In Tel Aviv haben viele Gebäude keinen eigenen Schutzraum. Die Menschen sind daher auf städtische Bunker angewiesen. In dieser Ausnahmesituation kehrt ein altbekanntes Gerät zurück.
Die Armee hat allerdings seit Beginn des Kriegs mit dem Iran am Freitag damit begonnen, Vorwarnungen vor Raketen- und Drohnenangriffen aus dem durchschnittlich 1500 Kilometer entfernten Feindesland schon deutlich früher zu senden. Die erste Warnung kommt teilweise schon bis zu einer halben Stunde vorher. Der "kreischende" Ton ist dann die letzte Aufforderung, sich sofort in den Schutzraum zu begeben.
In einem Luftschutzbunker im Zentrum der Küstenmetropole Tel Aviv drängen sich mitten in der Nacht Dutzende Menschen, die in Eile aus ihren Wohnungen geflüchtet sind. Einige tragen müde Kinder auf dem Arm, andere haben ihre Hunde mitgebracht. Ein Hündchen bellt nervös, ein anderes zittert und winselt leise. Eine Frau mit langen braunen Locken sitzt in sich zusammengesunken auf einer Bank, neben ihr in einem Käfig ihre Katze, die immer wieder kläglich miaut.
Angst, Enge und schlechter Empfang
"Macht die Tür zu!", ruft ein Mann von unten den Nachzüglern zu, die noch oben auf der Treppe stehen. Nur wenn die schwere Stahltür verschlossen ist, schützt der Bunker optimal vor der grossen Wucht der Raketenexplosionen.
Ältere Menschen sitzen auf Plastikstühlen, während sich Jüngere und Familien auf Matten am Boden zusammendrängen. Viele starren angespannt auf ihre Bildschirme, sie versuchen, Nachrichten und Raketenwarnungen zu verfolgen. Doch das WLAN bricht immer wieder zusammen – zu viele greifen gleichzeitig auf das Netz zu.
Von draussen sind in unregelmässigen Abständen dumpfe Explosionen zu hören. Bei jedem Knall zucken einige der Schutzsuchenden erschrocken zusammen.
Nach Angaben des Fernsehsenders N12 verfügen mehr als 70 Prozent der Gebäude in Tel Aviv über keinen eigenen Schutzraum. Viele Kellerräume gelten angesichts der schweren Geschosse aus Teheran als unzureichend – und so sind Tausende Menschen auf öffentliche Schutzräume angewiesen.

Ein anderer Krieg
Raketenangriffe auf Israel gehören zwar schon seit Jahrzehnten zum traurigen Alltag. Dennoch haben die massiven Attacken aus dem Iran für viele eine ganz andere Dimension als etwa die Raketenangriffe der Hamas im Gazastreifen, der Huthi-Miliz im Jemen oder der libanesischen Hisbollah. Die Menschen müssen deutlich häufiger und länger in den Schutzräumen ausharren, als sie es aus früheren Konflikten kannten.
Erstmals seit Jahrzehnten befindet Israel sich im Krieg mit einem Staat mit einem grossen Militär. Anders als die Kassam-Raketen aus dem Gazastreifen können die iranischen Geschosse ganz Israel erreichen. Präzisionsgelenkte Waffen bedrohen auch die Infrastruktur. Mit jeder Salve fliegen Dutzende von Raketen mit grosser Sprengkraft auf israelische Städte zu. Nach Informationen der "New York Times" können die iranischen Raketen Sprengladungen von 300 bis 700 Kilogramm tragen - ein Sprengkopf könne insgesamt bis zu einer Tonne wiegen.
Tödliche Folgen von direkten Treffern
Wie verheerend der Schaden durch die iranischen Raketen sein kann, zeigte der Einschlag in einem mehrstöckigen Wohngebäude in Bat Jam südlich von Tel Aviv. Acht Menschen kamen dabei ums Leben, viele wurden verschüttet.
Auch in der arabischen Ortschaft Tamra im Norden Israels wurden vier Frauen bei einem iranischen Raketenangriff getötet - eine Mutter und ihre beiden Töchter sowie die Schwägerin. Immer wieder hatten die Einwohner davor gewarnt, dass es an öffentlichen Schutzräumen mangelt.
Erst nach dem Golfkrieg 1991 wurde es in Israel zur Pflicht, bei Neubauten in jeder Wohnung auch einen privaten Schutzraum einzubauen. Diese gelten eigentlich als sehr sicher.
In Petach Tikva bei Tel Aviv wurden dennoch drei ältere Menschen durch einen direkten Treffer getötet, obwohl sie vorschriftsmässig in ihrem Schutzraum sassen. Eine israelische Armeesprecherin erklärte dazu im Fernsehen: "Die Rakete ist direkt in einer Wand des Schutzraums eingeschlagen." Trotzdem sei der Schutzraum - auf Hebräisch "Mamad" - weiterhin der sicherste Ort. Die Luftschutzräume in den Stockwerken direkt darüber und darunter hätten dem Angriff standgehalten.
Bei dem verheerenden Angriff in Bat Jam sei zuletzt das Leben von mehr als 100 Menschen gerettet worden, weil sie sich im Treppenhaus oder in einem Schutzraum aufgehalten hätten.
Die Rückkehr des Transistorradios
In dieser Ausnahmesituation feiert ein altbekanntes Gerät sein Comeback: das Transistorradio. Jahrelang galt es als Relikt vergangener Zeiten, nun ist es in vielen Bunkern wieder gefragt.
In Zeiten überlasteter Mobilfunknetze ist es oft die verlässlichste Verbindung zur Aussenwelt. Während Smartphones nach Empfang suchen, liefert das Gerät mit seinem charakteristischen, leicht kratzigen Klang zuverlässig Nachrichten, Warnungen und Anweisungen – direkt vom Armeeradio oder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Ein bisschen Schlaf für die Kleinsten
Im hinteren Teil des Bunkers haben sich Eltern mit jüngeren Kindern zurückgezogen. Dort ist das Licht ausgeschaltet – in der Hoffnung, dass die Kleinen auf den ausgelegten Matratzen wenigstens etwas Schlaf finden. "Ich schlafe sogar die ganze Nacht hier mit meiner Tochter, wir gehen gar nicht zwischendurch nach Hause", erzählt eine der Mütter. "So schläft sie viel ruhiger."
Nach fast einer halben Stunde kommt dann die Entwarnung, die meisten Menschen machen sich langsam wieder auf den Weg zurück in ihre Betten. Wie lange es bis zum nächsten Alarm dauern wird, weiss niemand. (dpa/bearbeitet von mbo)