Es gibt kaum eine Woche, in der der Hass im Internet nicht hochkocht. Aus dem Kontext gerissene Äusserungen werden von Online-Mobs zum Anlass genommen, alles sagen zu können, was die dunkelste Seite der Menschheit erdenken kann. Mit realen Konsequenzen. Und auch, wenn wir uns längst an das Gift der Kommentarspalten gewöhnt haben, müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass längst Grenzen überschritten worden sind. Das, was wir täglich im Internet lesen, ist nicht normal. Aber sich zu wehren, ist dort schwer, wo die gegenseitige Beschimpfung zum Geschäftsmodell geworden ist.
Dunja Hayali sieht eigentlich nicht aus wie jemand, von dem eine derart grosse Gefahr ausgehen würde, dass man vor Wut schäumen müsste. Eigentlich. Nachdem die Journalistin über die Ermordung des US-Aktivisten Charlie Kirk berichtete, wurde sie mit Hass und Drohungen überzogen, sodass sie sich vorerst aus dem Netz zurückzog.
Lange hiess es, dass die Kommentare im Internet deshalb so masslos, krass und abscheulich seien, weil sich die Verfasser in der Anonymität verstecken könnten. Schaut man sich Strassenbefragungen von eben jener Journalistin an, die sie im Rahmen ihrer "Am Puls"-Reihe durchführte, muss man sagen: Das stimmt nicht mehr. Und vielleicht hat es auch nie gestimmt.
Das Internet scheint mittlerweile zu zeigen, was Leute schon immer gedacht haben, ohne dass sie dafür eine Öffentlichkeit hatten. Das ist das eigentlich Schreckliche. Gleichzeitig ist das Netz gleichzeitig Austragungsort und Verstärker einer völlig aus den Fugen geratenen Kommunikation.
Die monetarisierte Wut
In seinem Buch "Nexus" untersucht Yuval Noah Harari, wie Informationsnetzwerke von den ersten Mythen der Steinzeit bis zur modernen Künstlichen Intelligenz entstanden sind und wie sie das menschliche Zusammenleben, Machtstrukturen und die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft prägen. Die Kurzfassung: Wir leben schon in der Dystopie. Und zwar auch deshalb, weil die Algorithmen der Netzwerke das Potenzial menschlicher Erregung als beste Form des Engagements entdeckt haben.
Den Plattformbetreibern wie Mark Zuckerberg oder Elon Musk ging es nie um einen neutralen Austausch. Es ging immer um Bildschirmzeit. Je länger der Nutzer dort ist, desto länger sieht er Werbung. Es gibt, so schreibt Harari, "ein einziges übergeordnetes Ziel (...): Die Steigerung der Nutzerbindung, des sogenannten User Engagement. Die Algorithmen fanden dann mittels Versuchen an Millionen von Nutzern heraus, dass Empörung eben diese Bindung erzeugt."
Die traurige Wahrheit ist: Damit sind alle, die mitmachen, Versuchskaninchen.
Wenn man Hass als Geschäftsgrundlage hat, indem man droht, schreit und zur Gewalt aufruft, erreicht man Tausende, manchmal Millionen von Menschen. Und dann monetarisiert man deren Wut. In den letzten Jahren konnte man viele YouTuber dabei beobachten, wie sie langsam und dann immer schneller ihre Themen veränderten. Einfach deshalb, weil die geschwollene Halsschlagader mehr Geld bringt als der besonnene Bericht.
Aus Sex sells ist Hate sells geworden. Moment, Moment, sagen dann einige: Was genau meinst du mit Hass? Ist es nicht einfach eine Meinungsäusserung, die ich tätigen kann, um meinen Standpunkt zu erklären? Nun, es kommt natürlich auf die eigene Vorstellung an. Dann aber auch wieder nicht.
Es geht um das Leben von Menschen
Denn in welcher Welt kann jemand es für eine "Meinungsäusserung" halten, wenn jemand wünscht, dass ein anderer hängt? Dass die eigene Familie jemanden erschiesst? Dass jemand sich nicht mehr sicher fühlen könne? All dies musste sich die schon erwähnte
Und nein, dies sind keine blossen Drohungen. Längst führt die entgrenzte Sprache zu Gewalt. Und die Plattformen? Nun, die werden den Teufel tun, etwas zu moderieren und zu begrenzen, das richtig viel Kohle macht und im Falle des Meta-Chefs dazu führt, dass dieser im Weissen Haus sitzen und mit den mächtigsten Menschen der Welt einen Kaffee trinken kann.
Der Hass muss aufhören
Egal, wie weit man auseinanderliegt, egal, wie sehr sich Meinungen unterscheiden und egal, wie wenig man die Aussagen anderer Menschen versteht: Wenn es zu Gewaltaufrufen, Todesdrohungen und Mordphantasien kommt, ist eine Grenze erreicht. Eigentlich ist sie längst überschritten.
Aus diesem Grund hat die Moderatorin Ruth Moschner eine Petition gestartet, in der sie von der Politik und der Justiz eine konsequente und unkomplizierte Strafverfolgung von Hasskommentaren und Drohungen im Internet fordert. Und eine Verpflichtung der Plattformen, strafbare Inhalte nicht nur zu löschen, sondern den Behörden weiterzuleiten. Dass es dafür eine Petition geben muss, scheint angesichts der letzten Jahre irritierend. Längst hätte gehandelt werden müssen.
An die eigene Nase fassen
Zugegeben: Manchmal ist es schwer, die Fassung zu bewahren, wenn man erregt oder wütend ist und am liebsten in ein Kissen schreien würde, schon klar. Aber so naiv der Gedanke auch sein mag: Sich vor Augen zu halten, ob man das, was man anderen Menschen im Netz – und auf der Strasse – an den Hals wünscht, auch seiner eigenen Familie antun wollen würde, ist ein guter Kompass.
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Und wer meint, dass das doch alles halb so wild sei, der lasse sich von jemandem, der selbst schon Morddrohungen erhalten hat, sagen: Ist es nicht. Es tut weh, es macht Angst und es ist nichts, was uns als Gesellschaft auch nur ein My weiterbringt. Dieser Hass muss aufhören!
Über den Autor
- Bob Blume ist Buchautor, Content Creator und Bildungsaktivist. Auf Instagram hat er als @netzlehrer 200.000 Follower. Er ist Experte in der deutschen Medienlandschaft zum Thema Schule und Bildung und wurde bei der Verleihung der Goldenen Blogger 2022 als Blogger des Jahres ausgezeichnet. Für die Newsportale von 1&1 schreibt er über Phänomene im Netz.