Bei den jüngsten Angriffen der Huthi-Miliz ist ein Teil der Crew eines Containerschiffs ums Leben gekommen. Der andere Teil ist von den Verbündeten des Iran gefangen genommen worden. Was bezwecken die Huthi damit? Der Jemen-Experte Oliver Wils erklärt die Motive für den Angriff und die Hintergründe zum Konflikt.

Ein Interview

Am vergangenen Mittwoch wurde der Untergang des Frachtschiffs "Eternity C" durch die EU-Militäroperation Aspides bestätigt. Ein Teil der Crew des Frachters soll beim Angriff getötet worden sein, ein anderer Teil befindet sich nun in Gefangenschaft der Huthi-Miliz, die für den Angriff verantwortlich ist.

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Nach Angaben der Huthis soll auch noch ein zweiter Frachter, die "Magic Seas" nach Beschuss gesunken sein. Damit verstärken die jemenitischen Kämpfer ihren Angriff auf Handelsschiffe im Roten Meer massiv.

Unsere Redaktion hat mit dem Jemen-Experten Oliver Wils von der Berghof Foundation über die Angriffe gesprochen.

Die Versenkung zweier Frachtschiffe ist der schwerste Vorfall dieser Art seit mindestens einem Jahr. Können Sie sich erklären, warum es gerade jetzt zu einer solchen Eskalation kommt?

Oliver Wils: Der Friedensprozess, der direkte Verhandlungen zwischen den Huthis und dem Nachbarland Saudi-Arabien umfasste, war relativ weit fortgeschritten, bis die Huthis die Gespräche im Dezember 2023 abbrachen und vermehrt Schiffe im Roten Meer ins Visier nahmen.

Seitdem hat sich wenig verändert: Die Huthis halten daran fest, die Bevölkerung in Gaza und den – aus ihrer Sicht - legitimen palästinensischen Widerstand unterstützen zu wollen.

Gleichzeitig ist die Frustration in den von den Huthis kontrollierten Gebieten im Jemen hoch: Die wirtschaftliche Lage ist extrem angespannt, es gibt keinen wirklichen politischen Prozess und keine klare Zukunftsperspektive.

Dies erklärt, warum die Huthis von Zeit zu Zeit deutlich machen wollen, dass sie weiterhin präsent sind und dieser Konflikt nicht vergessen ist. Die aktuelle Eskalation sollte aber auch im Kontext der jüngsten regionalen Eskalation zwischen Israel und Iran gesehen werden.

Ziel: Die Befreiung Palästinas

Welche politischen Ziele verfolgt die Miliz mit dem Beschuss von Frachtschiffen?

Die Befreiung Palästinas spielt in der Weltsicht der Huthi-Bewegung - oder Ansar Allah, wie sie offiziell heisst - eine wichtige Rolle. Dies gilt insbesondere für die Huthi-Familie und die Führungsperson Abdul-Malik al-Huthi.

Die Huthis versuchen nun gezielt, sich als einer der wenigen Akteure zu positionieren, welche nicht nur die grundsätzlich pro-palästinensische Stimmung auf der Strasse in vielen arabischen und muslimischen Ländern aufgreifen, sondern auch aktiv auf "Seiten Palästinas" einzugreifen. Und dazu gehört aus Sicht der Huthis auch der Beschuss von Schiffen, die real oder vermeintlich Israel ansteuern.

Das bedeutet, sie sehen sich im Kampf für die aus ihrer Sicht unterdrückten Palästinenser?

Die Angriffe haben auch eine opportunistische Komponente, um eine bestehende emotionale Stimmung für den eigenen Bekanntheitsgrad und die eigene Relevanz als bewaffnete Organisation zu nutzen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Huthis auch auf extreme Spannungen im eigenen Land reagieren, indem sie in kriegerische Auseinandersetzungen eintreten.

Dies ist für eine Miliz wie die Huthi-Bewegung relativ einfach und ein erprobtes Mittel, um interne Unzufriedenheit einzudämmen, da man im Kriegszustand interne Kritik leichter unterdrücken kann.

Die angegriffenen Schiffe liefen unter liberianischer Flagge und gehörten einer griechischen Reederei, inwiefern steckt hier ein politisches Motiv dahinter?

Die Huthis behaupten, die beiden versenkten Frachter hätten Israel ansteuern wollen, was sie in ihren Augen zu einem legitimen Ziel machen. Es ist nicht immer klar, woher die Huthis diese Informationen bekommen, teilweise wohl aus Open-Source-Quellen.

Druck auf Huthis wächst

Die USA haben angekündigt, diplomatischen Druck auf die Huthis auszuüben, um gefangene Crew-Mitglieder der gesunkenen Frachter freizubekommen. Kann das Ihrer Meinung nach Erfolg haben?

Ich würde es nicht ausschliessen. Es spricht vieles dafür, dass diese Gefangenen als politische Verhandlungsmasse eingesetzt werden. Die Rahmenbedingungen sind derzeit noch schwierig, da die Verhandlungsbereitschaft der Huthis momentan nicht erkennbar ist.

Vor dem Hintergrund vorsichtig optimistischer Berichte hinsichtlich der Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Israel und der Hamas in Doha und Kairo, würde ich nicht ausschliessen, dass die Huthi-Führung wieder auf den politischen Prozess einschwenken könnte. Die Gespräche würden dann aber mit Saudi-Arabien stattfinden, obgleich es hier sicherlich eine enge Abstimmung mit den USA geben dürfte.

Ist auch militärischer Druck durch die USA möglich?

Politischer und militärischer Druck von aussen ist wichtig, aber nur bedingt erfolgreich. Selbst die jüngsten und durchaus massiven militärischen Angriffe der USA in diesem Frühjahr haben nicht unbedingt direkt sichtbare Fortschritte gebracht.

Wie konnte es sein, dass die Huthis überhaupt derart viel Einfluss in der Region entwickeln konnten?

Die Huthis wurden bis 2011 noch primär als eine regionale jemenitische Aufstandsbewegung wahrgenommen und sollten eigentlich im Rahmen eines Nationalen Dialogs in den politischen Prozess integriert werden. Doch dieser Dialog zog sich nicht nur sehr lange hin, sondern konnte aufgrund wieder aufflammender Kämpfe nicht mehr umgesetzt werden.

In den Folgejahren gewannen die Huthis militärisch an Einfluss, während die anderen politischen Akteure im Jemen und die international anerkannte Regierung, die ihren Sitz nun im Süden des Landes in der Hafenstadt Aden hat, zunehmend schwächer wurden.

Ein zentrales Problem bleibt bis heute, dass die international anerkannte jemenitische Regierung – trotz Unterstützung durch die Golfregion, allen voran Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, – kein einheitliches politisches Programm entwickeln konnte. Interne Spaltungen und konkurrierende Interessen, auch seitens regionaler Akteure, blockieren eine klare politische Linie.

"Eine militärische Lösung des Konflikts im Jemen ist zudem unrealistisch."

Wils über die aktuelle Lage im Jemen.

Sie sind selbst als Leiter der Nahost und Golf-Abteilung der Berghof Foundation an der Suche nach einer Lösung für diesen Konflikt beteiligt. Was könnte Ihrer Meinung nach helfen, den Jemen dauerhaft zu befrieden?

Im Rahmen unserer Arbeit im Jemen unterstützen wir jemenitische und regionale Akteure dabei, eine dauerhafte politische Lösung der Konflikte im Jemen zu finden und umzusetzen. Eine militärische Lösung des Konflikts im Jemen ist zudem unrealistisch.

Kein Land in der Region - oder international - ist bereit, die für eine erfolgreiche Militäroperation notwendigen Bodentruppen zu entsenden. Vergangene Einsätze waren sehr verlustreich. Stattdessen sollte der Fokus auf einer politischen Lösung liegen, die vor allem auf eine Transformation der Huthi-Bewegung setzt, weg von einer Miliz, hin zu einem staatlichen Akteur mit entsprechender Verantwortungsübernahme.

Dies ist sicherlich noch ein langer Weg. Und es braucht dazu eine klare, einheitliche Haltung der internationalen und regionalen Akteure – inklusive belastbarer Kontrollmechanismen auf der einen und kluger Anreize auf der anderen Seite.

Empfehlung der Redaktion:

Die externe Unterstützung eines politischen Prozesses wird auf eine Stabilisierung des Landes abzielen müssen, und dabei die jemenitische Bevölkerung in den Blick nehmen, da diese bis heute unter dem Konflikt leidet. Die Zahl der Jemeniten, die unterhalb der Armutsgrenze leben und von Hilfslieferungen abhängig sind, ist extrem hoch, sie liegt laut UN-Angaben bei etwa 18 Millionen – und das bei einer Gesamtbevölkerung von etwas über 30 Millionen.

Es sollte also bei der langfristigen Stabilisierung des Landes vor allem darum gehen, die Lebensverhältnisse im Land wieder zu verbessern und der Bevölkerung notwendige Dienstleistungen vor allem im schulischen und medizinischen Bereich zur Verfügung zu stellen.

Über den Experten:

  • Oliver Wils ist Leiter der MENA-Abteilung der Berghof Foundation.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Oliver Wils.