Wohl kaum eine Kinofigur ist so kultig wie der amerikanische Mobster. In Teil 2 unserer Reihe "Mythos Mafia" schauen wir uns an, wie die Mafia in den Vereinigten Staaten Fuss fassen konnte – und wie die US-Regierung unfreiwillig entscheidend zum Reichtum der Mafiosi beigetragen hat.
Narbengesicht, Teflon-Don oder die Klauenhand – Spitznamen berüchtigter Mafiosi sind so vielfältig wie ihre Geschäftsfelder. Regisseure von
Im ersten Teil unserer Serie haben wir uns die Anfänge der Mafia auf Sizilien angeschaut und ihre heiligen Traditionen und Aufnahmerituale vorgestellt. Im zweiten Teil geht es per Dampfschiff über den Atlantik, in verarmte Migrantenviertel und rauchige Kneipen, in denen nur geflüstert werden darf. Die Mutter der italienischen Mafia, die Cosa Nostra, entstand unter den Zitronenbäumen Siziliens – doch so richtig reich wurde sie in den Vereinigten Staaten.
Mafia goes America: Italiens grosse Auswanderungswelle
Doch wie kommt die Mafia nach Amerika? Ende des 19. Jahrhunderts wird Italien zum Nationalstaat, doch vor allem im Süden des Landes leben die meisten Menschen in bitterer Armut. Zwischen 1880 und 1920 wandern deswegen rund vier Millionen Italiener nach Nordamerika aus – darunter allein rund 800.000 Sizilianer. Nicht wenige von ihnen hatten in der Heimat Kontakt zu den kriminellen Banden, die schon ein halbes Jahrhundert lang die Bauern auf Sizilien erpressten. Als die Mafiosi an der Einwandererstelle auf Ellis Island im Hafen von New York von Bord gehen, wittern sie das grosse Geld.
In den amerikanischen Grossstädten bewohnen die Italiener bald ganze Stadtviertel, die bis heute "Little Italy" heissen. Anfang des 20. Jahrhunderts wird New York zur grössten italienischen Stadt der Welt, dort leben mehr Italiener als in Rom. Die Verhältnisse in den Migrantenvierteln sind sehr ärmlich, die Menschen leben dicht gedrängt in einfachsten Behausungen. Bald beginnen kriminelle Banden, ihre Landsleute zu erpressen.
Eine mysteriöse Organisation namens "Schwarze Hand" steckt hinter vielen dieser Erpressungen, zudem entführt sie Menschen. Drohschreiben, die sie verschickt, sind mit der namensgebenden schwarzen Hand signiert. Der Anführer der Bande heisst Ignazio Saietta. Er soll auf Sizilien bereits im Alter von zwölf Jahren einen Mann ermordet haben – in New York ist er Präsident der Unione Siciliana, einer Organisation, die eigentlich die politischen Interessen der Sizilianer vertritt. Doch die Mafia nutzt sie für ihre kriminellen Kontakte.
Joe Petrosinos Kampf gegen die Mafia
In New York nimmt der Polizist Joe Petrosino den Kampf gegen die "Schwarze Hand" auf. Petrosino, ein kleiner Mann mit Melone, ist selbst Kind italienischer Einwanderer. Als er 1901 die Zentrale der Unione Siciliana in Brooklyn unter die Lupe nimmt, entdeckt er dort 60 Leichen. Das Haus geht als "Murder Stable" in die Geschichte ein. Saietta wird verhaftet, aber Petrosino kann ihm nichts nachweisen, er kommt wieder frei.
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Nur wenige Jahre später macht Petrosino einen weiteren grausigen Fund: Am 14. April 1903 wird in New York die Leiche von Benedetto Madonia gefunden. Erstochen und mit seinem Geschlechtsteil im Mund, war er in ein Holzfass gestopft worden. Der Fall schlägt als "Barrel Murder" Wellen – und Madonia bleibt nicht das einzige Opfer. Immer wieder werden erdrosselte oder erstochene Italiener in einem Fass am Strassenrand abgestellt. Für Mafia-Jäger Petrosino sind es turbulente Zeiten. Es gelingt ihm, hunderte Gangster zu verhaften und zurück nach Italien zu schicken.
Am Ende bezahlt er sein Engagement mit dem Leben: Als er auf geheimer Mission nach Sizilien reist, jagt ihm ein Unbekannter vier Kugeln in den Rücken.
Goldene Zeiten für die Mafia: die Prohibition
1920 schlägt für die Mafia die grosse Stunde. Während der Prohibition ist Alkohol in weiten Teilen der USA verboten, doch die Menschen wollen trotzdem nicht vom Trinken lassen. Gangster aller Art beteiligen sich an einem florierenden Schwarzmarkt, schmuggeln Schnaps und Bier aus dem Ausland in die Vereinigten Staaten. Für viele von ihnen sind jene Jahre der Beginn einer grossen Karriere. Unfreiwillig befeuert die US-Regierung mit der Prohibition das Geschäft der Mafia.
Die Mafia betreibt illegale Kneipen oder Clubs, in denen Hochprozentiges ausgeschenkt wird – weil dort geflüstert werden muss, heissen sie "Speakeasies". Doch anders als auf Sizilien, müssen sich die Italiener in den USA die Unterwelt mit anderen ethnischen Gruppen teilen, zum Beispiel Iren oder Juden. In fast allen grossen Städten kommt es nun zu Kämpfen um die Vorherrschaft im Alkoholgeschäft, mit zahlreichen Opfern. Allein in Chicago stieg laut "Welt" die Zahl der Morde zwischen 1918 und 1940 von rund 200 auf fast 700 im Jahr.
Neue Geschäftsmodelle
Die Mafia verdient am Alkoholschmuggel ein Vermögen – aber als die Prohibition 1933 endet, müssen neue Geschäftsmodelle her, wie Drogenhandel, Glücksspiel oder Prostitution. Letztere war im katholischen Sizilien verboten, doch die Cosa Nostra etabliert das Business in den USA – nicht ohne den Sizilianern in Italien versprechen zu müssen, keine Italienerinnen anzubieten.
Als die Weltwirtschaftskrise die Gesellschaft erschüttert, steigen die Bosse ins Kreditgeschäft ein. Viel Geld machen sie mit der Unterwanderung von Gewerkschaften. Während der Arbeiterkämpfe jener Jahre stellen sie Unternehmen Schlägertrupps zur Verfügung, die gegen Bezahlung die Streiks gewaltsam beenden.
Eine grosse Geldquelle sprudelt in Las Vegas. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Stadt nicht mehr als eine karge Wild-West-Landschaft mitten im Nichts. Aber in den 1920ern entstehen Strassen, Schulen und erste Spielhallen. Wegen der Wirtschaftskrise legalisiert Nevada 1931 als erster Bundesstaat das Glücksspiel und die Spielhallen weichen hochmodernen Casinos und bunten Hotels. Die Entertainment-Industrie bietet der Mafia lukrative Möglichkeiten für Geldwäsche, Betrug und Erpressung und damit auch genug Stoff für Konflikte untereinander. Unzählige Mobster verlieren im Sand von Nevada ihr Leben.
Das "National Crime Syndicate"
Anders als ihre sizilianischen Kollegen in Übersee achten die Mobster noch stärker darauf, keine Unbeteiligten zu ermorden. Schliesslich haben sie in den USA nicht einen derart grossen politischen Einfluss wie auf Sizilien, wo die Cosa Nostra über die Jahre einen "Schattenstaat" errichtet hat und oft selbst mit Kapitalverbrechen davonkommt. Doch nach der Prohibition schwindet in der amerikanischen Bevölkerung auch die Akzeptanz für die Morde der Mafia. Der Mafiaboss "Lucky" Luciano will dem Morden ein Ende setzen, immerhin stört es die Geschäfte. 1929 holt er die mächtigsten Bosse nach Atlantic City.
Nach dem Vorbild der Mafia auf Sizilien gründen sie eine Kommission. Wie der Vorstand eines Wirtschaftsunternehmens soll sie das "National Crime Syndicate" verwalten – ein Zusammenschluss der organisierten Kriminalität der USA. Neben Luciano sitzen die Oberhäupter der "Fünf Familien", die sich die Territorien in New York teilten, in der Kommission: die Familien Bonanno, Colombo, Gambino, Genovese und Lucchese. Ausserdem kommen noch die Bosse von Buffalo und Chicago dazu.
Al Capone – das Narbengesicht der Mafia
Letzterer ist der wohl bekannteste Mafioso der Geschichte: Alphonse "Al" Capone. Al Capone ist Neapolitaner und ein Beispiel dafür, dass die Cosa Nostra in den USA ihren eigentlich eisernen Grundsatz, dass ausschliesslich Sizilianer beitreten dürfen, aufweicht.
Als Capone in jungen Jahren mit der Schwester eines anderen Gangsters flirtet, zieht ihm der Mann ein Messer durchs Gesicht – von da an heisst er auch "Scarface". Al Capone gilt als ungewöhnlicher Charakter, zumindest für einen Mafioso: Den Mann, dem er sein Narbengesicht beschert hat, engagiert er später als Leibwächter, weil er seinen Mut schätzt. Al Capone setzt sich von New York nach Chicago ab und wird dort Boss des "Chicago Outfit" – eine Untergruppe der Cosa Nostra. Glücksspiel, Prostitution und Alkoholschmuggel machen ihn steinreich.
Weil er einen Teil seines illegal verdienten Vermögens spendet, nennt man ihn auch den "Robin Hood der Prohibition". Al Capone liebt es, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, indem er mit Reportern plaudert. Gleichzeitig mordet er ohne Skrupel, insgesamt werden ihm etwa 200 Tote zugeordnet. 1930 erklärt die Polizei Al Capone zum "Staatsfeind Nr. 1", doch nachweisen kann sie ihm nichts. Erst 1931 kommt er hinter Gittern – wegen Steuerbetrug.
Durch das "National Crime Syndicate", das noch bis in die 1980er-Jahre existiert, wird die amerikanische Mafia sehr mächtig – wer sich ihr entgegenstellt, steht eben nicht nur einer, sondern gleich allen Familien gegenüber. In den folgenden Jahrzehnten gibt es keine grossen internen Machtkämpfe mehr. Und die Mafia expandiert: etwa an die Westküste und nach Florida.
Der Pate
- Wohl kaum ein Film hat unsere Vorstellung von der Mafia und einem Mafiaboss so geprägt wie Francis Ford Coppolas "Der Pate". Die Mafia hatte zunächst versucht, den ersten Teil des "Paten" (1972) zu verhindern – um sie zu besänftigen, strichen die Produzenten das Wort "Mafia" aus dem Skript. Später liess sich Hauptdarsteller Marlon Brando für seine Rolle des "Don Corleone" bei der Mafia beraten. Den Bossen gefiel die Inszenierung einer Mafia, die Gerechtigkeit und Ehre wahrt. Mafiosi wie Luciano Liggio kleideten sich wie Brandos Filmfigur, bei Festnahmen fand die Polizei mehrfach Videokassetten des Films.
Gleichzeitig nimmt aber der Verfolgungsdruck der US-Behörden zu. Allerdings fehlen immer noch wichtige Gesetze, zum Beispiel gegen Geldwäsche. Als die USA 1941 in den Zweiten Weltkrieg eintreten, machen sich die Behörden die Netzwerke der Mafia zunutze. Als im Frühjahr 1942 deutsche U-Boote vor der Ostküste lauern, stehen italienisch-stämmige Arbeiter in den Häfen unter Verdacht, sie mit Informationen unterstützt zu haben. Die Cosa Nostra löst das Problem gern – immerhin waren zahlreiche Mafiosi vor dem italienischen Diktator Mussolini geflohen, der auf Sizilien mit harter Hand gegen die Cosa Nostra vorging.
Legenden besagen, die Cosa Nostra habe aus diesem Grund die US-Streitkräfte dabei unterstützt, die Invasion auf Sizilien 1943 vorzubereiten. Ein berühmter Mafioso soll dabei eine wichtige Rolle gespielt haben – das "Times"-Magazin kürte ihn später zu einer der einflussreichsten Personen des 20. Jahrhunderts. Um ihn, um Teflon-Don und um die Klauenhand geht es im nächsten Teil unserer Serie, wenn wir uns ein Stück weiter hineinwagen, in die dunklen Gassen von New York.