Mit einem 20-Punkte-Plan will Donald Trump Frieden in Gaza schaffen. Die Hamas hat dem Vorschlag in Teilen zugestimmt, will aber nachverhandeln. Dabei sind viele Fragen noch ungeklärt – etwa zur Entwaffnung der Terrororganisation oder zum Rückzug Israels. Ein Experte über die Knackpunkte des Plans und die Frage, wie weit wir von einem Frieden entfernt sind.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nach Tagen des Wartens auf eine Antwort steht nun fest: Die Hamas stimmt Teilen des Gaza-Plans zu, will aber nachverhandeln. Die Terrororganisation erklärte sich bereit, gemäss dem Vorschlag von Donald Trump, die verbleibenden Geiseln an Israel zu übergeben. Im Gegenzug sollen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freikommen.

Als Konsequenz der Zustimmung der Hamas zum 20-Punkte-Plan müsste Israel die Angriffe einstellen – am Samstag war das nicht der Fall. Gaza-Stadt wurde weiter bombardiert.

Schwäche der Hamas schafft Verhandlungsspielraum

Dass die Hamas in Teilen zugestimmt hat, kommt für Politikwissenschaftler Jan Wilkens nicht überraschend: "Die Freilassung von palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen und die Aussicht, in einer militärisch geschwächten Situation neue Optionen zu verhandeln", seien triftige Gründe.

Es sei aber auch nicht überraschend, dass viele Teile abgelehnt wurden. Dazu zähle beispielsweise die angedachte Kontrolle eines internationalen Gremiums, bei dem Palästinenser und Palästinenserinnen möglicherweise keine Souveränität hätten oder die Hamas ihre eigene Stellung aufgeben müsste, so Wilkens.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Jan Wilkens ist Politikwissenschaftler und Postdoc an der Universität Hamburg. Neben Politik hat auch Geschichte, Kultur und Sprachen des Nahen und Mittleren Ostens studiert, unter anderem in Damaskus und London.

Fakt ist: Die Terrororganisation erklärte sich bereit, dass der Gazastreifen nach Ende des militärischen Konflikts zunächst von einer Übergangsregierung palästinensischer Technokraten unter Aufsicht eines internationalen Gremiums regiert werde. Ob sie damit auch Trumps Forderung zustimmt, dass sie dabei selbst nicht beteiligt ist, ist jedoch offen. Viele weitere Punkte sind ungeklärt, etwa die Entwaffnung der Hamas oder der Rückzug Israels aus dem Gazastreifen.

Israel will laut Medienberichten ein Verhandlerteam nach Ägypten schicken, die Hamas ebenfalls. "In den kommenden Tagen wird sich zeigen, wie Trump und Netanyahu auf die Bereitschaft der Hamas, zumindest Teile des Plans zu verhandeln, reagieren", so Wilkens.

USA und Israel mit unterschiedlichen Interessen

Er verlässt sich nicht darauf, dass die beiden an einem Strang ziehen. "Da Trump nun gern vor allem als Friedensbringer gesehen werden will, zeigt er sich bereits jetzt optimistisch. Für die Regierung Netanyahu ist das möglicherweise eine schlechte Nachricht, da sie ihr Militär zeitnah zurückziehen und damit auch die Kontrolle abgeben müsste", sagt der Experte. Das stehe im Widerspruch zum Interesse der israelischen Regierung.

Trump hatte bei "X" geschrieben, nach dem Statement der Hamas glaube er, dass die Organisation bereit zu einem "nachhaltigen Frieden" sei. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wiederum soll die Antwort der Hamas eher als ein "Nein" gewertet haben, heisst es aus Regierungskreisen.

Wilkens bleibt skeptisch. "Wir stehen erneuten Verhandlungen über einen Waffenstillstand nahe, da die Lage in Gaza katastrophal ist und der Druck, eine Lösung herbeizuführen, gross", sagt er. Von einem echten Frieden sei man noch weit entfernt. Das zeigt sich für ihn schon daran, dass das israelische Militär Gaza bis zuletzt weiter angegriffen hat.

"Die Gewalt gegen Palästinenser und Palästinenserinnen einzustellen ist Grundlage auf diesem komplizierten Weg, Frieden und eine gerechtere Zukunft sind damit noch lange nicht erreicht", sagt er. Im besten Fall sehe man damit bald ein Ende der militärischen Gewalt, dann sei aber noch nicht über Lebensgrundlagen oder die Bewältigung von Traumata gesprochen.

Ein Knackpunkt: die Frage nach der Souveränität Palästinas

Nicht nur die Hamas, sondern auch die Palästinenser würden nun verhandeln wollen, wie ein Übergang hin zu einem dauerhaften Waffenstillstand aussehen könne und welche Bedingungen es für einen Übergang hin zu palästinensischer Souveränität gibt. "Diese wiederum ist aus Sicht der israelischen Regierung kaum vorstellbar, da sie auch zuletzt stets wiederholt hat, keinen palästinensischen Staat zu dulden", erinnert Wilkens.

Bereits kurz nachdem Trump den Plan vorgelegt hatte, war klar: Beide Seiten müssten sich von bestehenden Vorstellungen verabschieden. "Israel muss die militärische Kontrolle aufgeben und auch den Palästinenserinnen und Palästinensern eine Zukunft ermöglichen. Die Hamas muss ihre Stellung und die Organisation im Prinzip aufgeben", so Wilkens. Es gebe viele Fallstricke.

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Wilkens meint: "Für beide Seiten ist die Kontrolle ein grosser Knackpunkt, für die PalästinenserInnen natürlich auch ihre Selbstbestimmung. Das israelische Militär müsste sich zurückziehen und Israel muss insgesamt seine Besatzungspolitik überdenken."

Beobachter hatten den Druck auf die Hamas zuletzt als sehr hoch eingeordnet, weil bereits viele Akteure dem Friedensplan von Trump zugestimmt hatten, darunter auch viele arabische Staaten.

Straffreiheit für Kämpfer als Anreiz

Ein Anreiz für die Hamas dürfte auch aus Sicht von Wilkens die versprochene Amnestie sein. Dem Plan zufolge sollen Kämpfer, die ihre Waffen niederlegen, Straffreiheit geniessen und ausreisen können. Gleichzeitig sei die Hamas militärisch derzeit sehr geschwächt, ihre Möglichkeiten seien sehr limitiert, so Wilkens.

"Im Vergleich zu vorherigen Angeboten ist der jetzige Gaza-Plan schon konkreter, aber er bleibt an vielen Stellen vage", sagt der Experte. Offene Fragen seien etwa: Wie läuft der Prozess der Demilitarisierung und die Stationierung von sogenannten Stabilisierungskräften genau ab? Was genau ist eine friedliche Koexistenz, auf welcher Grundlage soll sie stattfinden – ein Ende der israelischen Besatzung, eine Zwei-Staaten-Lösung oder etwas ganz anderes?

Trump, Netanjahu, Blair – keiner geniesse Vertrauen der Palästinenser

"Eine friedliche Koexistenz haben schon viele gefordert, die steht auch schon in sehr vielen vorherigen Plänen", sagt Wilkens. Es gebe in dem 20-Punkte-Plan durchaus realistische Teile. Grundsätzlich sei aber problematisch, dass weder Palästinenser einbezogen noch existierende UN-Strukturen berücksichtigt wurden.

Priorität hat für Wilkens, dass die Gewalt ein Ende findet. Die Hoffnung darauf sehr gross. "Die Frage ist natürlich nur, wie das gelingen kann, weil natürlich Trump, Netanyahu und auch Tony Blair, die alle in diesem Plan genannt sind, kein grosses Vertrauen auf der palästinensischen Seite geniessen", erinnert er.

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Ob der Friedensplan den grossen Erwartungen standhält, sei deshalb fraglich. "Entscheidend wird sein, ob und wie genau Palästinenserinnen und Palästinenser einbezogen werden", so Wilkens. Denn während Trump offenbar immer noch Immobilienpläne im Kopf habe, geht es für sie um Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und die Bewältigung unvorstellbaren Leids.

Verwendete Quellen