Zwischen Indien und Pakistan bricht ein jahrzehntelang schwelender Konflikt neu auf. Nach Luftangriffen Neu-Delhis wächst die Sorge, dass der Konflikt zwischen den zwei Atommächten sich verschärfen könnte. Worum geht es – und wie gross ist das Eskalationspotenzial?
Luftangriffe, Artilleriefeuer und Schusswechsel: In Asien wächst die Sorge vor einem Krieg zwischen Indien und Pakistan. Nachdem vor zwei Wochen im indischen Teil der Region Kaschmirs 26 Menschen erschossen wurden, spitzt sich ein jahrzehntealter Konflikt zwischen den beiden Atommächten zu.
Schon seit der Gründung der modernen Nationalstaaten Indien und Pakistan geraten die beiden Länder wegen Kaschmir immer wieder aneinander. Beide Staaten beanspruchen die Kontrolle über die Region für sich. Der Terroranschlag am 22. April und dessen Folgen sind nun das jüngste Kapitel in dem Dauerkonflitk.
Als Reaktion auf ihn flog Indien Luftangriffe auf Pakistan. Nach Angaben der pakistanischen Armee starben dabei 26 Zivilisten, 46 Menschen sollen verletzt worden sein. Seitdem geht es Schlag auf Schlag. So reagierte Pakistan unter anderem mit Artilleriebeschuss und schoss indische Drohen ab. Zuletzt kam es in Kaschmir zu Feuergefechten zwischen Truppen der beiden Länder. Ausserdem attackierte Indien mehrere Flugabwehrsysteme in Pakistan.
Indien macht Pakistan für Terrorangriff verantwortlich
Indien sieht Pakistan als Unterstützer der Terroristen in den Anschlag vom April involviert. Mit den Luftangriffen habe man die Infrastruktur der Terroristen ins Visir genommen, hiess es von der Regierung in Neu-Delhi. Die indische Armee gab dabei an, "konzentriert, abgewogen und nicht-eskalierend" vorgegangen zu sein. Demzufolge sei keine Einrichtung der pakistanischen Armee angegriffen worden
Die pakistanische Regierung hingegen weist die Vorwürfe zurück und nannte die Angriffe Indiens "feige". Pakistan habe "jedes Recht, auf diese Kriegshandlung Indiens mit aller Härte zu reagieren, und das wird es auch", erklärte der pakistanische Premierminister Shehbaz Sharif.
Belege, dass Pakistan in die Terrorangriffe involviert war, konnte Indien bislang nicht vorlegen. Eine völkerrechtliche Grundlage für die Angriffe steht daher nach wie vor aus.
Konflikt sorgt international für Besorgnis
UN-Generalsekretär António Guterres erklärte zuletzt, sehr besorgt zu sein über die jüngsten Entwicklungen. Er rief beide Länder zu grosser militärischer Zurückhaltung auf, die Welt könne sich "keine militärische Konfrontation zwischen Indien und Pakistan leisten". Auch Russland und China drängten auf eine Deeskalation des Konflikts.
Die US-Regierung unter
Experte zu jüngster Eskalation: "Keine rein militärische Auseinandersetzung"
Im Jahr 1999 kam es in der Region zu einer ähnlichen Situation. Damals löste der Einmarsch pakistanischer Truppen auf indisches Territorium eine bewaffneten Auseinandersetzung aus, die Indien für sich entscheiden konnte. Von einem Krieg wollte keine der beiden Seiten sprechen, auch wenn die Kämpfe von neutraler Seite oft so bezeichnet werden – und die Definition eines Krieges in vielen Punkten erfüllen.
Seit der Staatsgründung beider Länder im Jahr 1947 kam es vielfach zu Grenzauseinandersetzungen zwischen den Armeen beider Seiten. In dieser Hinsicht ist die aktuelle Eskalation nicht ungewöhnlich, so Hermann Kreutzmann, emeritierter Professor für Geografie an der Freien Universität Berlin und renommierter Kenner der Region gegenüber unserer Redaktion. Allerdings sei dieser Vorfall insofern besonders, "dass Zivilisten als Opfer involviert sind und es eben um keine rein militärische Auseinandersetzung geht".
Kampf um das Wasser
Eine besondere Gefahr sieht Kreutzmann darin, dass bisherige völkerrechtliche Vereinbarungen in Frage gestellt werden könnten. Speziell der Indus-Wasservertrag, der die Wassernutzung des wichtigen Flusses und seiner Nebenflüsse regelt, könnte unter dem Eindruck der jüngsten Spannungen aufgekündigt werden.
Indien habe schon lange ein Interesse daran, die Wasserrechte neu zu verhandeln, um zusätzliche Staudämme für die eigene Stromgewinnung zu bauen, so Experte Kreutzmann. Nach dem Anschlag vor zwei Wochen setzte die Regierung in Neu-Delhi die Vereinbarung mit dem Nachbarland aus und trifft Pakistan damit ins Mark.
Die Wirtschaft des muslimischen Landes ist abhängig von der Nutzung des Flusses. Die Landwirtschaft, mit der wichtigste Sektor, hängt an der Bewässerung. Eine dauerhafte Aufkündigung der gemeinsamen Nutzung des Indus könnte also einer Kriegserklärung gleichkommen. Indien könnte die jüngste Eskalation zum Anlass nehmen, um genau das zu tun – und die Eskalationsspirale damit weiterdrehen.
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Beide Staaten haben wenig Interesse an einer Eskalation des Konflikts
Zeitgleich mit dem schwelenden Konflikt mit Pakistan steht Indien in der Region im Konflikt mit China, welches ebenfalls einen Teil Kaschmirs kontrolliert. Die jüngsten Luftschläge scheinen daher eher innenpolitisch bedingt. "Premierminister Narendra Modi musste sein Gesicht wahren", so Hermann Kreutzmann.
Für die Regierung in Neu-Delhi ist Härte im Kaschmir-Konflikt auch Teil der eigenen Staatsräson. "Wenn Indien Territorien aufgeben würde, wäre das ein riesiger Gesichtsverlust und würde die Indische Union als Ganze destabilisieren, weitere Konflikte schüren und Unabhängigkeitsbewegungen in Indien fördern." Für Pakistan steht beim Kaschmirkonflikt wiederum das Selbstverständnis als Schutzmacht der Muslime in der Region auf dem Spiel.
Aber auch das pakistanische Militär spielt eine wichtige Rolle. "Die pakistanische Armee rechtfertigt ihre Existenz mit dem Kaschmir-Konflikt und wird dadurch zum Staat im Staate", so Kreutzmann. Immer wieder wurden demokratische Phasen des Landes durch einen Militärputsch unterbrochen. Noch bis 2008 herrschte im Land eine Militärdiktatur.
Internationaler Einfluss in der Region
Neben den beiden beteiligten Staaten verfolgen aber auch andere internationale Akteure Interessen in der Region. Insbesondere China kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Zum einen verfolgt Peking über die BRICS-Vereinigung mit Indien gemeinsame Ziele. Schwerer wiegt aber das Investment, welches die chinesische Regierung in Pakistan getätigt hat.
Pakistan ist ein wichtiges Teilstück in der chinesischen neuen Seidenstrassen-Politik. "Die Regierung in Peking hat daher umfangreich in die Verkehrsinfrastruktur und Energieversorgung investiert, wofür Pakistan eine hohe Zinsschuldlast zu tragen hat", so Experte Kreutzmann. China ist daher an Stabilität und Frieden in der Region gelegen.
Pakistan ist weitestgehend auf sich allein gestellt
Ebenso sind die USA lange in Pakistan engagiert gewesen. Bis in die 1990er-Jahre waren die Vereinigten Staaten wichtigster Waffenlieferant des muslimischen Landes. Seit der Zuwendung Islamabads zu Peking hat sich das allerdings geändert. Nicht erst unter der neuen Trump-Regierung, aber nun besonders, hat sich die US-Administration zunehmend Indien als neuen Verbündeten in der Region auserkoren.
Die Regierung in Neu-Delhi wiederum balanciert zwischen der Zuwendung zu Moskau und Washington. Das war lange schwer vereinbar. Seit Trump sich Moskau angenähert hat, ist es aber eine stringente Strategie geworden. Die pakistanische Regierung steht daher bis auf die Verbindung zu China weitgehend alleine da. Mit dem Iran ist Pakistan im Grenzkonflikt, so wie mit den meisten anderen Nachbarn auch.
Wenig Aussicht auf eine dauerhafte Beilegung des Konflikts
Auch wenn eine völlige Eskalation der Streitigkeiten aktuell eher unwahrscheinlich ist, ist eine endgültige Lösung des Konflikts schwer und wenig aussichtsreich. Bereits seit über 75 Jahren ist die Kaschmirregion immer wieder Schauplatz von Grenzzwischenfällen. Mindestens dreimal gingen diese in offene Kriegshandlungen über. Aktuell finden Gespräche im Hintergrund statt, die die Lage deeskalieren sollen. Wer aber einen dauerhaften Frieden vermitteln kann, ist fraglich.
Grossmächte, die ein eigenes Interesse in der Region haben wie USA und China kämen dafür nicht in Frage, so Experte Kreutzmann. Eher wären hier Länder denkbar, die seit je her gute Beziehungen zu beiden Ländern unterhalten. Grossbritannien hat aufgrund der kolonialen Geschichte nach wie vor gute Beziehungen in die Region. Kanada besitzt eine grosse pakistanische Diaspora.
Europa unterhält wichtige Handelsbeziehungen mit Pakistan
Aber auch europäische Länder kämen, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verflechtung mit der Region, in Frage. "Deutschland ist ein wichtiger Handelspartner für Pakistan", so Kreutzmann. "Sieben Prozent der Exporte gehen nach Deutschland, ähnlich viel nach Grossbritannien. Frankreich, Spanien und Italien haben jeweils halb so viel Anteil. Insgesamt ist die Europäische Union der weitaus grösste Exportmarkt für Pakistan."
Auch die Vereinigten Arabischen Emirate wären als Mittler denkbar, da sie einen grossen Anteil indischer und pakistanischer Emigranten beherbergen. Wirklich erfolgreich waren aber bisher nur die Vereinten Nationen, wenn es darum ging eine Annäherung der beiden Staaten und langfristig wirksame Verträge zu bewirken. Auf ihnen lastet nun auch die Hoffnung einer baldigen Beruhigung des Konflikts.
Über den Gesprächspartner:
- Hermann Kreutzmann ist emeritierter Professor für Geografie an der Freien Universität Berlin. Er gilt als einer der profiliertesten deutschsprachigen Kenner der Region.
Quellen:
- Gespräch mit Hermann Kreutzmann.
- Welt: Indien greift an – Pakistan meldet 26 Tote und fünf abgeschossene Kampfjets
- News.un.org: UN Secretary-General urges military restraint from India, Pakistan
- X: Post von Marco Rubio