Charlotte Böhringer wird 2006 erschlagen in ihrem Penthouse aufgefunden. Verurteilt wird ihr Neffe, nur auf Grundlage von Indizien. Nun könnte der "Parkhausmord" neu aufgerollt werden: Neue Beweise, widersprüchliche Spuren und eine mutmasslich lügende Zeugin stellen das Urteil auf den Prüfstand. Sass Benedikt Toth womöglich 17 Jahre unschuldig im Gefängnis?
Beton, Metall, Schranken: Das Parkhaus in der Münchner Baaderstrasse wirkt wie ein gewöhnlicher Zweckbau. Doch am 15. Mai 2006 wird es zum Tatort eines Verbrechens, das bis heute Fragen aufwirft.
An jenem Tag liegt Charlotte Böhringer tot in ihrer Penthouse-Wohnung über dem Parkhaus. Sie ist blutüberströmt, liegt bäuchlings am Fusse der Treppe. Die Unternehmerin wurde brutal erschlagen: Mindestens 24 Schläge trafen ihren Kopf.
Verurteilt wird ihr Neffe Benedikt Toth. Toth beteuert seine Unschuld, doch das Gericht spricht ihn in einem Indizienprozess schuldig. Lebenslange Haft. Mord aus Heimtücke und Habgier. Doch Zweifel an Ermittlungen und Urteil bestehen bis heute.
19 Jahre später kommt erneut Bewegung in den Fall: Das Landgericht Augsburg erklärt den Wiederaufnahmeantrag von Benedikt Toth für zulässig. Denn: Eine Zeugin könnte damals gelogen haben, und die Blutspuren am Tatort passen nicht zum angenommenen Tathergang.
Sass Benedikt Toth also – wie er stets behauptet – 17 Jahre unschuldig hinter Gittern?
Böhringers Leben im Luxus – und ein brutales Ende
Charlotte Böhringer war reich und zählte zu der High Society Münchens. Sie erbte nach dem Tod ihres Mannes dessen Vermögen: rund 50 Millionen Euro sowie ein Parkhaus mitten in der Stadt. Auf dessen Dach befand sich ihre rund 450 Quadratmeter grosse Penthouse-Wohnung. Als sie in eben dieser Wohnung ermordet wurde, war Böhringer 59 Jahre alt.

Am Tag nach dem Mord fanden Benedikt Toth und ein Mitarbeiter des Parkhauses ihre Leiche. Sie wollten nach der Dame sehen, öffneten die Tür, entdeckten Blutspritzer an den Wänden – und Charlotte Böhringer reglos am Boden. Der "Parkhausmord" sorgte bundesweit für Schlagzeilen.
Der Verdacht fällt auf die Familie
Es gab keine Zeugen, keine Tatwaffe, keine Einbruchsspuren. Es wirkte, als hätte Böhringer dem Mörder selbst die Tür geöffnet. Die Polizei vermutete früh ein persönliches Motiv. In ihrem Fokus: Benedikt Toth.
Am Tattag sei der Neffe der Getöteten mit einer Erkältung allein zu Hause gewesen, gab er an. Ein wasserdichtes Alibi fehlte ihm. Das Motiv, das die Ermittlerinnen und Ermittler vermuteten: Habgier.
Toth sollte im Falle von Böhringers Tod das Parkhaus erben, allerdings nur mit einem abgeschlossenen Jurastudium. Dass er dieses längst abgebrochen hatte, wusste seine Tante – laut Gericht aber entgegen der Aussage von Toth – nicht. Aus Angst, enterbt zu werden, soll Toth seine Tante ermordet haben.

Was folgte, war ein spektakulärer Indizienprozess: 15 Monate wurde verhandelt – unterbrochen von Hungerstreiks, Befangenheitsanträgen und Tumulten im Gerichtssaal. 2008 fiel das Urteil: lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes aus Heimtücke und Habgier. Das Landgericht München sah es als erwiesen an, dass Benedikt Toth seine Tante erschlagen hat, um sich das Erbe zu sichern. Es stellte die besondere Schwere der Schuld fest – eine vorzeitige Entlassung galt als ausgeschlossen.
So soll Toth die Tat begangen haben
Laut Gericht soll Toth am 15. Mai 2006 vor Böhringers Wohnungstür gelauert, sie beim Öffnen überrascht und mit mindestens 24 Schlägen mit einer unbekannten Tatwaffe getötet haben.
Eindeutige Beweise fehlten. Die Verurteilung stützte sich auf 14 Indizien. Doch die Öffentlichkeit ist gespalten. War das Urteil gerecht oder zu waghalsig? Reicht ein Puzzle aus Indizien für eine lebenslange Verurteilung? Toth selbst bestreitet bis heute jede Schuld.
Neben dem Tatmotiv Habgier führte das Gericht dreizehn weitere Indizien auf. Das wohl Umstrittenste: der Spur-Spur-Treffer. Laut Verteidigung ein Indiz, das klar gegen Toth als Täter sprechen würde.
Der umstrittene Spur-Spur-Treffer
In Böhringers Wohnung fanden sich an einem Glas und einer Kommode DNA-Spuren, die mit Spuren aus dem Kriminalfall Ursula Herrmann (1981) übereinstimmen. Die DNA wurde damals an einer Schraube der Kiste entdeckt, in der das entführte Mädchen tot gefunden wurde.
Sowohl Toth als auch der Verurteilte im Fall Herrmann beteuern bis heute ihre Unschuld. Die in den beiden Fällen gefundene, identische DNA gehört zu keinem der beiden Verurteilten. Ist also ein anderer, unbekannter Täter für beide Morde verantwortlich?
Das Gericht im Fall Böhringer schliesst es in seiner Urteilsbegründung [PDF] als fernliegend aus, dass "die DNA-Spur auf der Schraube im Zusammenhang mit dem Bau oder dem Vergraben der Kiste angebracht wurde". Das Gericht erklärte die DNA für nicht relevant, da sie nicht am eigentlichen Tatort lag und der unbekannte Spurenverursacher nicht beteiligt gewesen sein müsse.
Die Verteidigung sieht das anders: Eine unbekannte Person mit Bezug zu einem anderen Verbrechen war nachweislich in Böhringers Wohnung. Auch eine fast leere Weinflasche deute auf unbekannten Besuch hin: Böhringers offiziell letzte Besucherin hatte nur ein Viertel davon mit ihr getrunken und sich um 17:20 Uhr verabschiedet. Böhringer selbst trank die Flasche laut Promillewert nicht aus.
Für die Verteidigung steht fest: Zwischen 17:20 Uhr und dem Todeszeitpunkt (zwischen 18:15 und 19:10 Uhr) muss eine weitere Person in der Wohnung gewesen sein – und diese könnte entscheidende Hinweise zum Mord liefern oder selbst etwas damit zu tun haben.
Wieso der Spur-Spur-Treffer dennoch als Indiz gilt
- Vor Gericht werden alle relevanten Tatsachen festgestellt – nicht nur die, die günstig für eine Seite sind. Bei einer Indizienkette muss das Gericht alle bekannten Indizien aufnehmen, egal ob sie für oder gegen den Angeklagten sprechen.
- In diesem Fall spreche das Indiz laut Toths Verteidigung etwa mehr für dessen Unschuld als Schuld.
Zwölf weitere Hinweise und ebenso viele Zweifel
Zum Motiv der Habgier und dem Spur-Spur-Treffer kommen zwölf weitere Indizien, auf die sich das Urteil stützt – auch diese werden von der Verteidigung teils scharf kritisiert.
Die zwölf weiteren Indizien im Überblick, samt Argumentation der Verteidigung
- Spuren an der Bekleidung: Auf dem Sakko des Opfers befand sich eine DNA-Spur von Toth. Wann diese auf die Kleidung übertragen wurde, ist unklar. Da er seine Tante tot auffand, hätten die Spuren laut Verteidigung auch dabei oder aber schon Tage zuvor übertragen werden können.
- Linkshändigkeit: Toth ist Linkshänder, die Tat wurde laut Gutachten jedoch mit rechts begangen. Das Gericht nimmt an, er habe die Tat mit rechts ausgeführt, gestützt auf Zeugenaussagen, wonach er im Auto mit rechts schalte. Die Verteidigung hält dieses Argument für nicht tragfähig und verhöhnend.
- Nicht entlastender Schock: Nach Auffinden der Leiche sei Toth in einem Schockzustand gewesen. Das Gericht ordnet diesen Schock nicht als entlastend ein. Es könne auch eine Täuschung sein, da Toth sein Umfeld bereits über sein Jurastudium belogen hatte.
- Spuren im Büro: Im Büro des Opfers wurde Toths DNA auf einer Geldbörse, einer Kreditkarte, einem Umschlag und dem Testament von Böhringer gefunden. Laut Gericht bedeute das, dass Toth im Zuge der Tat dort war. Toth hingegen beteuert, dies sei sein Arbeitsplatz gewesen, die Spuren müsse er vor der Tat im Büro hinterlassen haben.
- Entwendete Zeitungen: Am Morgen nach dem Mord verschwanden Zeitungen von Böhringers Tür, später fand die Polizei drei identische Ausgaben bei Toth. Das Gericht sieht darin den Versuch, den Leichenfund zu verzögern. Die Verteidigung hält dagegen: Eine der drei Ausgaben passt nicht zur üblichen Lieferung. Es fand sich nicht die DNA von Böhringers Zeitungszusteller an den Zeitungen. Und: Warum hätte Toth belastendes Material mitnehmen sollen?
- Schuhspuren: In Böhringers Wohnung wurden Schuhspuren gefunden, die niemandem zugeordnet werden konnten. Zu Toth gehören sie nicht. Laut Gericht ist dieser Hinweis nicht entlastend. Es sei möglich und wahrscheinlich, dass die Fussspuren älter waren und nicht mit der Tat in Verbindung stehen.
- Kenntnis der Gewohnheiten: Als ihr Neffe kannte Toth Böhringers Gewohnheiten. Er soll gewusst haben, dass sie sich an diesem Montag zu ihrem Stammtisch aufmachte.
- Gelegenheit: Toth hatte laut Gericht die Gelegenheit, seine Tante zu töten. Zwischen 17 Uhr (Abgang seiner Verlobten) und 19:34 Uhr (Anruf aus seiner Wohnung) hat er kein Alibi. Er selbst gab an, zu Hause ein Erkältungsbad genommen zu haben. Böhringers Todeszeitpunkt wird zwischen 18:15 und 19:10 Uhr eingegrenzt. Mit dem Fahrrad braucht Toth 17 Minuten von der Wohnung der Tante nach Hause; bei einer Tat gegen 19 Uhr blieben ihm fünf bis sieben Minuten, um sie zu begehen. Das Gericht hält diese Zeit für "allemal ausreichend". Allerdings: Niemand sah Toth in der Nähe der Parkgarage, obwohl es hell und er in der Gegend sehr bekannt war.
- Bargeld: Im Zuge der Tat soll Toth Bargeld von Böhringer gestohlen haben. Bei seiner Verhaftung fand man 2.300 Euro in seinem Geldbeutel. Sportwetten, Ersparnisse und ein Geschenk der Tante, erklärte Toth.
- Nachtatverhalten: Toth hätte am Tag nach dem Mord wenig Besorgnis um seine Tante gezeigt. Am Tag nach dem Mord fuhr er nach Augsburg, angeblich um einen Freund zu besuchen, kehrte aber ohne Treffen zurück. Er habe sich zeitlich verschätzt. Das Gericht vermutet jedoch: Auf der Fahrt habe er die Tatwaffe entsorgt. Gefunden wurde sie nie.
- Ausschluss anderer Personen: Andere Personen hätten kein Motiv für die Tat, so das Gericht. Ein Raubmord durch einen Fremden könne ausgeschlossen werden.
- Ausschluss von Angehörigen: Familienmitglieder mit Motiv schliesst das Gericht aufgrund von Alibis aus.
"Das, was im Urteil steht, hat de facto mit dem, was wirklich geschehen ist, nichts tun. Es ist reine Fiktion", sagte Toth 2022 im Podcast "After Crime". Das Urteil lebe von 14 Indizien. Von diesen sei allenfalls die Hälfte belastend, die andere Hälfte würde ihn hingegen entlasten, so Toth. So etwa die fremden Fussspuren am Tatort, seine Linkshändigkeit oder die unbekannte DNA-Spur.
Nach 17 Jahren im Gefängnis wurde Toth am 24. April 2023 aus der Haft entlassen. Er hat seine Strafe abgesessen. Gegenüber "Merkur" erzählt er 2024, er sei bei seinem Bruder, inzwischen dem Eigentümer des Parkhauses, als stellvertretender Geschäftsleiter angestellt, für 1400 Euro netto.
Wiederaufnahmeantrag angenommen: Hat die Zeugin gelogen?
Nachdem bereits die Revision gescheitert und zwei Wiederaufnahmeverfahren abgelehnt wurden, hat das Landgericht Augsburg den jüngsten Wiederaufnahmeantrag nun überraschend in zwei Punkten für zulässig erklärt. Der Fall steht damit so nah vor einer Wiederaufnahme wie noch nie zuvor. Neue Beweise könnten das ursprüngliche Urteil gegen Benedikt Toth ins Wanken bringen.
Im Mittelpunkt des 500 Seiten langen Antrags steht eine Zeugin, die im ursprünglichen Prozess gelogen haben könnte. Sie hatte damals gegenüber einer Journalistin berichtet, kurz vor dem Mord einen merkwürdig agierenden, älteren Mann vor Böhringers Wohnung gesehen zu haben. Sie hatte den Eindruck, er wollte nicht gesehen werden, und sei schnell verschwunden.
Die Zeugin wollte damals nicht öffentlich in Verbindung mit dem Mord gebracht werden und hatte Angst vor dem potenziellen Mörder, weshalb die Journalistin sie vor Gericht nicht namentlich nannte. Mittlerweile hat die Journalistin ihre Quelle jedoch offengelegt.
"Damit ist das vom Schwurgericht angenommene Tatgeschehen vollständig auf den Kopf gestellt."
Ein weiterer zentraler Punkt des Wiederaufnahmeantrags sind neue Gutachten zu den Blutspuren. Mithilfe moderner 3D- und Lasertechnik wurde rekonstruiert, dass die meisten Spritzer in Richtung Wohnungstür flogen – der Täter muss sich also in der Wohnung befunden haben. Das widerspricht der Annahme, Toth habe seiner Tante aufgelauert. "Damit ist das vom Schwurgericht angenommene Tatgeschehen vollständig auf den Kopf gestellt", sagte Peter Witting, Toths Verteidiger, gegenüber der "tz".
"Bis zu einem möglichen Freispruch ist es noch ein sehr langer Weg", sagt Toth. Ob es zu einer neuen Hauptverhandlung kommt, entscheidet sich in den kommenden Monaten. Das Oberlandesgericht München muss zunächst entscheiden, ob es einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft Augsburg stattgibt. Ist dies der Fall, folgt ein Probationsverfahren, eine Art nicht öffentlicher Testlauf für einen möglichen neuen Prozess.
Empfehlungen der Redaktion
In einer neuen Hauptverhandlung würde erneut geprüft werden, ob Benedikt Toth schuldig ist – oder tatsächlich 17 Jahre unschuldig im Gefängnis sass.
Verwendete Quellen
- justiz.bayern.de: Wiederaufnahmeantrag des Verurteilten Benedikt T. ("Parkhausmord") teilweise für zulässig erklärt
- Spotify.de: After Crime Podcast: Der Parkhausmord
- probence.de: Urteil Strafgericht
- tz.de: Neue Fakten im Parkhausmord: "Das angenommene Tatgeschehen ist völlig auf den Kopf gestellt"
- pocketbook.de: Der Münchner Parkhausmord
- probence.de: Die Einzelkritik der Indizien
- sueddeutsche.de: Die Zweifel bleiben
- kglaw.de: Im Zweifel für den Angeklagten? Der Mord Charlotte Böhringer wirft immer wieder Fragen auf
- Spotify.de: BR: Der Parkhausmord
- justament.de: Die andere Hälfte der Wahrheit
- merkur.de: "Finanziell ruiniert": Benedikt Toth – Verurteilter im Parkhausmord – spricht über die Zeit nach dem Gefängnis
- t-online.de: Wer erschlug die Münchner Parkhaus-Millionärin