Rasche Lockerungen sind der Wirtschaft nicht zuträglich und bringen sogar Verluste – zu diesem Ergebnis kommt eine deutsche Studie, der sich Christian Drosten im aktuellen NDR-Podcast "Coronavirus-Update" widmet. Was ihn trotz der zunehmenden Anfeindungen gegen ihn noch antreibt, verrät er am Ende des Podcasts.

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Je flotter Unternehmen und die Gastronomie Ihre Pforten öffnen, umso grösser könnten die Schäden ausfallen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie aus Wirtschaft und Wissenschaft, die für Deutschland ein schrittweises Hochfahren empfiehlt. Darüber diskutierten am Donnerstagnachmittag Virologe Christian Drosten und "NRD Info"-Journalistin Korinna Hennig in der neuesten Ausgabe des NDR-Podcasts "Coronavirus-Update".

Eindämmen der Kontakte nicht automatisch schlecht für die Wirtschaft

"Qualitativ ist das Endergebnis dieser Studie robust. Die Botschaft: Es ist nicht automatisch so, dass ein Eindämmen der Kontakte gut für die Epidemiologie, aber schlecht für die Wirtschaft ist", erklärte Christian Drosten zu einer aktuellen Studie von ifo Institut und Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI). Sie befasst sich mit den Auswirkungen der Schliessungen auf die Wertschöpfung. Laut Studie ist es für die deutsche Wirtschaft gar nicht sinnvoll, aktuell mehr und mehr die Beschränkungen zu lockern. Drosten: "Die Wirtschaft erkennt das vollkommen an, dass es gar nichts bringt, alles gleich aufzumachen, denn derartiges würde massiv auf sie zurückfallen."

Sanfte Lockerungen am besten

Den Wissenschaftern hinter der Studie zufolge ist für Wirtschaft und Gesundheitspolitik am besten: umsichtige und schrittweise Lockerungen. Wirtschaftlicher Nutzen und gesundheitspolitische Ziele kollidieren demnach nicht. Gemäss den Berechnungen der Studienmacher ergäbe sich bis Ende 2021 ein Wertschöpfungsverlust von über 330 Milliarden Euro, würden die Schliessungen, wie sie bis 20. April 2020 galten, bestehen bleiben und würde die Reproduktionszahl bei 0,63 liegen. Sanfte Lockerungen mit einer Reproduktionszahl von 0,75 wären hingegen mit einer höheren Wertschöpfung von etwa 26 Milliarden Euro verbunden. Annahme für die Berechnungen ist, dass sich ohne wesentliche Kontaktbeschränkungen 300 tägliche Infektionen kontrollieren lassen und somit die Wirtschaftsleistung nur unwesentlich eingeschränkt wird.

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Mittmässiger Einbruch und rasche Erholung

"Hätte man zum Beispiel eine Reproduktionszahl von 0,3, dann würde das laut Studie dazu führen, dass die Wirtschaft momentan sehr stark einbräche und lange bräuchte, um sich zurückzuentwickeln", so Christian Drosten, der ergänzt: "Der Goldene Mittelweg bei einer Reproduktionsrate von 0,75 ist ein guter Kompromiss zwischen dem Absinken der Wirtschaftsleistung und der daraus folgenden Dauer der Erholung. Die Wirtschaft sinkt dabei mittelmässig tief ab und erholt sich relativ schnell."

Auch die Zahl der Toten würde auf einem relativ erträglichen Niveau bleiben, so der Experte. Drosten zufolge geht es den Machern der Studie aber weniger um die Zahlen, sondern darum, einen grundsätzlichen Eindruck für diesen goldenen Mittelweg der Öffentlichkeit zu kommunizieren. "Ich halte das für extrem wichtig", so der Mann, der Bevölkerung seit Monaten das Coronavirus erklärt.

Anfeindungen machen Drosten Sorgen

Vom relativ guten Verlauf in Deutschland zeigte sich Christian Drosten am Donnerstagnachmittag erneut beeindruckt. "Das heisst natürlich nicht, dass das so bleibt. Wir beginnen ja jetzt einen Tanz mit dem Tiger – und der kann ja auch funktionieren", so der Virologe, dem jedoch die vermehrten Anfeindungen gegen ihn in Deutschland Sorgen bereiten. Diese würden die Öffentlichkeit verwirren und erheblichen Schaden anrichten. "Das müssen wir gut beobachten und vielleicht auch weiterkommentieren in Zukunft." Was ihn trotz aller Angriffe nach wie vor antreibt? "Weiter bei der Sache zu bleiben, um wissenschaftliche Erkenntnisse für eine sehr breite Bevölkerungsgruppe von interessierten und informationssuchenden Hörern zu übersetzen, die mir auch sehr viel Bestätigung gibt", sagte Christian Drosten am Ende des Podcasts.

Professor Dr. Christian Drosten ist Leiter des Instituts für Virologie an der Berliner Charité und einer der führenden Virus-Forscher Deutschlands. Der 48-Jährige gilt als Mitentdecker des SARS-Virus. Unmittelbar nach dem Ausbruch SARS-Pandemie 2003 entwickelte er einen Test auf das neu entdeckte Virus, wofür er 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. In der aktuellen Coronakrise ist der gebürtige Emsländer ein gefragter Gesprächspartner, zweimal wöchentlich gibt er Auskunft zur aktuellen Lage.
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