Geld ins Ausland senden, ohne Kontrolle und staatliche Aufsicht: Hawala macht es möglich. Das System, das vor allem in islamischen Ländern gebräuchlich ist, erlaubt Transaktionen in Minutenschnelle, wird aber auch von Verbrechern und Terroristen missbraucht. Die deutschen Behörden sind alarmiert – doch die Ermittlungen sind schwierig.
Wenn Yahya A. am 2. September 2025 vor der Grossen Wirtschaftskammer des Landgerichts Mannheim wegen des "Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung" angeklagt wird, steht mit ihm ein ganzes Finanzsystem im Fokus, das die Strafverfolgungsbehörden seit Jahren beschäftigt.
Dem 60-Jährigen wird vorgeworfen, Teil eines "konspirativen Netzwerks" gewesen zu sein, das Bargeldgeschäfte ausserhalb des regulären Bankenverkehrs abgewickelt haben soll. Als Kurier soll er dabei eine Schlüsselrolle eingenommen und für Transferfahrten im Umfang von 13 Millionen Euro rund eine Viertelmillion Euro kassiert haben.
Besonders interessant ist der Fall, weil sogenannte Hawala-Geschäfte nur selten vor Gericht landen. Das liegt zum einen daran, dass Ermittler grosse Schwierigkeiten haben, diese auf Vertrauen basierenden Netzwerke zu infiltrieren. Zum anderen bewegt sich Hawala in einer Grauzone zwischen legaler Familienunterstützung und illegaler Geldwäsche.
Zum Justizthema wird Hawala darum meist nur, wenn grosse Netzwerke auffliegen und Geldwäsche in Millionenhöhe nachweisbar ist. Auch Terroristen und Verbrecher nutzen dieses Zahlungssystem, das sich aller staatlichen Kontrolle entzieht. Wie aber funktioniert es überhaupt?
So funktioniert das Hawala-System
Hawala basiert weitgehend auf persönlichem Vertrauen, ohne formale Netzwerke, offizielle Organisationen und meistens auch ohne schriftliche Nachweise. Wer Geld überweisen möchte, wendet sich an einen sogenannten Hawaladar. Diese Zwischenhändler können etwa Betreiber von Reisebüros, Friseursalons oder Restaurants sein.
Der Geldsender gibt die Summe samt eines Codes an den Hawaladar, der den Code wiederum an einen weiteren Hawaladar im Empfängerland sendet. Nennt der Geldempfänger diesen Code, erhält er die Summe in lokaler Währung oft innerhalb weniger Minuten.
Zwischen beiden Hawaladaren entsteht in diesem Moment ein Schuldenverhältnis, das später ausgeglichen wird, etwa durch weitere Transaktionen, Warenlieferungen, Dienstleistungen oder Rohstoffe.
Oft handelt es sich auch um komplexere Strukturen, bei denen mehrere Händler gegenseitig ihre Salden verrechnen. Der Fantasie sind beim Ausgleich der Schuldentöpfe kaum Grenzen gesetzt.
Von den Kunden behalten sie in der Regel zwischen zwei und fünf Prozent Provision ein, Bankgebühren und Steuern werden umgangen. Damit ist Hawala eine Art globales Schatten-Clearing-System, das sich auf den ersten Blick kaum von Zahlungsdienstleistern wie Paypal oder Western Union unterscheidet – mit dem Unterschied, dass es bis auf wenige Ausnahmen staatlicher Aufsicht entzogen ist.
Hawala ist besonders beliebt in islamisch geprägten Ländern
Gerade in islamisch geprägten Ländern werden mit dem Hawala-System teilweise gigantische Summen verschoben.
Forscher schätzen, dass allein zwischen den grössten islamischen Staaten, etwa Iran, Irak oder Pakistan, jährlich rund 30 Milliarden US-Dollar abgewickelt werden. Die Bundesregierung geht weltweit von etwa 200 Milliarden Euro pro Jahr aus. Wie gross das Volumen in Deutschland ist, darüber existieren nur vage und teils widersprüchliche Angaben.
Der Bankenaufsichtsbehörde Bafin sind "valide Schätzungen nicht bekannt", man könne angesichts des "heimlichen Charakters dieser Geschäfte" keine Zahlen nennen. "Allgemein geht man von sehr hohen Transfervolumina aus", so ein Sprecher zur Redaktion. Auch dieses Dunkelfeld ist vermutlich ein Grund, warum Hawala den Sicherheitsbehörden Kopfzerbrechen bereitet.
Darum ist Hawala ein Problem für die Behörden
Dabei ist Hawala nicht per se verboten oder kriminell. Auch NGOs und Unternehmen nutzen Hawala, um Menschen in Krisengebieten oder Regionen ohne funktionierendes Bankensystem schnell und zuverlässig mit Bargeld zu versorgen.
Während eine klassische Banküberweisung von Deutschland nach Mogadischu beispielsweise Tage dauern kann, kommt das Geld über Hawala meist innerhalb von Stunden an. Das macht diese Art Geldtransfer oftmals für Migranten attraktiv. Illegal ist es aufgrund der im System angelegten Intransparenz trotzdem, heisst es von der Bafin.
"Intransparenz ist nicht mit den Pflichten aus dem Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten vereinbar", so der Sprecher. "Deshalb ist Hawala-Banking auch nicht erlaubnisfähig."
"Optimale Organisationsform für Terrorgruppen wie Al-Qaida."
Ohnehin wird Hawala mehrheitlich für Geldbewegungen genutzt, die im offiziellen Bankensystem nicht stattfinden dürfen, weil sie gegen Gesetze verstossen und sich deshalb bewusst jeder staatlichen Kontrolle entziehen.
In einer Studie bezeichneten Forscher der Universität Duisburg Hawala gar als "optimale Organisationsform für Terrorgruppen wie Al-Qaida". Während Transaktionen über das formale Bankensystem vergleichsweise leicht nachvollzogen werden können, existiere mit Hawala eine zweite, informell organisierte Finanzinfrastruktur.
Darum ist Hawala bei Terroristen und Verbrechern so beliebt
"Hawala ist wegen der informellen, papierlosen Abwicklung überproportional attraktiv für Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Sanktionsumgehung und Terrorismusfinanzierung", erklärt auch Fabian Teichmann, Jurist und einer der renommiertesten Experten zum Thema Geldwäsche. "Das spiegelt sich in europäischen Lagebildern und Fallkomplexen wider."
Auch die Finanzierung grosser Terrororganisationen zeigt: Hawala wird längst nicht nur für Familienüberweisungen genutzt. Immer wieder wurden Anschläge oder ihre Vorbereitung über Hawala finanziert.
So soll die Terrorgruppe Al-Qaida, die hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 steckt, bis in die 2000er-Jahre Ausbildungslager in Afghanistan massgeblich durch Gelder finanziert haben, die über Hawala aus der Golfregion nach Pakistan und Afghanistan geschleust wurden.
Auch die somalische Terrororganisation Al-Shabaab, die für zahlreiche Anschläge in Ostafrika verantwortlich ist, soll laut einem Bericht der "Global Initiative against Transnational Organized Crime" [PDF, englisch] Geld aus der Diaspora in Europa und den USA nach Somalia geschleust haben, um Waffen zu kaufen. Und die Taliban, die grosse Teile ihres Kriegsapparats aus dem Opiumhandel finanzieren, verschiebt ihre Einnahmen über Hawaladare. In Afghanistan ist Hawala zudem spätestens seit dem Nato-Abzug 2021 eines der wichtigsten Finanzinstrumente geworden.
Gerade in Europa geht es aber nicht nur um Terrorismus: 2019 flog in Nordrhein-Westfalen ein Netzwerk auf, das über 200 Millionen Euro aus Drogenhandel und Steuerbetrug nach Pakistan und in die Türkei transferiert haben soll. Und in den Niederlanden berichten Behörden, dass die marokkanische Drogenmafia, die auch für eine Reihe von aufsehenerregenden Morden verantwortlich ist, ihre Gewinne weitgehend über Hawala nach Nordafrika verschiebt.
Darum sind Ermittlungen gegen Hawala so schwierig
Trotz einzelner Fahndungserfolge gelingt es europäischen Ermittlern selten, grössere Netzwerke dauerhaft auszuschalten. "Ermittlungen gegen Hawala sind traditionell schwierig", erklärt Teichmann. Das liege am System, das auf Vertrauen basiert.
Es gibt kaum schriftliche oder digitale Spuren, Absprachen erfolgen meist mündlich oder über Messenger-Dienste wie Whatsapp oder Signal. Hinzu kommt, dass Hawala oft über Clans und Familien läuft. Wer innerhalb dieser Strukturen mit Behörden kooperiert, riskiert nicht nur seinen Job, sondern auch seine Sicherheit.
Um ein Netzwerk gerichtsfest nachweisen zu können, braucht es deshalb monatelange Observationen, verdeckte Ermittler und internationale Zusammenarbeit, bei ungewisser Erfolgsaussicht. "Diese Netzwerke lassen sich nicht ohne Weiteres infiltrieren", sagt Teichmann. "Trotzdem müssen konsequent verdeckte Ermittler eingesetzt werden, um Hawala-Strukturen zu schwächen."
Empfehlungen der Redaktion
Vieles spricht dafür, dass auch der Mannheimer Prozess nur wenig an den Strukturen ändert. Wie oft bei Hawala-Prozessen steht zwar ein einzelner Akteur vor Gericht. Das Netzwerk, in dem Yahya A. tätig gewesen sein soll, dürfte dadurch aber kaum zerschlagen werden.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Dr. Fabian Teichmann ist ein deutscher Rechtsanwalt und Notar und Geschäftsführer von Teichmann International AG. Er gehört zu den renommiertesten Geldwäscheexperten im deutschsprachigen Raum. Auf seinem Instagram-Kanal teichmann_official informiert er über aktuelle Rechtsthemen.
Verwendete Quellen
- Schramm/Taube: Studie: Ordnungsprinzipien der supranationalen Transaktionssicherung im islamischen hawala-Finanzsystem
- wdr.de: Grossrazzia in NRW gegen mutmassliche Geldschieber
- bafin.de: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht - Hawala: Banking in der Schattenwelt
- ideas.repec.org: The abuse of hawala banking for terrorist financing in German-speaking countries
- globalinitiative.net: Global Initiative against Transnational Organized Crime - The use of the hawala remittance system in the Yemen–Somalia arms trade [PDF, englisch]
- Anfrage an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht