München/Bochum - BMW in den 1970er-Jahren war eine vor Kraft strotzende Firma. Zehn Jahre vorher waren die Bayern zwar fast pleite gewesen und hatten kurz vor dem Verkauf ausgerechnet an den Erzrivalen Mercedes gestanden. Doch davon war in München dank der neuen Mittelklasse-Modellreihe ("Neue Klasse") nun nichts mehr zu merken.
Im Gegenteil: Während sich die Stadt auf die Olympischen Spiele 1972 vorbereitete, leistete sich die Firma eine neue Zentrale, die wegen ihrer ungewöhnlichen Bauart weithin als "Vierzylinder" bekannt wird.
Und sie entwickelten darin ein Auto, das den Wiederaufstieg der Bayern nach Neuer Klasse und 02-Baureihe mit einem neuen Modell für die breite Masse verstetigen sollte: den 3er.
Der ist heute nicht nur das wirtschaftlichste Modell der Bayern, sagt Frank Wilke vom Bochumer Marktbeobachter Classic Analytics. Sondern er habe das Image der Marke geprägt. "Der Slogan 'Aus Freude am Fahren' wäre ohne den 3er nicht denkbar, und egal ob Audi, Mercedes oder zwischendurch auch mal Alfa Romeo – kein Konkurrent konnte diesem Breitensportler in der Mittelklasse bislang das Wasser reichen."
Auf der IAA vor 50 Jahren begann die Erfolgsgeschichte
Seinen Einstand gab der erste 3er - damals noch als zweitürige Limousine - unter dem Code E21 vor ziemlich genau 50 Jahren auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA), die damals freilich noch in Frankfurt am Main stattfand und nicht wie heute in München.
Und er wollte fortschreiben, was BMW mit der Neuen Klasse und dem 02er begonnen hat: Er sollte die "Freude am Fahren" fest im Markenkern der Bayern und vor allem im Alltag der Kunden verwurzeln, schreibt BMW in der Chronik. Denn zum sportlich-agilen Charakter des Vorgängers gesellten sich neue Qualitäten bei Komfort, Raumangebot und Sicherheit.
"Daran mussten sich die BMW-Kunden allerdings erst einmal gewöhnen", sagt Frank Wilke. "Anfangs war er vielen zu komfortabel und es hat erst das Topmodell 323i gebraucht, um das zu ändern."

An der Basis beginnt es mit relativ bescheidenen 90 PS
Wobei das mit dem sportlichen Charakter selbst beim 17.400 D-Mark teuren 323i so eine Sache ist, wenn man 50 Jahre nach der Premiere wieder in ein Auto von damals steigt. Denn auch er muss mit 105 kW/143 PS auskommen, während die Basis für damals 13.600 D-Mark sogar nur 66 kW/90 PS zu bieten hatte. Und wo heute gerne acht Gänge automatisch gewechselt werden, mussten derer damals vier reichen und auch noch händisch eingelegt werden.
Die Ausfahrt im Jetzt ist ein puristisches Vergnügen
Andererseits: Der E21 wiegt mit bestenfalls 1.010 Kilo ein gutes Drittel weniger als ein aktuellen 3er - und keine Elektronik drängt sich zwischen Fahrer und Fahrzeug. Denn selbst eine Servolenkung kostete damals Aufpreis.
So wird die Zeitreise zu einem ausgesprochen puristischen Erlebnis. Nach wenigen Kilometern kann man erahnen, wie sich der Mittelstand damals gefühlt haben mag: Verglichen mit den Mercedes-Modellen jener Zeit, den Opels und den Fords, ist es hier mit der Lethargie schnell vorbei. Nicht umsonst ist hier auch das Cockpit zum ersten Mal zum Fahrer geneigt.
Später hat dann bei den Nachfolgern die hauseigene M GmbH immer noch einen drauf gesetzt – etwa beim M3. "Weil dort Geld nur eine Nebenrolle gespielt hat und das Image immer wichtiger war", sagt Wilke.
"Aber auch an der Basis hat es BMW einfach immer wieder geschafft, dass der Funke auf den Fahrer überspringt und der engagierter ins Lenkrad greift oder die Füsse über die Pedale fliegen lässt als anderswo", sagt Wilke. Und das gilt für alle Generationen. Also, nun aber los mit der Ersten.

Der rüstige 3er kann sich mit modernen Autos messen
Wer den rüstigen Rentner noch einmal richtig rannimmt und den 2,3 Liter grossem Reihensechszylinder, übrigens der erste in dieser Klasse, entsprechend hochdrehen lässt, der schafft es deshalb mühelos in unter zehn Sekunden auf Tempo 100 und fährt mit bis zu 190 km/h auch heute den meisten E-Autos in der Mittelklasse munter davon. Dabei klingt er selbst 2025 noch um Längen besser als "Una Paloma Blanca" oder "Griechischer Wein", die damals die Hitparaden angeführt haben.
Wenn es einen dabei auf eine Passstrasse verschlagen sollte, erlebt man den Hecktriebler zudem handlich und agil wie es heute allenfalls die M-Modelle sind: Enge Kehren, steile Stiche, kurze Geraden – da kommt olympischer Sportsgeist auf, nur dass Dabeisein diesmal sicher nicht alles ist.
Und beim Überholen hämmert der 323i so stramm am Vordermann vorbei wie Jupp Heynckes bei Borussia Mönchengladbach an der Abwehr des Gegners. Schliesslich war der spätere Bayern-Trainer nicht umsonst Torschützenkönig der Bundesligasaison 1974/75.
Zeitreise ohne Zentralverriegelung - dafür mit Atlas
Der damals hochgelobte Komfort erschliesst sich heute freilich ebenfalls erst auf den zweiten Blick: Die Fenster muss man kurbeln, jede Türe einzeln auf- oder abschliessen. Und wer den Weg nach Italien nicht selbst findet, der schaut in den Shell-Atlas. Das wäre stilecht, denn von eingebauten oder transportablen Navis war man beim Debüt noch gefühlte Lichtjahre entfernt.
Aber dafür gibt es Platz in Hülle und Fülle – und das, obwohl der E21 mit 4,35 Metern Länge sogar noch hinter dem aktuellen 1er rangiert und ihm zum laufenden 3er sogar fast 40 Zentimeter fehlen. Und übrigens auch mehr als 20 Zentimeter Breite. Und trotzdem sitzt man ausgesprochen gut in den schmalen Sesseln und geniesst eine Schulterfreiheit, wie sie heute kaum der Fünfer bieten kann, weil die Bleche damals dünner waren und nicht so viele Kabel hinter den Konsolen integriert werden mussten.

So wird selbst eine Fahrt nach Italien zum Vergnügen - und zwar nicht nur als Zeitreise zurück zu den Wurzeln der Freude am Fahren, sondern durchaus als Alternative zu den vielen anderen 3ern, die dem E21 gefolgt sind.
Dem ersten 3er folgen viele Generationen nach
Denn nachdem der Nachfolger der Neuen Klasse tatsächlich zum Kern der Marke geworden war, hatten die Bayern ihn redlich gepflegt, obwohl die Kunden angeblich gar nichts auszusetzen gehabt haben. Jedenfalls zitiert das BMW-Archiv eine Umfrage von 1980, wonach 80 Prozent der 3er-Kunden fanden, dass an ihrem Auto "nichts verbesserungswürdig" sei.
Als 1981 nach nur sechs Jahren die erste Million voll war und der 3er zu dem bis dato meistverkauften BMW aufgestiegen ist, liefen im Vierzylinder aber trotzdem bereits die Arbeiten am Nachfolger. Der gab Ende 1982 als E30 seinen Einstand und schickte den E21 nach knapp 1,4 Millionen Exemplaren knapp ein Jahr später endgültig in den Ruhestand.
Bis heute folgten laut BMW sechs weitere Generationen und über 18 Millionen Autos. Die Modellpalette wurde zwischenzeitlich immer breiter: Es gibt als Dauerbrenner den Kombi Touring sowie für Geniesser das Coupé und das Cabrio, das seine Wurzeln mit einem Baur-Umbau ebenfalls im E21 hat.
BMW experimentierte beim 3er mit Exoten wie dem Gran Tourismo oder dem Billigmodell Compact. Und unter der Haube reicht es mittlerweile der M GmbH sei Dank bis 405 kW/550 PS.
Tipps vom Klassik-Experten - das kostet der erste 3er heute
Doch zurück zum ersten 3er der Baureihe E21. Zwar ist es nach Einschätzung der Stuttgarter Fachzeitschrift "Auto, Motor und Sport" nicht mehr so richtig leicht, einen guten E21 zu finden. Denn auch wenn er als erster BMW die Millionen-Marke geknackt habe, sei der Bestand durch Rost und forsche Fahrer gehörig dezimiert.

"Doch obwohl er der erste Dreier war, steht er bei den BMW-Fans nicht an erster Stelle", taxiert Wilke den Markt: Der bis 1994 gebaute Nachfolger E30 sei sicher der beliebteste 3er, gefolgt von den Baureihen E36 (1990-2000) und E 46 (1998-2007). Bei den Preisen schlägt das Alter dann trotzdem durch.
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Während man bei den Nachfolgern im Zustand 2 mit 9.500, 6.700 oder 5.300 Euro dabei sei, gebe es einen E21 laut Wilke erst ab 11.500 Euro, und ein 323i wie auf dieser Geburtstagsausfahrt ist für 28.000 Euro zu haben. © Deutsche Presse-Agentur