Die brasilianische Naturschutzbehörde hat dem halbstaatlichen Energiekonzern Petrobras Ölbohrungen nahe der Amazonasmündung vor der Küste des Bundesstaates Amapá untersagt.

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Während Umweltschützer wie Greenpeace die Entscheidung als Sieg feiern, regt sich Widerstand auf verschiedenen Ebenen. Für Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, seit Anfang des Jahres im Amt, wird es eine erste Bewährungsprobe für seine fragile Regierungskoalition und auch ein Glaubwürdigkeitstest. Denn um Umweltministerin Marina Silva für ein Comeback in diesem Amt zu gewinnen, hatte Lula im Vorfeld der Wahl zahlreiche Zugeständnisse beim Umwelt- und Klimaschutz machen müssen. Nun wird sich zeigen, ob diese Zugeständnisse ernst gemeint oder nur wahltaktischer Natur waren.

Die Entscheidung liegt bereits einige Tage zurück. Am 20. April hatte die Umweltbehörde IBAMA den Antrag von Petrobras abgelehnt, 160 Kilometer vor der Küste von Amapá nach Öl bohren zu dürfen. Diese Entscheidung wurde nun von IBAMA-Präsident Rodrigo Agostinho bestätigt. Er folgt damit dem technischen Gutachten vom April und lehnt nun die von Petrobras beantragte Lizenz für Meeresbohrungen im Block FZA-M-59 im erweiterten Mündungsgebiet des Amazonas ab. "Die Entscheidung, die aufgrund einer Reihe von technischen Unstimmigkeiten getroffen wurde, folgt der Empfehlung der Analysten des Board of Environmental Licensing der IBAMA", heisst es auf der Internetseite der IBAMA.

Zum Hintergrund: Die vorgelagerte Küstenregion im Nordosten ist dort, wo Ölvorkommen vermutet werden, in Planquadrate, so genannte Blöcke, unterteilt. 47 solcher Blöcke befinden sich in der fraglichen Region vor der Mündung des Amazonas. Insgesamt gibt es vor der Nordostküste Brasiliens 157 solcher Blöcke. Für einige davon laufen derzeit parallele Explorationsanträge von Petrobras. Der jetzt beantwortete Antrag bezieht sich auf den Block FZA-M-5" und wurde bereits vor neun Jahren gestellt.

80 Organisationen warnen vor möglichen Folgen

Wenige Wochen vor der Entscheidung hatten sich 80 zivilgesellschaftliche Organisationen in einem Brief gegen eine Bohrgenehmigung ausgesprochen. Eine solche sei vor dem Hintergrund einer "gerechten und inklusiven Energiewende" "nicht schlüssig", hiess es in dem Schreiben, das unter anderem an das Energieministerium, das Umweltministerium, die Ministerien für Fischerei und Indigene sowie das Aussenministerium ging - neben der Unternehmensleitung von Petrobras.

In dem Brief wiesen die Autoren auch auf die grosse ökologische Bedeutung des Amazonasmündungsgebietes hin. So wären im Falle eines Ölaustritts 80 Prozent der brasilianischen Mangrovenwälder betroffen, die sich im Einzugsgebiet befinden. Zudem befindet sich in der Nähe ein ausgeprägtes Riffgebiet, das noch wenig erforscht ist, aber für die Fischerei in der Region von zentraler Bedeutung sein soll. Und ganz risikolos scheint die Ausbeutung des Ölfeldes nicht zu sein. Die Konzerne BP und Total hatten bereits vor rund zehn Jahren Interesse an der Lagerstätte bekundet, wegen der hohen Lizenz- und Umweltrisiken aber wieder Abstand genommen und ihren Claim Petrobras überlassen.

Petrobras hatte zuletzt mächtig aufs Tempo gedrückt - wohl wissend, dass unter einer Regierung Lula bei der Lizenzvergabe viel genauer hingeschaut würde als unter der in Umweltfragen eher laxen Regierung Bolsonaro. Wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober war Petrobras noch zuversichtlich, die Genehmigung vor dem Regierungswechsel zu erhalten.

Energieminister dafür, Umweltministerin dagegen

Energieminister Alexandre Silveira hatte sich stets für die Bohrung stark gemacht, nannte sie "die Eintrittskarte zur Zukunft für die Bundesstaaten in Nordosten". Diese gelten seit jeher als strukturschwach und deutlich ärmer als die Bundesstaaten im Süden und Südwesten. Und diese Reaktion zeigt, wo die Konfliktlinie verläuft. Nämlich zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen. Das ist verständlich, denn nach Jahren des Niedergangs, der Pandemie und vier Jahren Bolsonaro braucht Lula wirtschaftliche Erfolge, um der Wirtschaft des grössten Landes Südamerikas eine Perspektive zu geben und halbwegs ruhig regieren zu können. Zudem ist die Versuchung gross, kurzfristig an Russlands Stelle zu treten, da sich Teile der Welt von Russland als Öl- und Gaslieferant abwenden.

Randolfe Rodrigues, Senator des Bundesstaates Amapá und langjähriger Weggefährte Lulas, sieht in der Entscheidung massive negative Folgen für die Wirtschaft seines Bundesstaates und kündigte auf Twitter an: "Wir werden gegen die Entscheidung kämpfen." Immerhin stünden rund 14 Milliarden Barrel Öl auf dem Spiel. Nicht ganz so kämpferisch gibt sich Petrobras. Deren CEO Jean Paul Prates appellierte angesichts der Entscheidung an IBAMA, die Entscheidung noch einmal zu überdenken.

Besonders erfolgversprechend wäre das nicht. Denn am Ende läge die Entscheidung wieder bei der IBAMA. Umweltministerin Marina Silva wird sich dem Verbot sicher nicht in den Weg stellen, hat sie doch als Umwelt- und Klimaschutzministerin schon vor Wochen deutlich gemacht, dass sie für Petrobras kaum noch eine Zukunft im Öl- und Gasgeschäft sieht. Wer sie kennt, weiss auch, dass sie keine Angst hat und vor grossen und mächtigen Industriekonzernen nicht einknickt.

Marina Silva wollte einst Staudamm Belo Monte nicht genehmigen

Bis 2008 war sie bereits Umweltministerin in einer von Lula geführten Regierung. Während ihrer Amtszeit initiierte sie ein Programm zum Schutz vor Entwaldung, das tatsächlich dazu beitrug, die illegale Abholzung des Regenwaldes massiv einzudämmen.

Silva trat zurück, als es ihr nicht gelang, den Bau des Megastaudamms Belo Monte bei Altamira im Amazonasgebiet zu verhindern. Um die schwächelnde Wirtschaft anzukurbeln, hatte Lula ein Konjunkturprogramm mit zahlreichen Grossprojekten aufgelegt. Die Idee für den Staudamm stammte bereits aus der Zeit der Militärdiktatur (1964-85), war aber von den Militärs wegen der enormen Dimensionen und des zu erwartenden Widerstands ad acta gelegt worden. Lula griff das Projekt - gegen den ausdrücklichen Willen Silvas - wieder auf. Sie gab resigniert auf.

Es dürfte nicht im Interesse Lulas liegen, noch einmal einen ähnlichen Abgang seiner Umweltministerin zu provozieren, auch wenn Kritiker ihre Ernennung ohnehin nur als umweltpolitisches Feigenblatt interpretieren, mit dem nach aussen der Wille der Regierung zu ernsthaftem Umweltschutz dokumentiert werden sollte.

Einen vorzeitigen Abgang Silvas könnte sich Lula derzeit überhaupt nicht leisten. Es hat ihn im Vorfeld der Wahlen viel Mühe und politische Zugeständnisse gekostet, die Umweltpolitikerin dazu zu bewegen, seine Wahl zu unterstützen.

Lula ist auf Silva und ihre Unterstützung angewiesen

Da seine Koalition sehr breit ist und auf die Zustimmung von Mitte- und Mitte-Rechts-Gruppierungen angewiesen ist, dürfte Lula wenig Interesse daran haben, es sich beim ersten Konfliktpunkt mit Marina Silva zu verscherzen, die gerade bei Umweltschützern und politisch links stehenden Regierungsanhängern hohes Ansehen geniesst. Zudem ist Lulas Mehrheit in den Kammern dünn, die rechtskonservative Opposition lauert nur darauf, der Regierung Lula das Leben so schwer wie möglich zu machen - und das Thema Umweltschutz ist für sie ohnehin ein rotes Tuch.

Hinzu kommt, dass die ersten Früchte des Regierungswechsels in der Amazonasregion erst allmählich sichtbar werden. Laut Daten des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (INPE), das die Waldbrände der vergangenen Jahre mit Hilfe von Satelliten lokalisiert hat, sind diese seit Lulas Amtsantritt im April erstmals zurückgegangen. Demnach ging die Entwaldung im April im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 68 Prozent zurück. Die Daten zeigen, dass im April 329 Quadratkilometer abgeholzt wurden, so wenig wie seit drei Jahren nicht mehr. Aber auch diese Fläche entspricht immer noch der Grösse von 46.000 Fussballfeldern.

Verwendete Quellen:

  • gov.dr: Entscheidung von Ibama über den Antrag auf Erteilung einer Lizenz für Bohrungen im Block FZA-M-59 im Becken von Foz do Amazonas
  • sumauma.com: Lula sieht sich zivilgesellschaftlichem Widerstand gegen die Ölförderung im Amazonasgebiet gegenüber
  • nationalgeographic.de: Überraschung- Lebhaftes Riff im trüben Amazonas entdeckt
  • oedigital.com: Petrobras' Efforts to Drill in Brazil's Foz do Amazonas Block Stalled by License Issues
  • brazilenergyinsight.com: Petrobras predicts license to drill foz do amazonas before new Government
  • sumauma.com: Marina Silva: "Na minha opinião pessoal, a Petrobras não pode continuar a ser uma empresa de petróleo"
  • infomazonia.org: Lula reduziu desmatamento da Amazônia em 70%; aumento em anos de Bolsonaro é de 73%
  • oedigital.com: Lula's Coalition Roiled by Decision to Block Petrobras' Amazon Mouth Drilling Project
  • cartacapital.com.br: Desmatamento na Amazônia registra primeira grande queda sob governo Lula
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