HSBC, BNP Paribas, Deutsche Bank: Der neuste "Dirty Profits"-Bericht zeigt, wie europäische Grossbanken autokratischen Regimen bei der Finanzierung helfen. Regierungen, die Demokratie und Menschenrechte unterdrücken, kommen dadurch an zusätzliches Kapital in Milliardenhöhe.

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Europäische Banken haben zwischen 2022 und 2024 autokratischen Regimen geholfen, Staatsanleihen im Wert von über 50 Milliarden US-Dollar herauszugeben. Im selben Zeitraum haben sie und andere Finanzinstitute selbst Staatsanleihen der untersuchten Länder in Höhe von fast 10 Milliarden Dollar gehalten. Dies zeigt die bereits zwölfte "Dirty Profits"-Analyse der Berliner Organisation Facing Finance. Die Veröffentlichung trägt den Titel "Geschäftsmodell Autokratie: Wie Europas Finanzindustrie repressive Regime unterstützt".

Massive Finanzströme in repressive Regime

Die Untersuchung zeigt: Zwischen 2022 und 2024 haben die europäischen Grossbanken BNP Paribas, Crédit Agricole, Deutsche Bank, HSBC, Société Générale und UBS den Autokratien China, Türkei, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) dabei geholfen, über 50 Milliarden US-Dollar in Form von Staatsanleihen einzuspielen.

Besonders auffällig ist die enge Beziehung zwischen HSBC und Saudi-Arabien: Allein über 37 Milliarden US-Dollar flossen in diesem Zeitraum mithilfe der Londoner Grossbank an die Monarchie. Laut dem Freedom-in-the-World-Index und dem Demokratieindex zählt Saudi-Arabien zu den unfreisten und undemokratischten Ländern der Welt. Insgesamt war die HSBC mit 43 Milliarden Dollar an derartigen Geschäften beteiligt. Doch auch BNP Paribas (5,6 Milliarden) und die Deutsche Bank (1,5 Milliarden) halfen im grossen Stil bei der Emission von Staatsanleihen autokratischer Regime.

Parallel dazu erwarben die europäische Finanzinstitute AXA, BNP Paribas, Groupe BPCE, Legal & General, Crédit Agricole, Deutsche Bank/DWS, UBS, HSBC und Allianz selbst Staatsanleihen von Autokratien. Dabei handelt es sich neben China, Türkei, Saudi-Arabien und den VAE auch um El Salvador, Nigeria und Thailand insgesamt knapp 10 Milliarden US-Dollar.

So spülen Europas Banken Geld in autokratische Kassen

Im Bericht geht es um zwei unterschiedliche Finanzbeziehungen, die beide mit Staatsanleihen zu tun haben. Bei einer Staatsanleihe handelt es sich um ein Wertpapier, das Staaten an private oder institutionelle Anleger:innen herausgeben. Man kann es im Prinzip als eine Art Beweisdokument dafür sehen, dass man einem Staat Geld geliehen hat. Wer ein solches Papier erwirbt, bekommt nach Ablauf der Laufzeit den Kaufpreis plus Zinsen zurück. Der Zinssatz wird vorab vereinbart, weshalb Staatsanleihen als Sicherheitsbaustein in der Geldanlage sehr beliebt sind – solange sie von Ländern stammen, deren zukünftige Zahlungsfähigkeit als sicher gilt.

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Staaten nutzen also Anleihen, um sich Geld zu leihen. Laut dem "Dirty Profits"-Bericht hielten die untersuchten Finanzinstitute im untersuchten Zeitraum Anleihen autokratischer Staaten im Wert von fast 10 Milliarden Dollar. Die grösste Einzelsumme entfiel dabei auf die Allianz mit knapp 4 Milliarden Dollar.

Allerdings heisst das nicht, dass die Allianz den entsprechenden Autokratien auch tatsächlich Geld geliehen hat – und hier hinkt der Vergleich mit dem Beweisdokument ein wenig. Denn wie Aktien können Anleger:innen auch Anleihen untereinander handeln. Ein Kauf einer Anleihe über den sogenannten Sekundärmarkt spült kein weiteres Geld in die Kassen des Emittenten (d.h. dem herausgebenden Staat). Auf Nachfrage von Utopia.de bestätigt Facing Finance, dass die im Bericht erwähnten 10 Milliarden Dollar sich auf den Erwerb von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt beziehen.

Dennoch sei dies nicht irrelevant. Der Erwerb von Anleihen unterstütze die Regime auch auf diese Weise indirekt, betont Facing Finance und erklärt: "Wenn es auf dem Sekundärmarkt keine Nachfrage nach bestimmten Anleihen gäbe, hätte der Emittent Probleme, neue Anleihen überhaupt auf dem Primärmarkt zu platzieren." Würden etwa viele grosse Investoren Anleihen eines bestimmten Staates ausschliessen, dann könnte er kaum neue Anleihen emittieren. Denn die Abnehmer auf dem Primärmarkt (dabei handelt es sich um ausgewählte Banken), hätten dann Angst, auf den Wertpapieren sitzen zu bleiben, so die Organisation gegenüber Utopia.de.

Trotz des indirekten Effekts solcher Investitionen, ist der Hauptkritikpunkt aus dem Bericht ein anderer.

Hauptkritikpunkt: Banken ermöglichen Anleihen-Emissionen autokratischer Regime

Ein direkterer Effekt auf die Finanzierung von repressiven Regimen ergibt sich durch die 50 Milliarden Dollar, die im Bericht ebenfalls erwähnt werden. Der dahinterliegende Mechanismus hier kurz zusammengefasst: Staaten, deren eigene Währung auf dem Weltmarkt nicht besonders gefragt ist, sind oft darauf angewiesen, Anleihen in Fremdwährung anzubieten, um ausreichend Kapital für ihre Vorhaben zu sammeln. Doch um diese auf den Markt zu bringen, braucht es eine Bank als Vermittler (einen sogenannten Underwriter), um Risiken zu analysieren und Zahlungssicherheit zu gewährleisten.

Ein Beispiel: Angenommen, Saudi-Arabien möchte sich 40 Millionen US-Dollar leihen. Dann kann der Staat nicht einfach eine Staatsanleihe in US-Dollar emittieren, sondern muss sich eine Bank als Underwriter suchen. Wenn beispielsweise die HSBC diese Rolle übernimmt, ermöglicht sie Saudi-Arabien somit Zugang zu finanziellen Mitteln, die das Land sonst so nicht bekommen hätte. Es landet also mehr Geld bei einem Staat, der laut Amnesty International allein vergangenes Jahr 345 Menschen hingerichtet hat, insbesondere "um all jene mundtot zu machen, die mutig genug sind, ihre Meinung zu sagen", so die Menschenrechtsorganisation.

Nur im Iran (972) und in China (Tausende) gab es laut Amnesty International im Jahr 2024 mehr Hinrichtungen als in Saudi-Arabien. Iran wurde von Facing Finance nicht berücksichtigt. China allerdings schon. Der totalitäre Überwachungsstaat hat dank europäischer Banken als Underwriter ebenfalls fast 2 Milliarden Dollar erhalten, davon 1,2 Milliarden via der HSBC und 250 Millionen durch die Mithilfe der Deutschen Bank.

Was Facing Finance fordert

Facing Finance stellt in dem Bericht drei zentrale Forderungen an europäische Finanzinstitute, um deren Unterstützung autokratischer Regime zu beenden:

  1. Menschenrechts-Standards bei Staatsanleihen einführen: Die Organisation fordert, dass Banken, Versicherer und Vermögensverwalter ihre Geschäfte mit Staatsanleihen an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechteausrichten müssen. Diese 2011 verabschiedeten internationalen Standards verpflichten Unternehmen dazu, Menschenrechte zu respektieren und negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit zu vermeiden.
  2. Demokratie-Check vor Investitionen: Finanzinstitute sollen etablierte Demokratie- und Freiheitsindizes als festen Bestandteil ihrer Prüfverfahren für Staatsanleihen nutzen. Bisher verwenden Banken solche Bewertungen hauptsächlich für spezielle ESG-Produkte (Environmental, Social, Governance). Facing Finance will, dass diese Prüfung zum Standard wird – nicht nur für als "nachhaltig" beworbene Anlageprodukte.
  3. Dialog statt Ignorieren: Als dritten Baustein empfiehlt die Organisation verstärkte Engagement-Prozesse: Finanzinstitute sollen den direkten Dialog mit Ländern suchen, um auf Verbesserungen bei Menschenrechten und Demokratie hinzuwirken. Die Initiative Shareholders for Change habe Namibia davon überzeugt, der Übereinkommen der Vereinten Nationen über biologische Waffen beizutreten. Dieses Beispiel zeige, dass es "beträchtliches ungenutztes Potenzial" für konsequentes Engagement gebe.

Allerdings sieht Facing Finance nicht nur die Finanzinstitute, sondern auch die Politik in der Pflicht und stellt folgende Forderungen:

  1. Das EU-Lieferkettengesetz überarbeiten: Facing Finance fordert eine grundlegende Überarbeitung der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), dem sogenannten EU-Lieferkettengesetz. Die Organisation kritisiert, dass das Gesetz den Finanzsektor weitgehend ausnehme. Die Politik soll die Richtlinie überarbeiten, um "Finanzinstitute wie Banken, Vermögensverwalter und Versicherer vollständig einzubeziehen".
  2. Finanz-Sanktionen bei Menschenrechtsverletzungen: Facing Finance fordert finanzmarktbezogene Sanktionen, inbesondere Beschränkungen bei Transaktionen von Staatsanleihen, gegenüber Ländern, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen. Diese sollen fortlaufend geprüft und entsprechend umgesetzt werden.
  3. Mehr Geld für Menschenrechtsforschung: Schliesslich fordert die Organisation "Investitionen in einen öffentlichen und wissenschaftlichen Sektor, der Menschenrechtsverletzungen in autokratischen Staaten aufdeckt und analysiert". Dies soll die Entscheidungsgrundlage für politische Entscheidungsträger:innen stärken.

Bericht hat nur Stichprobe untersucht

Facing Finance hat sich für seine Analyse auf die 20 grössten Banken, Vermögensverwalter und Versicherer beschränkt, basierend auf deren Bilanzsumme im Oktober 2024. Bei drei davon – Amundi, Santander und Barclays – kam Facing Finance jedoch nicht an die benötigten Daten, weshalb diese in der Analyse fehlen.

Ausserdem wurden nur zehn autokratische Regime in der Auswertung berücksichtigt, und zwar jeweils zwei aus den Regionen Asien, Europa/Eurasien, Naher Osten, Subsahara-Afrika und Amerika. Für jede Region sollten zudem zwei unterschiedliche Stufen der Autokratie repräsentiert sein: Geschlossene Autokratien, also De-facto-Diktaturen, in denen keine Wahlen oder höchstens Scheinwahlen stattfinden (China, Russland, Saudi-Arabien, Äthiopien, Venezuela), sowie elektorale Autokratien, also Länder, in denen es zwar Wahlen gibt, diese aber nicht fair und frei vonstattengehen. Dort werden etwa die Opposition und die Medien von der Regierung unterdrückt (Thailand, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate, Nigeria, El Salvador).

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Für Äthiopien und Venezuela waren keine Daten auffindbar. Der Bericht stellt jedoch – sowohl im Hinblick auf die Länder als auch auf die Finanzinstitute – klar: "Dass wir keine Daten gefunden haben, bedeutet nicht, dass es sie nicht gibt, sondern vielmehr, dass die Anbieter, von denen wir die Daten erhalten haben, keine Informationen darüber haben. Mehr Transparenz wäre an dieser Stelle wünschenswert."

Da es weit mehr als zehn autokratische Staaten und zwanzig europäische Finanzinstitute gibt, und ausserdem teilweise Daten fehlten, ist zu erwarten, dass die im Bericht genannten Summen nur einen Bruchteil der Realität zeigen. Es ist wahrscheinlich, dass noch weitaus höhere Summen durch Europas Banken an autokratische Regime fliessen.

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Utopia.de meint: Bei der Wahl der Bank auf Ausschlusskriterien achten

Der diesjährige "Dirty Profits"-Bericht wirft ein Schlaglicht auf einen Aspekt der Geldanlage, der oft vernachlässigt wird. Denn selbst beim Thema nachhaltige und ethische Investitionen drehen sich die Diskussionen meist darum, in welche Unternehmen man (nicht) investieren sollte. Doch auch Staaten, die Menschenrechte missachten, agieren auf dem Finanzmarkt. Sowohl die Finanzinstitute selbst, als auch die EU-Gesetzgebung sind gefordert, autokratischen Regimen einen Riegel vorzuschieben. Facing Finance legt mit seinen Forderungen einige gute Ansätze vor.

Auch Bankkund:innen selbst haben einen Einfluss auf die Finanzströme. Wer sein Geld etwa der Deutschen Bank gibt, trägt indirekt dazu bei, dass Diktaturen wie China oder Saudi-Arabien an finanzielle Mittel kommen. Utopia.de empfiehlt deshalb nur Banken, die auch für Staatsanleihen klar definierte Ausschlusskriterien haben. Mehr dazu in folgendem Ratgeber:

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Verwendete Quellen: Dirty Profits 12, Amnesty International  © UTOPIA