In der Nacht auf Freitag hat Israel den Iran angegriffen und mehr als 100 Ziele attackiert. Dabei wurde auch eine der wichtigsten iranischen Atomanlagen getroffen. Droht ein Flächenbrand?

Ein Interview

Der Nahe Osten bebt: Nach den israelischen Attacken auf Iran blickt die Welt gebannt in die Krisen-Region. Im Interview unserer Redaktion sagt Politikwissenschaftler Michael Rimmel, warum Israel den Zeitpunkt ausgerechnet jetzt gewählt hat – und wie gross die Gefahr einer Eskalation ist.

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Herr Rimmel, wie sehr hat Sie der israelische Angriff zum jetzigen Zeitpunkt überrascht?

Michael Rimmel: Wir haben einen Angriff in der nächsten Zeit erwartet, aber nicht unbedingt für heute Nacht. In den letzten Tagen und Wochen haben sich die Berichte in Israel gehäuft, gerade auch mit Blick auf die Verhandlungen zwischen den Amerikanern und dem Iran. Dass der Angriff so früh schon kommt, war überraschend, aber insgesamt hat man damit gerechnet – auch in der Politik und Gesellschaft hier vor Ort.

Warum ist Israel diesen Schritt gegangen? Schliesslich ist das Land doch mit dem Krieg in Gaza beschäftigt.

Das hat mehrere Gründe. Israel selbst spricht von einem Präventivangriff. Israel hat sich seit dem 7. Oktober, dem Tag, als die Hamas das Land angegriffen hat, enorm verändert – gesellschaftlich, strategisch, sicherheitspolitisch. Man will nicht länger akzeptieren, dass Israel in der Art bedroht wird, wie es bis zum 7. Oktober der Fall. Diese Doktrin hat sich seit dem 7. Oktober immer mehr durchgesetzt. Aktuell waren die Proxys des Iran etwa im Jemen, in Libanon, in Syrien oder in Gaza so schwach, wie bisher lange nicht.

Was heisst das konkret?

Vor dem 7. Oktober war die Gefahr viel grösser, dass parallel zu einem Angriff aus dem Iran auch beispielsweise die Hisbollah Israel angreift. Oder andere Proxys, wie die Huthis oder die Hamas. Das wäre eine riesige Gefahr für die Sicherheit und Existenz Israels. Israel hat es jetzt so eingeschätzt, dass die Sicherheitsarchitektur des Iran derzeit so geschwächt ist, dass der beste Moment zum Angreifen gekommen ist.

Wie akut wird denn die Bedrohung einer iranischen Atombombe in Israel wahrgenommen?

Es gibt seit längerem Berichte, dass der Iran sehr nah an Atomwaffen ist. In Tehran gibt es eine Uhr, die Israels Zeit ablaufen lässt, bis das Land dann vernichtet wird. Auch deswegen wurde die Gefahr hier als sehr real eingeschätzt.

Inwiefern hat sich die Stimmung in der Bevölkerung zuletzt verändert?

Die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen, besonders bei der eigenen Sicherheit, hat sich sehr stark reduziert. Die israelische Gesellschaft ist insgesamt weiter in das rechte politische Lager gerückt. Das sehen wir auch im Gaza-Krieg: Obwohl nicht immer klar ist, mit welcher Strategie dieser Krieg weitergeht, akzeptiert die israelische Gesellschaft ihn als Kampf um die eigene Sicherheit.

"Ich sehe in diesem Fall kein politisches Manöver, sondern eine geostrategische Entscheidung."

Haben die Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran eine Rolle gespielt?

Heute ist der 13. Juni – das ist der 61. Tag nachdem Trump angekündigt hat, es gibt 60 Tage zu verhandeln. Am 12. April hat er diese Ankündigung gemacht. Dieser Zeitraum ist abgelaufen. Sicherlich hat auch das eine Rolle gespielt.

Stecken auch innenpolitische Gründe dahinter – braucht Netanyahu einen solchen Angriff eventuell zum Machterhalt?

Ich sehe in diesem Fall kein politisches Manöver, sondern eine geostrategische Entscheidung. Beim Thema Iran gibt es in der israelischen Gesellschaft eine sehr grosse Übereinstimmung, dass ein Iran, das Israel atomar bedroht, nicht weiter akzeptiert werden darf. Diese Meinung findet man im linken wie im rechten Spektrum. Selbst wenn der Angriff zwei Wochen später gekommen wäre – die Analyse des Problems wäre gleich geblieben und hat wenig mit Innenpolitik zu tun.

Wie aussichtsreich ist denn der Angriff auf den Iran – schwächt ihn das nachhaltig?

Eine der Hauptfragen lautet: Kann Israel alleine ohne die Unterstützung der Amerikaner, die Nuklearmöglichkeiten des Irans vernichten? Israel ist jetzt ein enormer Schlag gelungen. Es hat Nuklearanlagen bombardiert und fast die komplette oberste Militärriege des Iran sowie Atomwissenschaftler getötet. Das ist schon ein enormer Schlag gegen das Selbstverständnis des Irans als Militärmacht in der Region. Ob das dazu führt, dass der Iran seine Nuklearbestrebungen nicht weiterführen will und kann, muss man noch sehen.

Womit ist jetzt zu rechnen?

Es ist noch vieles offen: Wird Israel noch mal weiter angreifen? Wie wird der Iran darauf reagieren? Ist man dem Ziel, die Nuklearmöglichkeiten des Iran zu vernichten, nähergekommen? Das bleibt abzuwarten.

Wie gross ist denn das Eskalationspotenzial?

Die Sorge, dass es zu einem Flächenbrand in der Region kommt, ist gross. Wichtig aber ist: Heute hat kein direkter Krieg angefangen. Wir hatten in der Vergangenheit schon mehrmals direkte Angriffe zwischen dem Iran und Israel – im April und im Oktober letzten Jahres. Wir sehen nun aber eine weitere Eskalation. Bislang gab es in Israel aber keinen Alarm. Die Drohnen, die der Iran geschickt hat, wurden bislang alle abgefangen. Eine geopolitische und sicherheitspolitische Machtverschiebung in der Region könnte aber bevorstehen. Auch wenn es unwahrscheinlich ist: Noch ist unklar, ob der Iran vielleicht jetzt bereit wäre, weiter zu verhandeln.

Welche Rolle spielt Deutschland in der ganzen Dynamik?

Militärisch spielt Deutschland keine zentrale Rolle, hat aber sicherlich die Möglichkeiten, mit den entsprechenden politischen Ebenen in Israel und im Iran zu sprechen und zu schauen, wie man diese Gefahr deeskaliert. Eine viel grössere Rolle spielen die Amerikaner. Auch da kommt es darauf an, wie sie in den nächsten Tagen reagieren.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Michael Rimmel ist Politikwissenschaftler und leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Israel.