Zehn Tote, ein geplanter Bombenanschlag und viele offene Fragen: Nach dem Amoklauf in Graz werden neue Details bekannt. Die Polizei fand beim mutmasslichen Täter eine Rohrbombe und Hinweise auf einen geplanten Anschlag. Die Tat sorgt für Debatten über das Waffenrecht – und wirft Fragen zur psychischen Gesundheit Jugendlicher auf.

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Der Todesschütze von Graz hat anscheinend auch Vorbereitungen für einen Bombenanschlag getroffen. Nach dem Amoklauf des 21-Jährigen Artur A. in seiner ehemaligen Schule gab die Polizei am Mittwoch bekannt, dass sie am Wohnort des Schützen eine nicht funktionsfähige Rohrbombe sowie Pläne für einen Bombenanschlag auf das Gymnasium gefunden habe. Der Plan sei aber wohl verworfen worden. Der Anschlag habe sich dabei ebenfalls auf das Gymnasium bezogen, wie es von der Landespolizeidirektion auf APA-Nachfrage hiess. Zum Sprengstoff selbst erteilte die Polizei keine Auskunft.

Der junge Österreicher hatte am Dienstag mit einer Schrotflinte und einer Faustfeuerwaffe ein Blutbad in seiner ehemaligen Schule angerichtet. Er tötete neun Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren und eine Lehrerin. Der Täter verübte vor Ort Suizid.

Schutz der Schulen wegen möglicher Nachahmungstäter erhöht

Wegen der Gefahr von Nachahmungstätern – es sind laut Behörden mehrere Drohungen eingegangen – hat die Polizei inzwischen den Schutz der Schulen verstärkt. Darüber hinaus seien die rund 400 Spezialkräfte im ganzen Land in erhöhter Alarmbereitschaft, hiess es.

Das Motiv des 21-Jährigen bleibt vorerst im Dunkeln. An seinem Wohnort wurden Abschiedsnachrichten gefunden, aus denen aber kein Hinweis auf den Auslöser der Tat hervorgeht, hiess es von der Polizei. Berichte, wonach Mobbing-Erfahrungen des 21-Jährigen eine Rolle spielten, wurden von den Behörden bislang nicht bestätigt.

Der junge Mann sei bis vor zwei Jahren Schüler an dem Gymnasium gewesen und habe eine Schulstufe mehrmals wiederholt, sagte Franz Ruf, ein hoher Beamter des Innenministeriums, dem Radiosender Ö1. Der Täter, der die Schule nicht abgeschlossen hatte, lebte nach Angaben der Polizei zusammen mit seiner Mutter.

Ein Moment der Stille: Trauerminute nach Amoklauf

Am Tag nach dem Amoklauf stand aber vor allem die Trauer im Vordergrund. Um 10.00 Uhr stand das öffentliche Leben in Österreich für eine Minute vielerorts still. So blieben 900 Busse, Strassen- und U-Bahnen in Wien kurz stehen. Die Trauerglocke des Wiener Stephansdoms wurde nach Angaben der Erzdiözese Wien geläutet. Auch in Graz wurde der Toten und Verletzten gedacht.

Alle elf Verletzten seien mittlerweile in stabilem Zustand, teilte der Krankenhausbetreiber Kages mit. Die meisten Verletzten würden jedoch noch auf Intensivstationen betreut, hiess es.

So lief der Polizeieinsatz ab

Am Tag nach der verheerenden Tat gab die Polizei erstmals einen genaueren Einblick in ihren Einsatz. So seien zwei Streifenwagen nur wenige Minuten nach dem ersten Funkspruch über eine mögliche Amok-Lage, der um exakt 10 Uhr erfolgt sei, vor Ort gewesen, sagte der Standortkommandant der Einsatzgruppe Cobra-Süd, Kurt Kornberger.

Genau wie für solche Lagen vorgesehen, seien die Polizisten sofort (10.08 Uhr) in das Schulgebäude eingedrungen und hätten nicht auf Verstärkung gewartet, hiess es. Um 10.09 Uhr seien die ersten Spezialkräfte der Cobra an der Schule eingetroffen. Ein Lehrer habe die Beamten dann in den 3. Stock geschickt, wo sich die Tragödie abgespielt hatte. Um 10.13 Uhr sei der Täter tot in einer Toilette gefunden worden, um 10.21 Uhr seien die ersten Korridore für die Notärzte gesichert gewesen.

Nach einer ersten Analyse sei alles so abgelaufen, wie es die Polizei in Österreich seit Jahren trainiere, sagte Cobra-Kommandant Bernhard Treibenreif. Aber das sei angesichts der Opfer kein wirklicher Trost. "Das, was geschehen ist, kann die schnellste Polizei der Welt nicht verhindern", sagte Treibenreif weiter.

Erste Forderungen: Verschärfung des Waffengesetzes

Eine Debatte über das geltende Waffenrecht kam nach der Tat erst zögerlich ins Rollen. Die kommunistische Bürgermeisterin von Graz, Elke Kahr, forderte ein breites Waffenverbot. "Waffen sollten nur die Exekutive tragen, und keine Privatpersonen", sagte sie dem Sender ORF. Auch eine Parlamentsabgeordnete der Grünen sprach sich gegenüber dem ORF für ein Waffenverbot im privaten Bereich aus.

Nach Angaben des Innenministeriums sind in Österreich aktuell rund 1,5 Millionen Waffen registriert, wie die Presseagentur APA berichtete. Das Waffengesetz in dem Staat mit 9,2 Millionen Einwohnern gilt als relativ liberal. Für Faustfeuerwaffen ist eine behördliche Bewilligung nötig, für Schrotflinten jedoch nicht. Der Amokläufer hatte beide Waffen legal besessen.

Experte: Immer mehr Schüler mit sozial-emotionalen Problemen

Der Amoklauf ist für die Experten auch Anlass, sich Gedanken über die Stimmung an den Schulen zu machen. Die Schulpsychologen hätten immer mehr Fälle, in denen sich Schüler in irgendeiner Form nicht gesehen, beachtet und angenommen fühlten, sagte Josef Zollneritsch vom Schulärztlichen Dienst der Bildungsdirektion Steiermark im ORF-Fernsehen.

Das könne die latente oder offene Neigung zu Gewalt befördern. Man beobachte bei den Schülern steigende sozial-emotionale Schwierigkeiten. Daher müsse unbedingt in die Prävention wesentlich mehr als heute investiert werden, so Zollneritsch. (dpa/bearbeitet von ali)

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