Die sogenannte Migränespritze wird oft erst spät verordnet. Dabei wäre eine frühere Behandlung bei vielen Betroffenen sinnvoll. Denn viele berichten, dass es ihnen nach der Therapie deutlich besser geht. Zudem könnte verhindert werden, dass die Migräne chronisch wird.
Der Kopf pocht, jedes Geräusch dröhnt, als sei ein Presslufthammer neben dem Bett im Einsatz. Jede Bewegung verschlimmert die Schmerzen, oft kommen Übelkeit und Erbrechen hinzu. Wer regelmässig unter Migräne leidet, der weiss, wie lähmend diese Attacken sein können.
Vielen bleibt dann nur, sich in ein abgedunkeltes Zimmer zurückzuziehen – und zu warten, bis der Schmerz endlich nachlässt. Doch eine Attacke kann nicht nur Stunden, sondern unbehandelt bis zu drei Tage dauern. Wenn die Anfälle sehr häufig auftreten, bedeutet das für Betroffene massive Einschränkungen: Fehltage im Beruf, verpasste Termine, vielleicht sogar Unverständnis im Umfeld, wenn man schon wieder absagen muss.
Der Leidensdruck ist oft hoch und viele Patienten suchen jahrelang nach einer wirksamen Behandlung. Eine vergleichsweise neue Option ist die sogenannte Migränespritze. Sie wirkt vorbeugend und kann die Zahl und die Schwere der Attacken deutlich senken.
Sehr starke und häufige Attacken
"Die Migränespritze eignet sich vor allem für Personen, die sehr starke und häufige Anfälle haben", sagt Gudrun Gossrau, Leiterin der Kopfschmerzambulanz am Universitätsklinikum Dresden. Anders als frühere Präparate ist die Spritze speziell gegen Migräne entwickelt worden. "Früher standen Mittel im Vordergrund, die eigentlich gegen andere Erkrankungen eingesetzt wurden", sagt die Neurologin.
Dazu gehörten etwa Betablocker gegen Bluthochdruck oder Medikamente gegen Epilepsie, die zufällig auch bei Migräne halfen. "Heute haben wir spezifische Therapien, die genau auf den Mechanismus wirken, der die Migräne auslöst." Antikörper in der Migränespritze blockieren den Botenstoff CGRP oder seinen Rezeptor und setzen damit direkt an der Ursache an.
Es gibt dabei nicht nur eine Migränespritze, sondern verschiedene Präparate. Je nach Präparat wird die Spritze einmal im Monat oder einmal im Quartal gesetzt. Viele Patienten können das selbst zu Hause erledigen.
Eingesetzt wird die Therapie vor allem bei Menschen, deren Migräne besonders belastend ist: "Das sind Patienten, die mehrere Attacken pro Monat haben, viele Akutmedikamente benötigen und deren Alltag massiv eingeschränkt ist", erklärt Gossrau.
Wann die Krankenkasse die Spritze zahlt
Wo und wie können Betroffene die Antikörper bekommen? Grundsätzlich können auch Hausärztinnen und Hausärzte eine Migränespritze verschreiben. "In der Realität geschieht das aber selten, weil die Medikamente Erfahrung im Umgang mit Migräne und spezifischen Migräneprophylaxen erfordern", sagt Gossrau. Meist erfolgt die Behandlung deshalb in neurologischen Praxen oder spezialisierten Kopfschmerzambulanzen.
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Migränespritze, wenn andere vorbeugende Therapien nicht ausreichend geholfen haben. Beim Wirkstoff Erenumab kann dafür eine erfolglose Vortherapie ausreichend sein. "Bei den anderen Antikörpern müssen bis zu vier beziehungsweise bei chronischer Migräne fünf verschiedene Vorbehandlungen dokumentiert sein", sagt die Neurologin.
Das kann belastend sein, weil die Medikamente starke Nebenwirkungen haben können. Ausserdem kostet es Zeit, in der die Attacken womöglich unvermindert weiter wüten. "Ich halte eine weitere Individualisierung der Therapie mit Berücksichtigung zum Beispiel einer drohenden längeren Arbeitsunfähigkeit für sinnvoll. Dazu braucht es mehr Spielraum bei der ärztlichen Verordnung."
Bessere Wirkung und weniger Nebenwirkungen
Studien zeigen zudem, dass die Migränespritze oft wirksamer und besser verträglich ist als ältere Mittel. "Beim Vergleich mit Topiramat mussten rund 40 Prozent der Patienten die Therapie wegen Nebenwirkungen abbrechen – bei Erenumab waren es nur zehn Prozent", sagt Gossrau. Topimarat ist ein Medikament, das zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt wird, aber auch helfen kann, Migräneanfällen vorzubeugen.
"Die Medikamente sollten viel zeitiger eingesetzt werden, um das Risiko zu verringern, dass die Migräne chronisch wird."
Gossrau zufolge berichten viele Betroffene, dass sie dank der Migränespritze weniger Schmerzmittel einnehmen, sich ihre Lebensqualität verbessert und sie wieder arbeitsfähig sind. Allerdings spricht auch fast ein Viertel nicht ausreichend auf die Behandlung an.
Warum werden also nicht mehr Betroffene mit der Migränespritze behandelt? "Es ist schwer, die Antikörper früh im Krankheitsverlauf zu verordnen, weil die Voraussetzungen für die Kostenübernahme so streng sind", sagt Gossrau. Sie ist überzeugt: "Die Medikamente sollten viel zeitiger eingesetzt werden, um das Risiko zu verringern, dass die Migräne chronisch wird." Ihrer Erfahrung nach sprechen viele Patienten sehr gut auf das Mittel an, fühlen sich deutlich besser und gewinnen ein Stück Normalität zurück.
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Trotzdem bleibt die Migränespritze nur ein Baustein. "Das heisst nicht, dass man jetzt nicht-medikamentöse Ansätze der Migränetherapie vernachlässigen kann", sagt die Neurologin. Bewegung, Entspannungsverfahren und ein geregelter Tagesablauf bleiben auch mit Antikörpertherapie bei Migräne wichtig.
Über die Gesprächspartnerin
- Professorin Dr. med. Gudrun Gossrau ist Leiterin der Kopfschmerzambulanz und Oberärztin für Neurologie und Schmerztherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden.