Kollegen George Soros der Verbreitung anti-semitischer Verschwörungstheorien beschuldigt. Soros erinnere Musk an Magneto, einen jüdischen Superschurken aus dem Comic-Universum Marvel.
Der Journalist Brian Krassenstein meint daraufhin in einem Kommentar, dass Soros genau wie die Figur Magneto den Holocaust überlebt habe und ihn das tief in seiner Weltsicht geprägt habe. "Soros ... wird ununterbrochen angegriffen für seine guten Absichten, von denen manche Amerikaner nur schlecht denken, weil sie nicht seinen politischen Einstellungen zustimmen."
Die Antwort von Elon Musk kam prompt und fiel extrem aus: "Du nimmst an, das seien gute Absichten. Sind sie nicht. Er will die Grundlage der Zivilisation zerstören. Soros hasst die Menschheit." Da Soros in rechtsextremen Kreisen schon als ein Code für "die Juden" an sich gilt, brach über Musk ein Shitstorm wegen der Verbreitung uralter, anti-semitischer Weltzerstörungs-Stereotype herein.
Der Traum von der "Everything App"
Als Elon Musk, der Technologie-Milliardär, vor gut einem Jahr die Online-Plattform Twitter übernahm, begründete er das mit einem noblen Ziel. Er wolle eine Lanze brechen für die Meinungsfreiheit, sagte er. "The bird is freed", der Vogel sei befreit. Nun aber hat Musk ihn in doppelter Hinsicht abgeschossen.
Das legendäre blaue Vogel-Logo von Twitter, weltweit als "Larry" bekannt, ist durch ein schnödes X ersetzt. Twitter soll mitsamt Vogel verschwinden, künftig wird die Welt es mit Corp X zu tun bekommen. Den Namen der Holdinggesellschaft hatte Musk bereits im März geändert.
Fans von Elon Musk feiern den Schritt als "coolen Move", denn aus Twitter werde bald eine neue "Everything App", eine Universalanwendung nach dem Vorbild des chinesischen WeChat. WeChat funktioniert nicht nur als soziales Netzwerk, sondern kann vom Online-Einkauf über Bankgeschäfte bis zu Videokonferenzen, Spiele und Foto-Video-Sharing alles in einer App.
So etwas plane Musk nun auch für Twitter. Der Buchstabe X stehe für diese offene Vielfalt. Da Musk von einigen wie ein Popstar der Tech-Kapitalismus gefeiert wird, gilt sein X als Signatur seiner innovativen Produkt-Show. Musk war 1999 einer der Mitgründer der Onlinebank X.com, aus der dann der Bezahldienst Paypal wurde. Später gründete er das Raumfahrtunternehmen Space X, und der von ihm geführte Elektroautohersteller Tesla hat ein Model X im Programm.
Erst in diesem Jahr gründete er ein neues Unternehmen mit dem Namen xAI, das sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt. Einer von Musks Söhnen heisst tatsächlich X Æ A-12, der Unternehmer nennt ihn oft einfach X. Musk sagt: "Ich mag den Buchstaben X." Das neue X-Logo sei "sein Art déco". So weit die schillernde Seite der X-Revolution.
Elon Musk: "X auf der Überholspur in die Pleite"
Auf der Kehrseite wird Musks Vogeltötung als ein Akt rauschhaften Hochmuts kritisiert: "Im X offenbaren sich Chaos und Hybris des Systems Musk", titelt die Tageszeitung "Die Welt". Marketingexperten sind entsetzt: Eine der erfolgreichsten Marken der Welt – "Tweets" und "twittern" sind sogar globale Vokabeln geworden – wird aus der eitlen Laune eines Milliardärs heraus abgeschafft. Musk riskiere damit den Markenwert der gesamten Plattform.
Doch die Marken-Tötung von Twitter folgt möglicherweise nur dem geschäftlichen Ruin. Der Konzern ist unter Musk in eine existenzielle Krise geraten. Musk selbst sagte vor einigen Monaten, der Konzern sei "auf der Überholspur in die Pleite". Das Unternehmen würde vier Millionen Dollar am Tag verbrennen. Tatsächlich hat Twitter in zehn der letzten zwölf Jahre nur Verluste gemacht. Die Verschuldung liegt inzwischen bei zweistelligen Milliardenbeträgen. Das Unternehmen hat alleine durch die Übernahme neue Schulden in Höhe von fast 13 Milliarden Dollar in seine Bilanz aufgenommen und muss nun Zinskosten von mehr als einer Milliarde pro Jahr stemmen. Tendenz steigend.
Sechs Stolpersteine für den Kurznachrichtendienst X
Mit dem erratisch agierenden Musk stolpert X in gleich sechs Bedrohungen auf einmal.
Erstens brechen die Werbeerlöse, von denen die Plattform bislang zu 90 Prozent lebt, dramatisch ein. Die New York Times hat vor Kurzem interne Daten veröffentlicht, wonach die Werbeumsätze im Frühjahr um 59 Prozent unter dem Vorjahr gelegen haben. Die Erlöse für die fünf Wochen vom 1. April bis zur ersten Maiwoche betrugen demnach nur noch 88 Millionen Dollar. Im ersten Halbjahr soll der Werbeumsatz um etwa die Hälfte eingebrochen sein. Auf einem Twitter Space Audio-Event sagte Musk, dass Werbekunden in Europa und Nordamerika "extremen Druck" auf das Unternehmen ausgeübt hätten, was dazu geführt habe, dass "die Hälfte unserer Werbung" verschwunden sei. "Sie versuchen, Twitter in den Bankrott zu treiben", jammerte er.
Zweitens erleidet der Kurznachrichtendienst mit Musk einen gewaltigen Imageschaden. Da Musk die Plattform politisiert und nach rechts rückt, ziehen sich immer mehr Kunden und Nutzer bewusst zurück. Mit dem Zusammenstreichen der Content-Moderation und dem Entsperren teils extremistischer Nutzer hat er einen Anstieg von Hassreden, Antisemitismus und Verschwörungstheorien ausgelöst. Eine Reihe grosser Kunden hat sich deshalb demonstrativ von der Plattform verabschiedet.
Drittens hat Musk einen Kahlschlag beim Personal durchgezogen. Tausende von Mitarbeitern sind mit rüden Methoden gefeuert worden. Nun hat das Unternehmen keine 2.000 Mitarbeiter mehr, vor der Übernahme waren es 7.500. Das aber löst zusätzliches Chaos im Konzern aus, denn nicht nur einige der besten Führungskräfte haben Twitter inzwischen fluchtartig verlassen. Auch viele Programmierer sind weg, woraufhin die Plattform mit immer grösseren technischen Problemen zu kämpfen hat.
Viertens sieht sich Twitter verstärktem Wettbewerb gegenüber.
Der Meta-Konzern von Mark Zuckerberg hat mit Threads eine direkte Konkurrenz-App auf den Markt gebracht, und Threads knackte in nur fünf Tagen die 100-Millionen-Marke. Der Chatbot ChatGPT hatte zwei Monate für die 100 Millionen Nutzer gebraucht, bei Tiktok waren es gar neun Monate. Twitter selbst hatte über fünf Jahre für diese Nutzerzahl benötigt. Wenn es Meta tatsächlich gelingen sollte, einen neuen Kurznachrichtendienst zu etablieren, dürfte X das kaum überleben.
Fünftens hat der Kurznachrichtendienst zusehends ein Pornoproblem. Twitters Anzeigenverkäufer sind besorgt, dass Werbetreibende durch einen Anstieg von Pornografie sowie durch immer mehr Anzeigen für Online-Glücksspiele und Marihuana-Produkte verschreckt werden könnten. Es gibt inzwischen Wochen, in denen unter den grössten Werbekunden in den USA schillernde Anbieter von Fantasy-Sportwetten über Pornoseiten und Erektionshilfen zu Cannabis-Zubehör sind.
Sechstens führt der Einbruch im Kerngeschäft zu einer veritablen Bilanzschieflage. New Yorker Finanzanalysten warnen lautstark, dass Musk mit den 44 Milliarden viel zu viel bezahlt und sich überhoben haben könnte, weil eine steigende Zinslast auf ihn zurolle. Aus eigener Kraft werde der überschuldete Konzern die Lasten nicht mehr stemmen zu können, Musk müsse Kapital in ein immer wertloser werdendes Unternehmen nachschiessen. Der Investmentfondsriese Fidelity, der Aktien von Twitter besitzt, beziffert den Wert der Plattform derzeit nur noch mit 15 Milliarden. Musk hätte damit in nur einem Jahr 29 Milliarden Dollar vernichtet. Die Wall Street hat den Konzern gewissermassen schon ausge-x-t. Musks neues Logo kann man daher auch wie eine Pointe zum eigenen Ruin ansehen.
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