Israel begründet seine Angriffe auf den Iran damit, dass das Land kurz davor sei, Atomwaffen bauen zu können. Wie real ist die Bedrohung?
In der Nacht zum Freitag hat Israel einen Grossangriff auf Städte und Atomanlagen im Iran gestartet. Der Schlag sei nötig geworden, weil sich die Islamische Republik bei ihrem Atomprogramm einem "Punkt ohne Wiederkehr genähert" habe, heisst es von der israelischen Armee. Der Führung in Teheran sei es möglich geworden, "Uran auf militärisches Niveau anzureichern, wodurch das Regime in der Lage wäre, innerhalb kurzer Zeit eine Atomwaffe zu erhalten".
Stimmt das? Wie weit ist das iranische Atomprogramm und wie schnell könnte das Land eine Atombombe bauen? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was sagen die Zahlen?
Dem jüngsten Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) von Ende Mai zufolge hat der Iran seine Produktion an beinahe waffentauglichem Uran zuletzt stark ausgeweitet. Demnach verfügt Teheran nun über fast 409 Kilogramm Uran mit einem Reinheitsgrad von 60 Prozent. Seit dem letzten Quartalsbericht der IAEA vom Februar ist die Menge demnach um rund 49 Prozent gestiegen.
Für den Bau von Atomwaffen wird ein Anreicherungsgrad von etwa 90 Prozent benötigt. Etwa 42 Kilogramm dieses hoch angereicherten Urans würden für den Bau einer Atomwaffe ausreichen, heisst es aus diplomatischen Kreisen.
Wie sind die Zahlen einzuschätzen?
Ganz genau weiss derzeit niemand ausserhalb des Landes, wie weit der Iran von einsatzfähigen Atomwaffen entfernt ist. "Wir haben nicht mehr genug Einblick in die iranischen Atomaktivitäten. Das ist Teil des Problems", sagt Azadeh Zamirirad, Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Mai in einem Podcast.
Klar sei, dass der Iran in der Lage ist, binnen Tagen oder höchstens einer Woche "genügend waffenfähiges Spaltmaterial für den Bau einer Atombombe zu produzieren". Das bedeute aber nicht, dass das Land in so kurzer Zeit auch eine Atombombe bauen könne, erklärt die Expertin für iranische Nuklearpolitik. "Dazu bräuchte es eine Reihe von weiteren technischen Schritten, auch den Schritt, wie man das Spaltmaterial an einsatzfähige Trägersysteme befestigt." Dieser Prozess könne nochmal ein bis zwei Jahre dauern. "Das ist also schon nochmal ein ganzer Schritt bis zur Atombombe."
Die IAEA zeigt sich in ihrem Bericht "ernsthaft besorgt". Zamirirad teilt diese Einschätzung – gerade auch wegen der sonstigen Entwicklungen im Nahen Osten.
Israel habe mit früheren Angriffen fast die gesamte iranische Luftabwehr ausser Gefecht gesetzt. Hamas und Hisbollah – enge Verbündete des Iran – gelten als massiv geschwächt. "Iran ist also an einem Punkt, wo im Sicherheitsapparat eine Debatte stattfindet, zu sagen: 'Was haben wir eigentlich noch für Abschreckungsfähigkeiten? Ist die Atomwaffe nicht vielleicht der letzte verbliebene Ausweg?' Das ist, was besorgniserregend ist, gepaart mit den technischen Fortschritten."
Gibt es Hoffnung auf einen neuen Atomdeal?
US-Präsident Donald Trump war in seiner ersten Amtszeit 2018 einseitig aus dem Wiener Atompakt ausgestiegen, der Irans Nuklearprogramm einschränken und im Gegenzug Sanktionen aufheben sollte. Seither hält sich auch Teheran nicht mehr an das Abkommen.
Für die IAEA ist es seither deutlich schwieriger, das iranische Atomprogramm zu überwachen. In einem weiteren Bericht schrieb die Organisation Ende Mai, die Zusammenarbeit mit Teheran sei "nicht zufriedenstellend".
Seit April verhandeln die USA mit dem Iran über ein neues Abkommen. Die ersten fünf Verhandlungsrunden blieben jedoch ohne Ergebnis. Am Donnerstag hiess es aus dem Oman, die Länder würden ihre Gespräche am Sonntag in Maskat, der Hauptstadt des Golfstaats, fortsetzen. Nach Einschätzung von Beobachtern ist ein Treffen nach der jüngsten militärischen Eskalation jedoch äusserst unwahrscheinlich.
Verwendete Quellen
- SWP-Podcast vom 12.5.2025: "Verhandlungen und Drohkulisse: Welche Chancen haben die Atomgespräche zwischen Iran und den USA?"
- dpa
- afp