Die jüngsten israelischen Luftangriffe auf Syrien werfen erneut Fragen nach den sicherheitspolitischen Motiven hinter dem Vorgehen auf. Offiziell begründet Israel die Angriffe gegen Regierungsgebäude in Damaskus mit dem Schutz der religiösen Minderheit der Drusen. Doch auch die eigenen Sicherheitsinteressen spielen eine Rolle. Ein Israel-Experte erklärt im Interview die Hintergründe des Konflikts.

Ein Interview

In Syrien hat die israelische Armee am vergangenen Mittwoch zahlreiche Ziele angegriffen, unter anderem auch in der Hauptstadt Damaskus. Offiziell hatte die israelische Armee diesen Angriff mit dem Schutz der Drusen begründet. Die religiöse Minderheit der Drusen lebt in Syrien, aber auch in Israel und gilt dort als äusserst gut in die mehrheitlich jüdische Gesellschaft integriert. Zwischen ihnen und syrischen Regierungstruppen kam es am vergangenen Wochenende zu gewalttätigen Zusammenstössen. Inzwischen wurde eine Waffenruhe vereinbart. Derweil steigt weltweit die Angst vor einem erneuten Krieg in Syrien.

Welches Ziel verfolgt Israel in Syrien? Unsere Redaktion hat mit dem Israel-Experten Michael Rimmel in Jerusalem gesprochen.

Offiziell will die israelische Armee den Drusen in Syrien zu Hilfe kommen. Ist das auch das tatsächliche Ziel der israelischen Armee in Syrien?

Michael Rimmel: Der Schutz der Drusen ist in jedem Fall der Anlass gewesen für die Militärschläge und spielt auch eine wichtige Rolle innerhalb der israelischen Gesellschaft. Die israelische Regierung betrachtet die Drusen als wichtige zu schützende Minderheit und misstraut der neuen Regierung in Damaskus.

Weshalb?

Man befürchtet, dass die neuen Machthaber nicht in der Lage sind oder nicht willens, Minderheiten wie die Drusen zu schützen. Die jüngsten Ausschreitungen haben diese Befürchtungen zunächst einmal bestätigt. Es handelt sich ja um tatsächliche Angriffe gegen drusische Gemeinden im Süden Syriens, die den Anlass für die israelischen Bombardements boten. Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 ist die israelische Armee ausserdem bestrebt, jegliche Unsicherheit an den Grenzen sofort unter Kontrolle zu bekommen. Israel erhofft sich dabei, dass die Frage nach dem Status der Golanhöhen, welche von den meisten Ländern der Welt nicht als israelisch anerkannt werden, in einer künftigen Normalisierung zwischen beiden Ländern geregelt werden könnte. Hier liegt bis zu diesem noch nicht vorhersehbaren Schritt ein weiterer möglicher Konfliktherd mit Syrien.

"In Israel sind die Drusen eine sehr gut integrierte und zahlenmässig starke Minderheit."

Welche Rolle spielen die Drusen in der Region?

In Israel sind die Drusen eine sehr gut integrierte und zahlenmässig starke Minderheit, die eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielt. Sie leisten Wehrdienst und machen Karriere in der israelischen Armee, aber auch in der israelischen Politik. Der spirituelle Anführer der Drusen in Israel, Sheikh Muwaffak Tarif, hat darüber hinaus eine bedeutende Position innerhalb der Religionsgemeinschaft der Drusen inne und ist damit nicht nur in Israel von Bedeutung. Es gab schon seit jeher enge Verbindungen zwischen der Religionsgemeinschaft und dem israelischen Staat, was auch erklärt, warum die israelische Armee nun eingeschritten ist, nachdem Drusen in Syrien an die Grenze geflüchtet sind, um Schutz zu suchen.

Welche zusätzlichen sicherheitspolitischen Interessen stecken hinter dem israelischen Engagement in Syrien?

Seit dem 7. Oktober gab es mehrfach Raketen- und Drohnenangriffe auf Israel, auch aus Syrien. Das will man unterbinden. Gleichzeitig befürchtet man, dass der Status der Golanhöhen durch die neue syrische Regierung infrage gestellt werden könnte. Hinzu kommt das allgemeine Unbehagen über die zukünftige Entwicklung Syriens. Nach dem Fall des Assad-Regimes hat Israel eine Pufferzone im Süden Syriens errichtet, um zu verhindern, dass die Sicherheit Israels durch Kräfte aus Syrien gefährdet wird. Diese Zone will man klar beibehalten, möglicherweise bis zu einem Abkommen, auch wenn Friedens- oder Mediationsgespräche noch in weiter Ferne scheinen.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass Syrien nach dem verheerenden Bürgerkrieg wieder stabiler wird? Wie wird die Lage in Israel beobachtet?

Man blickt in Israel mit grossem Misstrauen und Sorge auf die Entwicklung. Die Hintergründe des neuen Präsidenten Ahmed al-Scharaa sind bekannt: Er kommt nicht aus dem sogenannten "Friedenslager", sondern war lange Zeit islamistisch motiviert. Das bereitet Israel direkt Sorgen, da man ihn nicht kennt und nicht weiss, wohin er das Land führen wird. Es besteht die Befürchtung, dass sich die Lage sehr schnell ändern und eine ganz andere Situation in Syrien herrschen könnte, und dass der neue Präsident und seine Regierung sich nicht schnell genug etablieren und das Land beherrschen könnten, ohne dass Israel daraus ein Problem erwächst. Das heisst: Vertrauen ist noch nicht vorhanden. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass andere Kräfte in Syrien operieren, die sich während des langen Bürgerkriegs etabliert haben und eine Gefahr für die Stabilität Syriens darstellen.

Netanjahu steht innenpolitisch unter Druck

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht innenpolitisch unter Druck, nachdem ihm die Koalitionspartner weggebrochen sind. Inwiefern dient der Angriff in Syrien möglicherweise als Ablenkung von innenpolitischen Problemen?

Empfehlungen der Redaktion

Ich glaube, das hat nichts damit zu tun, um von der innenpolitischen Krise abzulenken. Anlass war ein Angriff auf drusische Gemeinden im Süden Syriens. Solche Angriffe werden sicherlich nicht von der israelischen Politik angeordnet. Aber es stimmt: Die innenpolitischen Verhältnisse stehen klar unter Druck. Netanjahu hat drei Koalitionspartner verloren. Er hat somit im Grunde keine Mehrheit mehr als Koalition, auch wenn diese drei Parteien noch nicht angekündigt haben, das Parlament aufzulösen oder Neuwahlen zu beantragen. Sicherlich hängt in Israel immer alles miteinander zusammen. Aber man muss auch wissen: Wenn es ein Ablenkungsmanöver wäre, würde das nicht ausreichen. Die Partner sind bereits ausgetreten, und nun müssen Lösungen für die innenpolitischen Fragen gefunden werden, die sich ergeben haben. Syrien wird hier keine Abhilfe schaffen können, und deswegen sehe ich keine direkte Verbindung.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Michael Rimmel ist Politikwissenschaftler und leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Israel.