Mitgefühl mit sich selbst haben – das ist für viele Menschen schwierig. Denn den meisten von uns fällt es deutlich leichter, selbstkritisch zu sein. Doch liebevoller mit sich selbst umzugehen, kann auch im Umgang mit chronischen Schmerzen helfen.
Mitgefühl haben wir überwiegend mit anderen. Mit unseren Freundinnen oder Familienmitgliedern etwa sind wir meist gnädiger und liebevoller als mit uns selbst. Vor allem Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Migräne oder Rückenschmerzen sind besonders hart zu sich selbst.
Bei ihnen kreisen die selbstkritischen Gedanken häufig um Fragen wie: Ist es wirklich so schlimm heute? Wieso bist du so schwach? Was hast du getan, dass es dir immer noch nicht besser geht?
Diese Form der Selbstkritik und Selbstschuldzuweisungen führen zu einer Abwärtsspirale für die Betroffenen und sorgt dafür, dass es ihnen, zusätzlich zu den körperlichen Schmerzen, auch psychisch schlecht geht.
Gesellschaft verstärkt den Druck weiter
Menschen mit chronischen Schmerzen büssen massiv an Lebensqualität ein. Zudem finden sich Betroffene oft in Rechtfertigungen gegenüber Aussenstehenden wieder. Nicht selten sind Menschen mit chronischen Schmerzen auch psychisch stark belastet.
Verstärkt wird dieser innerliche Druck oft auch durch aussen. Viele Betroffene stossen bei Arbeitgebern oder im Kollegium auf Unverständnis, wenn sie sich häufig krankmelden und aufgrund von Schmerzen ausfallen.
Dadurch entsteht ein Teufelskreis: "Wenn man sich selbst unter Stress setzt, weil man denkt, man könne sich nicht krankmelden, weil man sonst entlassen wird, erhöht das die Gefahr die nächste Migräneattacke zu haben oder dass der Schmerz schlimmer wird", sagt Diplom-Psychologe Thomas Dresler vom Institut für allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Tübingen in einer Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses.
Selbstachtsamkeit: Eine Idee, fast so alt wie die Menschheit selbst
Das Konzept der Achtsamkeit ist nicht neu. Seinen Ursprung hat es im buddhistischen Glauben und wird in anderen Kulturen bereits seit Jahrhunderten praktiziert. Lebt man achtsam, richtet sich die Aufmerksamkeit bewusst auf den gegenwärtigen Moment, ohne darüber zu urteilen. Achtsamkeit kann helfen, innere und äussere Erfahrungen mit Ruhe wahrzunehmen und so Distanz zu belastenden Gedanken zu schaffen.
Auch hierzulande wird Achtsamkeit in der Psychotherapie und in der psychologischen Schmerzbehandlung immer wichtiger. Jedoch sollte das Selbstmitgefühl nicht als primärer Behandlungsansatz genutzt werden, sondern Bestandteil einer umfassenden Therapie sein.
Therapeutische Ansätze zur Förderung von Selbstmitgefühl
Ansätze sind hier beispielsweise die Compassion-focused Therapy (CFT), die der Psychologe Paul Gilbert entwickelte. Es ist ein therapeutischer Ansatz, der helfen soll, die eigene Stimmung zu regulieren und ein Gefühl von Sicherheit und Selbstakzeptanz zu vermitteln. Die CFT wird zunehmend als effektiv bei verschiedenen Krankheiten wie Depressionen oder Essstörungen wahrgenommen.
Laut der Professorin für Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung Kristin Neff besteht das Selbstmitgefühl aus drei Komponenten:
- Selbstfreundlichkeit
- menschliche Verbundenheit
- Achtsamkeit
Mit der menschlichen Verbundenheit ist gemeint, sich deutlich zu machen, dass man nicht allein mit der Erfahrung ist. Dies kann entlastend und gegen soziale Isolierung wirken.
In der Schmerztherapie gibt es noch Nachholbedarf
Derzeit ist das Selbstmitgefühl noch kein fester Bestandteil der Schmerztherapie: "Es gibt da noch grösseren Studienbedarf, um über die Mechanismen aufzuklären und die Effekte besser abschätzen zu können", sagt Dresler. "Aber insbesondere in einem schmerzpsychotherapeutischen Setting kann es sinnvoll sein, eine Übung einzubauen, die das Selbstmitgefühl steigert."
Wichtig zu wissen: Durch Selbstmitgefühl verschwinden keine chronischen Schmerzen. Dies ist jedoch laut Thomas Dresler auch nicht das Ziel: "Es geht darum, besser mit den Schmerzen klarzukommen. Und es gibt auch Beispiele, wo Betroffene zwei bis drei Schmerztage weniger im Monat haben, das bedeutet für viele Betroffene sehr viel Freiheit."
Was ist der Unterschied zwischen Selbstmitgefühl und Selbstmitleid?
"Beim Selbstmitleid", so Thomas Dresler, "empfinden wir Erlebnisse als unfair und haben das Gefühl, dass andere Menschen weniger leiden und nicht so kämpfen müssten wie sie selbst." So kommt es bei Betroffenen schnell zu negativen Gefühlen.
Beim Selbstmitgefühl ist der Fokus ein anderer: Hier macht man sich bewusst, dass auch andere ähnliche Kämpfe führen wie man selbst und dass man nicht allein ist mit seinem Schmerz und seinen Gedanken. "Man zieht den Fokus weg von der persönlichen Ebene und macht sich klar: Ich bin nicht der Schmerz. Es ist eine universelle Empfindung, die andere auch haben, in unterschiedlichen Ausprägungen", erklärt Dresler.
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Wie kann man Selbstmitgefühl lernen?
In erster Linie geht es darum, eine innere mitfühlende Stimme zu entwickeln und die Selbstkritik zu reduzieren. Dabei kann es helfen, Tagebuch zu führen oder sich selbst zu schreiben, so wie man mit Freundinnen und Freunden sprechen würde.
Auch körperliche Berührungen können helfen. "Es gibt Übungen, wo man sich selbst mit Berührungen Gutes tun kann", sagt Dresler, "Zum Beispiel die Hand aufs Herz legen, zu pressen und zu empfinden, was das in einem auslöst. Man kann sich auch selbst umarmen. Es gibt Befunde, dass so etwas mit positiven Veränderungen im Gehirn einhergeht."
Redaktioneller Hinweis
- Die Informationen in diesem Artikel ersetzen keine persönliche Beratung und Behandlung durch eine Ärztin oder einen Arzt.
Verwendete Quellen
- Pressekonferenz & Pressematerial des Schmerzkongresses 2025
- tk.de: Selbstmitgefühl - wie Sie lernen, sich selbst zu unterstützen
- Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen: Selbstmitgefühl: Ein neuer Standard in der Psychotherapie?